Coronavirus:Die Unberechenbarkeit des Virus

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Lena Deininger hat längst beide Impfungen hinter sich, Frank Paulus eine Covid-19-Infektion durchgestanden. Trotzdem infizieren sich beide.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Für Lena Deininger ist klar, dass sie sich gegen Sars-CoV-2 immunisieren lässt - im Januar erhält die BRK-Mitarbeiterin die erste von zwei Biontech-Dosen. Klar auch deshalb, weil die 24-jährige Maisacherin seit Mitte Februar Verwaltungschefin des Impfzentrums ist. Gar nicht klar aber ist, dass es sie ein halbes Jahr später trotzdem erwischt: positiver Befund, mittelschwerer Verlauf. Ähnlich überraschende Erfahrungen macht Frank Paulus aus Eichenau. Im November steht er eine Infektion durch, ohne größere Probleme.

Und im März erkrankt er erneut an Covid-19 - diesmal schwer. Es sind zwei Fälle, die belegen, dass auch nach durchgestandener Erkrankung oder vollständiger Impfung ein Restrisiko bleibt. Immer mehr Fälle sogenannter "Impfdurchbrüche" werden bekannt - in Bayern soll es etwa 1500 geben.

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Am Donnerstagabend sitzt Lena Deininger gut gelaunt in dem Nebenraum, der einst als Backstube genutzt wurde, als das Brucker Impfzentrum noch eine Aldi-Filiale war. Ebenso wie alle anderen Mitarbeiterinnen trägt sie Mundschutz und achtet auf Abstand. Deininger blickt zurück auf den Januar.

Die zweite Dosis Biontech löst eine Impfreaktion bei ihr aus, die aber Beleg ist, dass der Körper sich mit Antikörpern rüstet. Sie fühlt sich schwach, hat Gliederschmerzen - alles ganz normal. Auch damals ist ihr bereits klar, dass die Impfung keinen völligen Schutz darstellt. Die meisten Freunde, Familienmitglieder und Arbeitskollegen lassen sich dennoch impfen. Deininger fühlt sich "in einem sicheren Umfeld" - zumal die Mitarbeiter des Impfzentrums sich jeden Tag auch noch einem Schnelltest unterziehen. Damals wie heute hat sie - und das ist ihr wichtig - "Respekt vor Corona, aber keine Angst".

Trotzdem trifft es sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel, als der Corona-Schnelltest am 13. Juli, einem Dienstag, anschlägt. Kann das wirklich sein?, fragt sie sich. Der zuverlässigere PCR-Test bestätigt das Ergebnis. Es stellt sich heraus, dass Lena Deininger sich wohl bei ihrer Schwester angesteckt hat, auch wenn die, wie sich zeigt, kaum Symptome hat. Lena Deininger erwischt es härter: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, das ganze Programm. "Da macht man sich schon Sorgen, ich hatte ein mulmiges Gefühl." Sie begibt sich zu Hause in Quarantäne und telefoniert ihre "Kontaktpersonen" der letzten Tage ab - niemand hat sich bei ihr angesteckt, auch nicht im Impfzentrum, das ist die gute Nachricht.

Nach zehn Tagen hat Paulus die Infektion überstanden - wäre da nicht der Ärger mit dem Verdienstausfall

Die ersten Tage in Isolation nutzt Deininger ihre Wohnung als Homeoffice. Familie und Freunde erledigen das Einkaufen, sie kocht für sich. Dann liegt sie doch ein paar Tage flach. Eine neue Erfahrung, denn eigentlich ist sie nie länger krank gewesen, kann sich nicht mal erinnern, eine Grippe gehabt zu haben. Volle zwei Wochen dauert die Quarantäne. Und ja, Lena Deininger lernt, sich damit zu arrangieren. Sie verbringt viel Zeit im Garten, kommt endlich mal wieder zum Lesen: "Tage in Weiß" und, wie passend, "Von der Impffront" von Rainer Jund. Ein bisschen fühlt es sich an wie Urlaub. Ende Juli kehrt sie wieder in die Arbeit zurück - und fühlt sich in ihrer Sichtweise bestärkt: Man darf sich von der niedrigen Inzidenz nicht in Sicherheit wiegen lassen und das Virus nicht unterschätzen.

Das weiß auch Frank Paulus. Dem 48 Jahre alten Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ist allerdings ebenfalls eines sehr wichtig: Respekt haben vor Corona: ja. Aber Angst? Nein! Nie mehr! Denn Angst ist kein guter Berater. In vielen Medien und vor allem von Politikern aber werde diese Angst geschürt. Und mit Blick auf Einschränkungen würden zu viele fragwürdige Entscheidungen ohne demokratische Legitimation getroffen. Zudem wundert sich Paulus, dass die Gesundheitsbehörden immer noch lange bräuchten, bis sie im Infektionsfall in die Gänge kämen.

