Bildung:Lehrer laufen Sturm

Mit längeren Arbeitszeiten gegen Unterrichtsausfälle: Bayerns Kultusminister Michael Piazolo schlägt aus den Grund- und Mittelschulen im Landkreis heftiger Widerstand entgegen

Von Marija Barišić, Fürstenfeldbruck

Die Lehrer an Grund- und Mittelschulen im Landkreis sind derzeit nicht gut auf Kultusministers Michael Piazolo (FW) zu sprechen. Nachdem Piazolo angekündigt hatte, die Lehrer länger arbeiten zu lassen, um Unterrichtsausfälle zu vermeiden, sei ein "Sturm der Entrüstung" ausgebrochen, sagt die Fürstenfeldbrucker Schulamtsleiterin Bettina Betz. Und seufzt.

In seinem Maßnahmenpapier konkretisiert der Kultusminister Piazolo seine Pläne, wie er dem viel beklagten Lehrermangel begegnet möchte. So heißt es unter anderem, dass ältere Lehrkräfte ihren Ruhestand nicht wie bisher nach dem 64., sondern erst ein Jahr später nach dem 65. Lebensjahr beantragen dürfen, außerdem sollen Freistellungsmodelle wie das Sabbatjahr in Zukunft nicht mehr möglich sein. Und die Maßnahme, die Lehrerverbände und Gewerkschaften besonders aufregt: Bei gleichbleibendem Lohn müssen Grundschullehrer künftig eine Stunde pro Woche mehr arbeiten, also 29 statt wie bisher 28 Unterrichtsstunden leisten.

"Aber", das ist Schulamtsleiterin Betz an der Stelle besonders wichtig, "nur vorübergehend", solange ein Lehrermangel bestehe. Wie lange das dauern könnte wisse man noch nicht, aber "realistischerweise die nächsten vier bis fünf Jahre", sagt Betz, der es als ehemalige Lehrerin offensichtlich schwerfällt, die beschlossenen Maßnahmen ihres Arbeitgebers glaubhaft zu verteidigen. "Allerdings", betont sie beschwichtigend, "folgt auf die Phase der Mehrarbeit eine sogenannte Rückgabephase, in der die betroffenen Grundschullehrer wiederum eine Stunde weniger arbeiten werden, als vorgeschrieben ist. So werden die Lehrer rückwirkend für ihre unbezahlten Stunden der letzten Jahre entlohnt."

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) lässt sich davon jedenfalls nicht besänftigen. "Noch nie" habe sie so viele Anrufe und E-Mails von entrüsteten Kollegen bekommen, sagt die Kreisvorsitzende Margot Simoneit. "Die sagen: jetzt müssen wir uns alle zusammentun und demonstrieren." Laut Simoneit stünden die Grundschullehrer ohnehin schon an ihrer Belastungsgrenze, eine Aufstockung der Stunden würde die Situation noch schlimmer machen und das Problem nur kurzfristig beseitigen. Stattdessen sei es viel wichtiger die "jahrelangen Forderungen der GEW" endlich durchzusetzen und den Grundschullehrerberuf, aber auch den der Mittelschullehrer attraktiver zu machen, etwa durch höhere Einstiegsgehälter, bessere Bezahlung und eine "praxisnahe" Reform der Lehrerausbildung.

Betz zeigt Verständnis für die Forderungen der Gewerkschaft und stimmt teilweise zu, betont aber, dass es sich dabei um langfristige Lösungsvorschläge handele, das Kultusministerium aufgrund der dringlichen Lage allerdings zu sofortigen Maßnahmen gezwungen sei. Eine Alternative zur Erhöhung der Arbeitszeit wäre fast nicht möglich "oder wollen wir stattdessen einfach unausgebildetes Personal in den Schulen einsetzen? Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera".

Nicht nur für Entrüstung, sondern vor allem auch für Existenzängste löst die Ankündigung aus, dass die Antragsteilzeit, die es Grundschullehrern ermöglicht, weniger zu arbeiten, nun auf mindestens 24 Wochenstunden erhöht werden soll. In Extremfällen kann dies dazu führen, dass Lehrer, die bisher 13 Stunden pro Woche in einem Teilzeitverhältnis unterrichtet haben, plötzlich zehn Stunden mehr arbeiten müssen.

So ist es bei einer Grundschullehrerin aus Fürstenfeldbruck der Fall, die nicht namentlich genannt werden möchte. Als sie von den neuen Maßnahmen erfuhr, habe sie "einen halben Tag lang geheult." Seit zwei Jahrzehnten unterrichtet die Lehrerin bereits an einer Grundschule mit hohem Migrationsanteil, wo sie sich täglich um verhaltensauffällige Schüler aus prekären Familienverhältnissen kümmern müsse. Mindestens einmal im Jahr komme es vor, dass sie das Jugendamt einschalte, weil sie sich Sorgen um das Wohlbefinden eines Schülers mache. "Nach meiner Kindererziehungsphase habe ich die reduzierten Wochenstunden beibehalten, weil ich gemerkt habe, dass ich mit dieser Klasse in einem höheren Stundenmaß gar nicht funktionieren kann", sagt sie, "zehn Stunden mehr bedeutet eine Realarbeitszeit von mindestens 17 Stunden mehr, wenn man all die Gespräche mit dem Jugendamt, den Therapeuten und die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts miteinberechnet. Das lässt mich total verzweifeln." Falls sich nichts an den Maßnahmen ändern sollte, müsse sie sich überlegen aufzuhören, im Moment lässt sich die Grundschullehrerin von einer Psychologin betreuen. Was sie sich von der Politik wünschen würde? "Langfristiger zu planen - es wird so getan, als wäre der Lehrermangel so ein unvorhersehbares Problem gewesen, dabei wusste es jeder, außer die Politik."

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