Süddeutsche Zeitung

Bestrafte Nachhaltigkeit:Lebensmittelretter auf der Anklagebank

Zwei Studentinnen bedienen sich aus dem Müllcontainer eines Olchinger Supermarkts. Sie wollen damit ein Zeichen gegen die Verschwendung setzen. Für die Staatsanwaltschaft aber ist es vor allem eines: Diebstahl

Von Ariane Lindenbach, Olching

Der Fall lässt niemanden kalt. Zwei Studentinnen aus Olching, die beim sogenannten Containern erwischt worden sind, stehen Anfang Dezember wegen Diebstahls vor Gericht. Aus der Bevölkerung gibt es unzählige Reaktionen, die auf Unverständnis schließen lassen. Derweil verweist man seitens der Staatsanwaltschaft auf die aktuelle Gesetzeslage. Und darauf, dass man den jungen Frauen ohnehin schon weit entgegengekommen sei.

Franziska Stein, 25, und die zwei Jahre ältere Caroline Krüger (Nachnamen von der Red. geändert) sind in Olching von einer Polizeistreife erwischt worden, nachdem sie aus einem Supermarkt-Container weggeworfene Lebensmittel gefischt hatten. Vier große Taschen hatten sie mit Obst, Milchprodukten und Saft gefüllt. Der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft ließ nicht lange auf sich warten: Jeweils 40 Tagessätze zu je 30 Euro, also 1200 Euro pro Person wegen besonders schweren Diebstahls. Vor allem auf diesen Strafbefehl gab es heftige Reaktionen. "Besonders schwerer Diebstahl? Geht es noch?"postet eine Userin. Ein anderer bietet den beiden Olchingerinnen eine kostenlose Rechtsvertretung an - auch für künftige Fälle. Die brauchen sie aber nicht, sie haben bereits Rechtsanwälte und offenbar auch einen relativ großen Unterstützerkreis mit bestimmt 30 Aktiven, schätzen sie. Kritik gibt es auch an der Wertermittlung für das Diebesgut. Die Staatsanwaltschaft hatte es auf hundert Euro geschätzt. Das löste im Netz einen Sturm der Empörung aus, da der Supermarkt die Sachen weggeworfen hatte.

Bei der Strafverfolgungsbehörde sieht man das freilich etwas anders. "Aus unserer Sicht ist man denen ohnehin schon entgegengekommen", unterstreicht eine Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft München II. Bereits im Ermittlungsverfahren habe man den Frauen eine Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage angeboten. "Das ist kein Usus bei besonders schwerem Diebstahl." Die Hintergründe des Verfahrens konnte die Sprecherin bis Redaktionsschluss nicht im Detail recherchieren. Sie betont allerdings: "Aus unserer Sicht ist der Tatbestand erfüllt", die Frauen hätten fremde Dinge entwendet.

Fakt ist jedenfalls, dass der Prozess inzwischen zwei Mal verschoben wurde, der Tatbestand auf einen einfachen Diebstahl reduziert und angeboten wurde, die Strafe auf acht Stunden gemeinnützige Arbeit bei der Tafel herabzusetzen.

Nach wie vor wollen Stein und Krüger das Angebot der Staatsanwalt nicht akzeptieren. Man wolle auf die Problematik aufmerksam machen, dass Unmengen an Lebensmitteln im Müll landen, und eine Änderung der Gesetze erreichen, unterstreichen sie. So wie zum Beispiel in Frankreich, wo es Supermärkten seit einigen Jahren verboten ist, Lebensmittel wegzuwerfen. Und das Containern, also das Entwenden von Lebensmitteln aus dem Müll, so die zweite Forderung der Olchingerinnen, soll legalisiert werden.

Für ihr Anliegen haben die Studentinnen inzwischen etliche Unterstützer gewonnen, neben der Linksjugend und dem Karl-Verein, beide aus München, ist da beispielsweise Claudia Ruthner aus Tutzing (Kreis Starnberg). Die Verwaltungsangestellte hat eine Petition in Brüssel eingereicht mit dem Ziel, auch in Deutschland, am liebsten in der ganzen Europäischen Union, den Supermärkten das Wegwerfen von Lebensmitteln zu untersagen. Des weiteren hat der Olchinger SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi Stein und Krüger in sein Büro eingeladen, um mehr über das Containern zu erfahren. Und Thomas Ganskow, Vorsitzender der Piratenpartei in Hannover, will versuchen, zum Prozesstag in den Landkreis zu kommen. Er wird voraussichtlich bei einer geplanten Kundgebung am gleichen Tag vor dem Amtsgericht in Fürstenfeldbruck reden.

Überhaupt dürfte am Montag, 10. Dezember, dem Tag des Gerichtsverfahrens von Stein und Krüger, eine Menge los sein in Fürstenfeldbruck. Der Prozess ist auf 8.30 Uhr terminiert. Von 7.45 Uhr an ist vor dem Amtsgericht in der Stadelbergerstraße die Kundgebung geplant, um das Thema noch mehr in den Blick zu rücken. Sie dürfte bis etwa 14 Uhr dauern. Es soll Vorträge, Musik sowie einen Stand mit gerettetem Essen geben. Abends wird die Aktion voraussichtlich noch im Kulturraum Fürstenfeldbruck mit einer Diskussion ausklingen. Die Details müssen noch geklärt werden.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2018
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