Ausstellung:Morgens Küche, abends Atelier

Giuseppe Tore

Ein festes Atelier hat Giuseppe Tore nicht. Je nach Laune malt er mal im Keller, im Wohnzimmer oder auch im Schlafzimmer.

(Foto: Günther Reger)

Kunst und Design faszinieren den 45-jährigen Giuseppe Tore schon seit seiner Kindheit. Aber erst vor wenigen Jahren hat er angefangen, seine Leidenschaft auszuleben. Nun zeigt er in einer Ausstellung erstmals vier seiner Gemälde

Von Anna Landefeld-Haamann, Olching

Als Giuseppe Tore zwölf Jahre alt war, drückte er sich die Nase an den Schaufenstern der Münchener Möbelgeschäfte platt. Er erträumte sich ein Leben umgeben von italienischen Lampen und Bauhausmöbeln, ein Leben fernab der muffigen, vollgestellten Gastarbeiterwohnung seiner Eltern. Da sei diese typische Schrankwand, Modell "Eiche rustikal", gewesen, voll mit eingestaubtem Schmarrn, dazu die korrespondierende Couchgarnitur - und Teppiche überall, auf den Böden, an den Wänden. "Ich habe mich nie wohlgefühlt in diesem komischen Durcheinander", erinnert sich der heute 45-Jährige. "Meine Eltern sind einfache Leute gewesen. Mein Vater war Spüler, meine Mutter hat in einer Apotheke geputzt." Für Teures aus dem Designerladen gab es also weder Geld noch begeisterte sich jemand so sehr dafür wie der junge Giuseppe, der sich schon damals vornahm: "Ich will einmal ganz anders Leben führen." Von Donnerstag, 14. April, an zeigt der Olchinger nun zum ersten Mal mehrere seiner Ölgemälde. Gleichzeitig ist es auch die erste Ausstellung der Künstlergruppe "Zeitlos", der er seit 2012 angehört.

Dabei begann alles ganz bodenständig: Mit einer Kochlehre in Ebersberg. Er sei da einfach so reingerutscht. Eine Berufsberaterin vom Arbeitsamt hatte ihm dazu geraten. "Wie so was halt passiert", sagt Tore. Aus seinem ursprünglichen Wunsch Schreiner zu werden, wurde nichts, denn seit seiner Geburt kann er nur auf dem linken Auge sehen. Ohnehin stellte sich das Kochen als kreativer und anspruchsvoller heraus, als er zunächst dachte. Ein paar Jahre später stand Tore dann vor der Entscheidung: "Entweder tobe ich mich im eigenen kleinen Restaurant bis zur Erschöpfung aus oder ich möchte ein Familienleben haben" Er entschied sich für Letzteres und kocht nun seit über 20 Jahren im Pflegeheim Elisabeth der Diakonie in Puchheim. Nachmittags um halb drei, wenn sein Arbeitstag vorbei ist und rund 150 Bewohner gesättigt sind, widmet sich der Küchenleiter der Kunst. Seine ersten Versuche mit Ölfarbe machte er mit Mitte 20. "Ich malte nichts Konkretes, alles war sehr abstrakt." Vorzeigbar waren die Bildern nach Tores Ansicht aber nicht: "Sie standen die meiste Zeit im Weg herum. Ich hab sie ständig nur hin- und hergeschleppt." Nach einer Kellerentrümplung landeten sie schließlich im Müll. Leider, sagt Tore.

Danach passiert jahrzehntelang, abgesehen von ein paar selbstgestalteten Fotobüchern, nichts. Aber an einem Nachmittag im Jahr 2012 dafür aber etwas Entscheidendes: Heimleiter Thomas Behr führte den Koch und Künstler in spe auf den Dachboden des Seniorenheims. "Die Bilder standen alle umgedreht an die Wände gelehnt. Man sah den aufgewirbelten Staub im Sonnenlicht. Was für ein magischer Moment", erzählt Tore. Was er an jenem Nachmittag zu sehen bekam, waren 40 großformatige Werke und unzählige Zeichnungen und Lithografien des einst renommierten und später nur noch wenig beachteten DDR-Künstlers Günter Firit, der in Puchheim gelebt hat. Heimleiter Behr wollte Firits Bilder ausstellen und wünschte sich, dass Giuseppe Tore ein Kunstwerk beisteuerte.

Seinen ersten Entwurf kritzelte Tore auf ein Stück Papier. "Machen Sie nur", lautete die Rückmeldung des Chefs. Ein Wochenende lang baute Tore in seinem Garten an einem Modell. Bemalte Schaschlikspieße mit weißer Farbe, leimte sie mit einer Heißklebepistole kreuz und quer aneinander, verkabelte Lämpchen. "Was soll das sein, ein Affengehe?", soll Behr gefragt haben. Am Ende waren nicht nur der Heimleiter und die Besucher von Tores Installation überwältigt. Dem Maler Günter Firit hätte sie sicherlich auch gefallen: Entstanden war ein großes Gerüst und Gewirr aus hölzernen Latten - siebeneinhalb Meter breit, vier Meter lang und zweieinhalb Meter hoch. Dazwischen hingen, steckten und lagen Firits Gemälde. Der Hintergrund war mit schwarzem Stoff verhängt. In Intervallen wechselten Farbe und Licht im Raum, sodass für einige Sekunden absolute Dunkelheit herrschte. "Ich hatte versucht mich in Firit hineinzuversetzen - in seine Depression, sein Innerstes. Ich wollte selbst spüren, wie es ist: das Gefühl des absoluten Nichts." Für die zweite Puchheimer Firit-Ausstellung im vergangenen November baute Tore gleich zwei Installationen - mit ähnlich durchschlagender Kraft wie schon drei Jahre zuvor.

Kunst, das sei für Tore etwas hoch Emotionales, das keinen Regeln folgt, sondern nur zwei Aufgaben hat: Das Herz berühren und den Kopf beschäftigen. Woher sein ästhetischer Schaffensdrang komme, habe er nie ergründen können: "Bei uns Zuhause in Pasing hat sich jedenfalls keiner für Kunst oder Design interessiert". Alles, was er erschaffe, entstehe zuerst tief in ihm und sei rein intuitiv. Kunsthistorische oder gar theoretische Bücher lese er selten. Mit nur einem Auge zu lesen sei anstrengend und mache ihn schläfrig. Viel lieber gehe er ins Museum. Als er im vergangenen Jahr durch den vierten Stock im Museum of Modern Art in New York lief, war von Müdigkeit keine Spur. "Ich bekam Gänsehaut und, das klingt jetzt verrückt, die blieb über eine halbe Stunde lang auf meiner Haut." Picasso und Salvador Dalí hatten ihn überwältigt. New York selbst war für ihn unerträglich - die Hochhäuser und das nimmer endende Lichter-Lärm-Chaos am Times Square, kein Stillstand.

Aber immerhin: Dieses Lebensgefühl konnte ihn zu seinen neuen Werken inspirieren

. Die vier monochromen Ölbilder setzen sich mit dem fremdgelenkten Menschen in der technologisierten Moderne auseinander. "Hoffentlich konnte ich das rüberbringen." Selbst jetzt, wenige Tage vor Ausstellungsbeginn, ist Tore unsicher. Der Druck sei hoch. Nach den allseits gelobten Installationen, zeige sich nun, ob er auch als Maler bestehen könne.

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