Nach der ersten und vor der zweiten Infektion: Frank Paulus mit seinem Sohn Marc beim Spazierengehen am Parsberg in Puchheim. (Foto: privat)

Paulus sitzt im Konferenzraum seiner Münchner Kanzlei und blickt zurück auf die vergangenen Monate. Standardmäßig lässt er sich einmal die Woche an der Brucker Zenettistraße testen. Denn unter den etwa 40 in seiner Kanzlei Beschäftigten befinden sich auch ein paar, die eigentlich schon im Rentenalter sind und somit zur Risikogruppe zählen. "Ich passe auf meine Leute auf", sagt Paulus.

Als er in der ersten Novemberwoche ein positives Testergebnis erhält, kann er es zunächst gar nicht glauben. Aber auch ein zweiter Test bestätigt an jenem Freitag die Infektion. Paulus begibt sich in Quarantäne und versucht, die Corona-Taskforce zu erreichen. Letztlich dauert es fast eine Woche, bis er auch offiziell das Signal bekommt, sich in Quarantäne zu begeben - gemeinsam mit seiner Frau sowie der 16-jährigen Tochter und dem 14-jährigen Sohn, auch wenn die negativ sind. Irgendwie passt es ja ganz gut, dass gerade das Material fürs Gartenhaus geliefert worden ist, da wird einem zu Hause nicht langweilig. "Uns ging's nicht schlecht", sagt Paulus. Ihm selbst auch nicht, auch wenn er nun genauer hinsieht, wenn im Fernsehen verkabelte Corona-Patienten an Beatmungsmaschinen gezeigt werden.

Nach zehn Tagen Quarantäne und negativen Tests scheint Paulus das Thema Corona abgehakt zu haben - mag es ihn auch ein bisschen ärgern, dass er immer noch (und bis heute) auf die vom Infektionsschutzgesetz vorgesehene Erstattung des Verdienstausfalls wartet. Paulus hat so seine Zweifel an der Wirksamkeit der Masken - er setzt sie trotzdem weiter dort auf, wo es vorgeschrieben ist, und wahrt Abstand. Auch deshalb denkt er im März, als er sich schwach fühlt und erhöhte Temperatur hat, zunächst nicht an Corona. Könnte eine Erkältung sein, sagt sein Arzt. Schließlich war Paulus bei Schmuddelwetter im Jagdrevier unterwegs. Er bleibt dennoch erst mal daheim, um sich auszukurieren. Erst wird es besser, dann aber kommt "ein Knick": "Ich habe den Kaffee nicht mehr gerochen und nichts mehr geschmeckt. Als ich in einen Apfel gebissen habe, hat sich das angefühlt wie Styropor."

Es folgen Husten und Atemnot. Ein Selbsttest bringt Gewissheit: Schon wieder Corona, diesmal die britische Variante. Damit ist Paulus dem Gesundheitsamtschef Lorenz Weigl zufolge einer von etwa 13 bekannt gewordenen Fällen im Landkreis, die bis Mitte Juli 2021 "in einem Abstand von mehr als drei Monaten zwei Mal positiv auf Covid-19 getestet wurden".

Zehn Tage nach den ersten Symptomen wird es so schlimm, dass er ins Krankenhaus muss. Nach ein paar Tagen wird er wieder heimgeschickt. Eine Woche liegt er flach, sein Arzt diagnostiziert eine Rippenfellentzündung. In der Zeit kommt das auf, was Paulus nicht zulassen will: Angst. Aber dann ruft er sich in Erinnerung, dass er segelt und Motorrad fährt. Dann müsste er auch da Angst haben. Das Leben ist ein Risiko und endet nun mal mit dem Tod. Vielleicht eine Binse, aber es hilft Paulus.

"Das Virus macht nicht Feierabend"

Die ganze Familie hat sich angesteckt und sich in Quarantäne begeben, hat aber einen milden Verlauf. Weil der Tag der offiziellen Meldung entscheidend ist, habe das Gesundheitsamt die bereits 15 Tage währende Quarantäne der Kinder um weitere 15 Tage verlängert - Lagerkoller inklusive. "Das war nicht einfach", sagt Paulus und schüttelt den Kopf.

Längst geht es ihm wieder gut. Nur das schale Gefühl, dass bei den Corona-Maßnahmen einiges aus dem Ruder läuft, ist geblieben. Erneut abgesperrte Altenheime, Betriebe im Lockdown, ist das vorstellbar? Vor gut einer Woche hat sich Frank Paulus noch impfen lassen - vor allem deshalb, weil er sich sechs Monate nach durchgestandener Krankheit - auch bei Auslandsreisen - nicht einschränken will. 39 Grad Fieber, Schüttelfrost, Kurzatmigkeit am Tag danach. Kennt Paulus schon alles.

Wie lange die Pandemie die Welt noch im Griff behält? "Sieben Jahre", vermutet Paulus. Denn "das Virus macht nicht Feierabend." Und in etwa so war das auch mit Spanischer Grippe und Pest: sieben Jahre. Gerade deshalb sieht Paulus die Politik in der Pflicht, "Zuversicht zu schaffen!"

© SZ vom 14.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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