Brettl-Spitzen:"Man kann die Leute aus der Reserve locken"

Siedlerfest Vorabend

Seit 30 Jahren setzt sich Jürgen Kirner, der auch Krüglredner beim Fürstenfelder Salvator ist, für die Wiederbelebung der bayerischen Wirtshauskultur und des Volksgesangs ein - mit Erfolg.

(Foto: Robert Haas)

Jürgen Kirner bringt mit den Brettl-Spitzen Wirtshauskultur und Volksgesang nach Gröbenzell. Der Leiter der Couplet-AG sieht sich damit in einer alten Tradition

Interview von Florian J. Haamann, Gröbenzell

Das Lebensgefühl im Freistaat Bayern widerspiegeln und an die alte Tradition der Wirtshauskultur anknüpfen: Mit diesem Programm erreichen die Brettl-Spitzen im Bayerischen Fernsehen regelmäßig zahlreiche Zuschauer. Nun macht die Sendung Halt im Gröbenzeller Stockwerk. Im Interview spricht Initiator und Moderator Jürgen Kirner über die Wiedergeburt des Volkssängers, bayerisches Lebensgefühl und den Ursprung der Unterhaltung.

Für alle, die das Format nicht kennen: Was sind die Brettl-Spitzen?

Jürgen Kirner: Die Brettl-Spitzen sind die Wiederbelebung eines Genres, dass man von Volkssängern wie Karl Valentin kennt. Wir sind eine Plattform für belebte Wirtshauskultur mit Couplets, Satire, Kabarett, Szenen, Monologen und natürlich Musik. Quasi die Quintessenz der jungen Volkssänger.

Aus welcher Tradition kommt das?

Die Hochblüte der Volkssänger war zwischen 1840 und 1920. Die Volkssänger waren die Popstars der damaligen Zeit, das war echte Massenunterhaltung. Man muss wissen, dass München damals ähnlich wie heute explodiert ist. Es gab damals noch keine klassischen Vergnügungsstätten. Und so haben sich findige Gastronomen etwas einfallen lassen und gesagt, wird brauchen Abendunterhaltung. Viele Leute hatten damals zum ersten Mal Freizeit, die kamen im Zuge der Industrialisierung vom Land, wo sie eine Sieben-Tage-Woche hatten. Plötzlich hatten sie in der Stadt einen Tag frei und haben den zur Unterhaltung genutzt. Mit der Zeit ist diese Kultur aber zurückgegangen, bis sie ganz weg war. Deswegen habe ich vor mehr als 30 Jahren begonnen, sie wiederzubeleben.

Warum war Ihnen das damals so ein Anliegen?

Für mich ist das kulturhistorisch von großer Bedeutung. Diese hohe Unterhaltungskunst gepaart mit überschäumender Lebensfreude. Dass das verloren gegangen ist, fand ich jammerschade. Für mich gehört das zu Bayern unmittelbar dazu. Also wollte ich dem einen Rahmen geben. Mit der Couplet-AG habe ich versucht, auch junge Menschen dazu zu begeistern. Am Anfang war das alles schwierig, aber mittlerweile gibt es eine breite Basis, und junge Menschen sind ganz stolz drauf, wenn sie sagen, dass sie Volkssänger sind. Wir können aus einem breiten Repertoire schöpfen und damit die Programme bestücken. Das freut mich sehr.

Der Erfolg der Brettl-Spitzen zeigt, dass Sie damit offenbar auch in Zeiten eines Überangebots an Unterhaltung einen Nerv treffen. Wie erklären Sie sich das?

Was wir anbieten, ist authentisch und selbst gemacht. Ich glaube da kommen mehrere Faktoren zusammen. Im städtischen Bereich gibt es mitunter eine soziale Verarmung. Was wir machen, schafft ein Gemeinschaftserlebnis, man kann sich mit den Menschen am Tisch austauschen und hat einen Erlebnisseffekt, den es beispielsweise beim klassischen Kabarett, bei dem einer vorne steht und einen Monolog hält, nicht gibt. Ich glaube, das hat eine Sogwirkung.

Das Couplet war historisch gesehen immer auch Auseinandersetzung mit den Machthabern, nicht wenige Texter sind juristisch verfolgt worden. Wie viel davon ist heute noch übrig?

Es gibt natürlich keine Prozesse und es geht nicht mehr so gegen "die Obrigkeit", aber man kann die Leute schon noch aus der Reserve locken. Wenn man seine Meinung artikuliert, eckt man natürlich schon auch mal an.

Sie wollen mit den Brettl-Spitzen das bayerische Lebensgefühl widerspiegeln. Wie würden Sie es beschreiben?

Das Lebensgefühl hier ist schon ein anderes als in Norddeutschland. Dort gibt es eher eine kühle Sachlichkeit, hier geht es um ein Wohlgefühl. Da gehört auch das Wirtshaus dazu. Ich denke, es drückt sich auch über den Dialekt aus: damit kann man andere Begrifflichkeiten finden, Land und Leute anders beschreiben. Bayern hat seine eigene Identität, seine Landschaft, seine Trachten, über die man natürlich auch streiten kann.

Welche Themen sind es, mit denen sich Ihr Publikum beschäftigt?

Politik ist eher eine Randerscheinung, es geht eher ums Zwischenmenschliche. Früher war das Hauptthema der Unterschied zwischen Land und Stadt, aber das hat sich verändert. Viele Menschen auf dem Land haben die gleichen Möglichkeiten, ihre Laptops und IPhones, die Unterschiede verwischen. Es geht eher um die soziale Verarmung, das Erscheinungsbild der Menschen, die nur noch am Smartphone hängen, um Themen wie Kleidung, Ernährung, Klima. Thematisch sind wir sehr breit aufgestellt.

Am Samstag verlassen die Brettl-Spitzen ihre Heimat im Münchner Hofbräuhaus und kommen nach Gröbenzell. Warum?

Um das, was wir tun, erlebbar zu machen. Viele Menschen schauen ja kein lineares Fernsehen mehr, die haben ihre Serien auf Netflix und Amazon. Man muss die Leute also abholen, ihnen zeigen was wir machen, welche Qualität das hat.

Brettl-Spitzen live in Gröbenzell, Samstag, 15. Februar, von 20 Uhr an im Stockwerk. Karten sind ab 26,80 Euro erhältlich unter www.kultur-ticketshop.de

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