Prozess in Fürstenfeldbruck:In der Baugrube verschüttet

Prozess in Fürstenfeldbruck: Ein Rettungswagen kommt 2019 zu der Unfallstelle, einer Baugrube in Türkenfeld in der Weiherstraße, um den Verletzten ins Krankenhaus zu fahren.

Ein Rettungswagen kommt 2019 zu der Unfallstelle, einer Baugrube in Türkenfeld in der Weiherstraße, um den Verletzten ins Krankenhaus zu fahren.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Das Amtsgericht muss klären, ob ein schwerer Unfall 2019 in Türkenfeld vermeidbar gewesen wäre. Angeklagt sind zwei verantwortliche Männer, der damals verunglückte polnische Bauarbeiter ist seither ein Pflegefall.

Von Ariane Lindenbach , Fürstenfeldbruck

Wäre der tragische Unfall auf einer Baustelle in Türkenfeld, bei dem ein Arbeiter in einer Kanalgrube von einem großen Lehmbrocken getroffen und schwer verletzt wurde, vermeidbar gewesen? Die Frage steht im Mittelpunkt eines Prozesses wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung am Amtsgericht Fürstenfeldbruck. Auf der Anklagebank sitzen der Geschäftsführer der Baufirma, 47, und der 50 Jahre alte Kapo. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wäre das Unglück, das den heute 45 Jahre alten polnischen Arbeiter und Familienvater zum Pflegefall machte, mit klaren Anweisungen und Vorschriften, nicht passiert. Fest steht, dass die Grube eine Tiefe von etwa zwei Metern hatte und dass sie laut Bauvorschrift bereits ab 1,25 Meter Tiefe seitlich abgesichert werden muss.

"Der Graben war weder in irgendeiner Art abgestützt noch sonst irgendwie gesichert", zitiert der Staatsanwalt aus der Anklage. Also hätten ihn die Arbeiter auch nicht betreten dürfen. Durch ihre Position dafür verantwortlich seien der Kapo, der damals den Minibagger bediente und die Arbeiter anwies, sowie der Geschäftsführer der Baufirma, der seit mehreren Jahren von diesen Vorschriften wisse und für deren Einhaltung sorgen müsse.

Unter Alkoholeinfluss

Die Verteidigerin des Geschäftsführers gibt dazu eine kurze Erklärung ab: "Entgegen der Anklage gab es regelmäßig Schulungen zur Sicherheit", außerdem hätten die Arbeiter das Alkoholverbot nicht eingehalten, spielt sie auf den Promillepegel des zweiten Arbeiters von etwa 1,7 an. Er war damals auch in der Baugrube gewesen, aber unverletzt geblieben; bei seinem Kollegen war die Messung aufgrund der schweren Verletzungen nicht möglich gewesen. Nachfragen beantwortet die Anwältin vorerst keine.

Ihr Kollege gibt für den 50-Jährigen "momentan keine Erklärung" ab. Kurz darauf schildert dieser jedoch auf eigenen Wunsch die Geschehnisse am Unfalltag. Er habe "ganz normal wie jeden Tag in der Früh besprochen", was an dem Tag zu tun sei. An jenem 6. Juni 2019 sei klar gewesen, "dass wir diese Verschalung am späteren Vormittag brauchen"; er habe beiden Arbeitern erklärt, dass sie darauf warten müssten, ihre Mittagspause wohl schon zwischen 10.30 und 11.30 Uhr machen müssten. Die Frage, ob er die Notwendigkeit dieser Verschalung für die eigene Sicherheit deutlich gemacht habe, beantwortet er so: "Ich habe ihnen gesagt, dass sie nicht hinuntergehen sollen." Und ergänzt: "Dass wir erst weitermachen können, wenn die Verschalung da ist."

Beanstandungen gegen Baufirma

Nach Einschätzung des Vertreters der Berufsgenossenschaft wäre der Unfall in der Weiherstraße in Türkenfeld vermeidbar gewesen, wenn man sich nur an die Vorschriften gehalten hätte. Der Maurer- und Betonbaumeister hatte die Unfallstelle besichtigt und sprach wiederholt von "durch ältere Leitungen gestörtes Erdgefüge". Sein Kommentar: "Ich würde bei dem Boden keine 1,25 Meter graben wollen ohne Absicherung." Der Zeuge nennt noch eine weitere Möglichkeit, um den Einsturz eines ausgehobenen Grabens zu verhindern, nämlich den Graben flacher auszuheben. Und kommt zu dem Schluss: "Scheinbar hat irgendwer irgendwelche Pflichten verletzt, sonst wäre der Unfall nicht passiert." Des Weiteren berichtet der Zeuge von einigen Beanstandungen gegen die Baufirma, allein 2019 wurde auf zwei weiteren Baustellen im Landkreis ein Baustopp verhängt.

Die Vernehmungsprotokolle der Polizei sind wenig aussagekräftig. Eines wurde ohne Dolmetscher gemacht, bei der Niederschrift des anderen lässt sich kaum zwischen den Fragen der Dolmetscherin und den Antworten des Arbeiters unterscheiden. Jener Arbeiter, der damals mit in der Baugrube stand, aber unverletzt blieb, ist der Ladung des Gerichts nicht gefolgt. Doch sein früherer Kollege ist mit seiner Frau gekommen. Der inzwischen 45 Jahre alte Mann hatte damals schwere Verletzungen an Leber, Lunge und in der Folge auch am Gehirn erlitten, die vor allem das Sprechvermögen beeinträchtigen. Im Gerichtssaal kann er seinen Geburtstag nicht nennen und zeigt auch sonst erhebliche Beeinträchtigungen.

Sieben Stunden Verhandlung

"Ich muss ständig bei ihm sein", schildert seine zwei Jahre jüngere Ehefrau die Unfallfolgen. Ihr Mann, einst "sehr arbeitsam und geschickt", könne sich zwar noch allein ankleiden und die Körperpflege verrichten, "aber er kann zum Beispiel nichts mehr kochen". Große Teile seiner linken Gehirnhälfte wurden zerstört. Wegen seiner Arbeitsunfähigkeit wurde ihm eine Rente in Polen zugesichert sowie von der deutschen Baugenossenschaft. "So wie es aussieht, wird er nicht mehr arbeiten können", beendet sie ihre Aussage. Gegen Ende der siebenstündigen Verhandlung führt ein Rechtsgespräch fast zu einer Verfahrenseinstellung gegen den 50-Jährigen. Der Prozess dauert an.

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