Ausstellung in Haus 10:Reduziert auf die Essenz der Dinge

Andreas Reichel ordnet seine Kunst dem von ihm erfundenen System "Reichsapfelsaftkunde" unter. Das klingt sperrig, ist aber ein spannendes Koordinatensystem, in dem sich der Betrachter leicht verlieren kann

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

An seiner Welt oder besser gesagt dem künstlerischen System der "Reichsapfelsaftkunde" arbeitet Andreas Reichel nun bereits seit knapp zwei Jahrzehnten. Was so sperrig klingt, ist ein ausgefeiltes künstlerisches Koordinatensystem, das sich an feste Regeln hält und anhand von drei Protagonisten und einem zentralen Symbol erzählt wird, dem namensgebenden Reichsapfel, der, stark verkürzt, als Zeichen für die Welt und die Verantwortung des Menschen für sie steht. Im Haus 10 gibt der Künstler nun einen Einblick in seine Kunde. Für den Besucher keine süße Kost, aber ein Erlebnis, in dem man sich schnell verlieren kann - im positivsten Sinne.

Haus 10

Der Reichsapfel in verschiedenen Variationen ist ein zentrales Motiv in der Kunst von Andreas Reichel.

(Foto: Günther Reger)

Und so nimmt Reichel seinen Besucher auch ganz bewusst nicht an die Hand. Er wirft ihn in einen - pink-roten - Ozean und schreit ihm geradezu entgegen: Streng dich an und schwimm oder geh unter! Weil die Freiheit der Kunst in unserer Gesellschaft heute selbstverständlich ist und die Selbstverständlichkeit von den meisten Künstlern nicht hinterfragt wird, schränkt Reichel sie für sich selbst streng ein. Er gibt sich einen klaren Regelkatalog, dem er folgt. Beispielsweise verwendet er ausnahmslos alles Material, was in sein Atelier kommt für seine Kunst. Es gibt keinen Müll, keine Verpackung, nichts bleibt übrig. Alles wird in Kunst transferiert. Eine zweite Regel ist, dass er nur mit Rottönen und Ocker arbeitet. Zudem baut er seine Malerei von unzähligen Punkten als zentralem Element auf - in ihnen spiegelt sich auch die Form des Reichapfels wieder.

Haus 10

Die Raumhäute greifen die Umgebung auf, haben sonst aber keine Koordinaten, an denen sich der Betrachter orientieren kann.

(Foto: Günther Reger)

Diesen versteht der 55-Jährige, wie bereits andeutet, auch als Symbol für die Welt. Damit ist man bei seiner wichtigsten Figur, der "gehörlosen Wiese". Gehörlos, weil sie niemandem gehört. Und so sammelt er gerne auf fremden Wiesen Material. Etwa, wenn er sich das Gras von einem frisch gemähten Fußballfeld geben lässt, es zu Heu trocknet (weil grün keine Farbe ist, mit der er arbeiten kann, Ocker schon) und daraus zwölf Reichsäpfel schafft.

Haus 10

Lorel zeigt einen stilisierten Frauenkopf aus alten Lappen - denn der Künstler verschwendet kein Material.

(Foto: Günther Reger)

Transformation ist für Reichel ein wichtiger Begriff. Alles, was er zeigt oder verwendet, ist das Produkt eines Transfers. Daher rührt auch der "Saft" in der Reichsapfelsaftkunde. Er soll ausdrücken, dass hier eine Essenz zu sehen ist.

Zentrales Element der Ausstellung sind Reichels Raumhäute. Sie haben keine Komposition, keinen Anfang und kein Ende. Mit roten Punkten auf weißem Untergrund - nur einmal ist es umgekehrt - erschafft er "Augenweiden", die den Betrachter zur Auseinandersetzung herausfordern. Dabei haben sie stets einen Bezug zum Landkreis. Dafür hat Reichel eine 20 Quadratkilometer große Karte studiert und alle Flächen auf denen es Gras gibt herausgesucht. Einige von ihnen, die sich in sein Regelwerk eingliedern, hat er in solche Wandhäute transferiert. Etwa Wildenroth (rot), Zitzstauden (Staude) und Jesenwang, das bei ihm zu Jessewang wird. Weil Jesse sowohl ein Begriff für Jesus (Der in der Kunst als Motiv des Christus auf der Wiese auftaucht) als auch für "gären" ist. Wang wiederum kommt von Wiese und Paradies. Es zeigt sich schnell, dass es bei Reichel keine Zufälle gibt. Alles steht in Bezug zueinander, mit Sprache und Begriffen geht der Künstler präzise um.

Dass es bei ihm nicht nur ernst zugeht, zeigt ein Schaukasten. Darin befindet sich ein Stoff-Herz. Es ist, da ist sich Reichel sicher, das Herz Ludwigs des Bayern, das in der Klosterkirche beigesetzt worden sein soll. Wo genau, das wusste man allerdings nicht - bis heute.

Ausstellung "Reichsapfelsaftkunde" Haus 10 Fürstenfeldbruck, Vernissage am Freitag, 20. Oktober, von 19.30 Uhr an. Danach zu sehen bis zum 5. November, jeweils freitags von 16 bis 18 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr

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