BRK:Lebensretter in Gefahr

Hilfskräfte werden an ihren Einsatzorten oft beleidigt oder gar verletzt. Der BRK-Kreisverband dokumentiert in diesem Jahr die Übergriffe von Patienten und Passanten und will seine Sanitäter besser schulen

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

Sie wollen Leben retten und sehen sich selbst immer häufiger einer Gefahr ausgesetzt: Mitarbeiter der Rettungsdienste sind bei ihren Einsätzen oft verbaler und physischer Gewalt ausgesetzt. Die Angriffe vor allem gegen Rettungssanitäter reichen von üblen Beleidigungen über Anspucken und Wegschubsen bis hin zu rabiaten Angriffen, die als Körperverletzungsdelikte verfolgt werden.

Vergangenen Donnerstag, Gröbenzell, 10 Uhr: Die Besatzung eines Rettungswagens der Johanniter Unfallhilfe (JUH) wird in die Osterseestraße gerufen. Die Sanitäter, 27 und 24 Jahre alt, müssen einen Menschen reanimieren. Da gilt die erste Sorge dem Patienten. Also wird der Rettungswagen in der Anliegerstraße nahe dem Einsatzort abgestellt. Was dann passiert, steht im Bericht der Polizeiinspektion Gröbenzell, weil der Fall zu strafrechtlichen Ermittlungen führt. Ein 62 Jahre alter Gröbenzeller fühlt sich durch das Rettungsfahrzeug offenbar gestört. Es stehe, behauptet er, verbotenerweise in einer Feuerwehranfahrtszone. Um das den Sanitätern klar zu machen, habe er die Einsatzkräfte beleidigt, sie mit "übelsten Schimpfworten" belegt, schreibt die Polizei. Als die Sanitäter wohlweislich darauf nicht eingehen, habe der Mann dann noch versucht, den Rettungswagen selbst wegzufahren. Das aber gelingt ihm nicht. Inspektionsleiter Karlheinz Pangerl teilt dazu mit, dass gegen den Mann nun wegen Beleidigung sowie wegen der Straftat "unerlaubte Ingebrauchnahme eines Kraftfahrzeugs" ermittelt wird.

Der Kreisverband des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) hat es sich nach Auskunft seines Geschäftsführers Rainer Bertram in diesem Jahr zur Aufgabe gemacht, die Vorfälle zu dokumentieren und die Mitarbeiter entsprechend zu schulen. Im vergangenen Jahr, so Bertram, hätten Patienten zwei Rettungsdienstmitarbeiter angegriffen und verletzt.

In ganz Bayern, so Bertram, habe es im vergangenen Jahr 85 Übergriffe gegeben. "Das ist eine belastende Situation für unsere Mitarbeiter", sagt der BRK-Geschäftsführer. Mit einem eigenen Projekt kümmere man sich um die Betroffenen. Gewalt gegen die Rettungskräfte sei zu einem Dauerthema geworden.

Was Bertram berichtet, deckt sich mit Beobachtungen des Rettungsdienstpersonals in ganz Deutschland, die auch in wissenschaftliche Untersuchungen einfließen. So heißt es in einer Studie der Ruhr-Universität Bochum der Sozialwissenschaftlerin Julia Schmidt, dass 98 Prozent der Rettungskräfte innerhalb von einem Jahr verbale Gewalt erlebt hätten, also in irgendeiner Form beleidigt worden sind. Fast 60 Prozent der Sanitäter hätten einen gewalttätigen Übergriff erlebt. In immerhin 27 Prozent der Fälle seien es strafrechtlich relevante Delikte gewesen. Zumeist gehe die Gewalt von Patienten aus während der Diagnose oder der Therapie, die "typischen Täter" seien männlich, zwischen 20 und 39 Jahre alt, ohne erkennbaren Migrationshintergrund und während der Tat unter Alkoholeinfluss stehend.

Allerdings sind es nicht nur die Patienten, die um sich schlagen, den Helfer nicht als Helfer sehen, sondern als Gegner. Auch die Schaulustigen bereiten Sanitätern wie auch Feuerwehrleuten oder Polizeibeamten zusätzlichen Stress. Denn unter den Passanten, die sehen wollen, was passiert ist, sind nicht nur die reinen Gaffer, sondern auch oft zahlreiche Schlaumeier, die "sich wohlmeinend einmischen", wie Bertram es formuliert.

Solche selbsternannten "Ratgeber" sollen sich die Rettungsdienstler mit Deeskalationsstrategien vom Leib halten. Die Mitarbeiter, so Bertram, werden entsprechend geschult. Also: die bei Unfällen oder Noteinsätzen ohnehin für alle Beteiligten angespannte Situation zu beruhigen, besonnen auf die Umstehenden einwirken, damit es nicht zu Übergriffen kommt. Es sei zwar bei 390 000 Notfalleinsätzen im Jahr in Bayern "kein wachsendes Gewaltpotenzial" zu erkennen, so Andreas Estermeier und Leonhard Stärk vom BRK, aber das Thema werde dennoch "sehr ernst genommen". Die Mitarbeiter mit stichhemmenden Westen oder gar mit Pfefferspray auszustatten, wird zwar nicht für notwendig erachtet. Das Rote Kreuz macht aber auch deutlich, dass seine Mitarbeiter nicht unter allen Umständen ihr Leben riskieren würden: "Im Falle einer Selbstgefährdung ist zum Eigenschutz der Rückzug angezeigt."

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