Mit 15 ganz alleine, ohne Geld und ohne Papiere, in einem Land fern der Heimat, vom eigenen Vater zurückgelassen. Nicht wissend, ob man zum Schulbeginn wieder zurückkehren kann. Nicht wissend, ob man überhaupt noch einmal aus dem Land ausreisen und zurückkommen kann nach Deutschland, wo Freunde, die Schule und nicht zuletzt auch der sorgeberechtigte Vater warten.
So ungeheuerlich und herzlos die Geschichte auch klingen mag: Einem 15 Jahre alten Mädchen aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck, dessen Name nicht genannt werden darf, der der Redaktion aber bekannt ist, passiert zurzeit genau das. Seit Anfang August sitzt sie in Bulgarien, ihrer ehemaligen Heimat, fest und kann nicht nach Deutschland ausreisen, wo sie seit sieben Jahren lebt und die Schule besucht.
Die frühere Heimat ist ihr fremd
Das Mädchen, nennen wir sie Ludmilla, kam 2008 mit ihren Eltern aus Bulgarien nach Deutschland. Seither lebt die Familie hier im Landkreis, Ludmilla besucht die Schule und hat ehrgeizige Ziele. "Ich will irgendwann einmal Jura studieren, Staatsanwältin werden", sagt sie. Sie ist also gut integriert hier, die frühere Heimat ist ihr inzwischen fremd. Die Sprache beherrscht sie zwar noch halbwegs. Doch schon mit der Schrift wird es schwierig, da Bulgarisch kyrillische Schriftzeichen verwendet.
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2013 erkrankt Ludmillas Mutter und kehrt für die Behandlung nach Bulgarien zurück, da sie kaum Deutsch kann. Ein Jahr danach lassen sich Ludmillas Eltern scheiden, beide sind wie ihre Tochter bulgarische Staatsangehörige. Der Vater bekommt das alleinige Sorgerecht zugesprochen, die Mutter bleibt in Bulgarien.
Nach Ende dieses Schuljahres nun fahren Ludmilla und ihr Vater mit dem Auto nach Bulgarien. Sie wollen Ludmillas Mutter besuchen. Doch nach wenigen Tagen ist Ludmillas Vater einfach weg. Abgereist, zurück nach Deutschland. Ohne Abschied. Seiner Tochter hat er kein Geld für eine Rückfahrt da gelassen. Und auch keine notariell beglaubigte Einverständniserklärung, die Ludmilla von beiden Eltern bräuchte, wollte sie aus dem Land ausreisen. Einen Tag später eine Nachricht von ihm: Er wolle sich nicht weiter um sie kümmern, da er jetzt eine neue Familie habe.
"Keine Ahnung, wo er ist"
Die 15-Jährige, die in Deutschland eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung hat und zurzeit abwechselnd bei ihrer Mutter oder den Großeltern lebt, hat sofort sämtliche Stellen kontaktiert, von denen sie sich Hilfe erhofft. Botschaft, Polizei, Familienrichter und Jugendamt, Presse und Hilfseinrichtungen wie Imma in München.
Wie eine Mitarbeiterin des Jugendamts erläutert, wird nun geprüft, ob Gefahr für Körper oder Seele des Kindes besteht. Erst dann könne ein Richter das Sorgerecht entziehen und Ludmilla nach Deutschland geholt werden. Auch zu ihrem Vater, der offenbar in einer neuen Beziehung lebt und noch einmal Nachwuchs erwartet, hat die Schülerin Kontakt aufgenommen. Angeblich hat er ihr die für eine Ausreise notwendige Einverständniserklärung geschickt.
Seit mehr als einer Woche wartet Ludmilla schon darauf. Nichts. Mit dem Ende des Augusts war außerdem noch ein weiterer Termin verbunden: Der Vater zog aus der ehemaligen gemeinsamen Wohnung hier im Landkreis aus, "und ich habe dann keine Ahnung, wo er ist", sagt Ludmilla. Die SZ hätte gern bei dem 39-Jährigen nachgefragt. Aber der Mann verwies nur auf das Gericht; er wollte nicht mit der Zeitung sprechen.