Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Germering:Spiel mit dem Verborgenen

Eine Retrospektive in der Stadthalle zeigt Werke von Constanze Wagner. In vielen ihrer Arbeiten bleibt die Künstlerin im Vagen, es gibt Lücken und Risse. Eben ganz so, wie im Leben und der Gesellschaft auch

Von Ariane Lindenbach

Die Konturen auf Constanze Wagners Stillleben verschwimmen wie auf einer unscharfen Fotografie. Erst auf den zweiten Blick kann der Betrachter den Apfel von der Birne unterscheiden. Beides hat die in Südafrika geborene und seit 1973 in Deutschland lebende Künstlerin in ihrem Werk "Simply simple things" in Ölfarben auf Leinwand gebannt. Das Obst liegt auf weißem Tuch, vermutlich auf einem Tisch, doch diese Interpretation bleibt wegen der Unschärfe schon dem Betrachter überlassen. Das Werk hängt mit einigen anderen Stillleben und vielen weiteren Bildern, Collagen und Texten noch bis zum Sonntag in der Stadthalle. Die in Germering lebende Wagner, die ihre Werke immer in Spiegelschrift signiert, zeigt dort eine Retrospektive ihres Schaffens. Constanze Wagner hat an der Universität Pretoria, Südafrika, Kunst studiert und ist seit 1978 Dozentin an der Volkshochschule Germering. Sie hat den Kunstverein Germering gegründet und, neben etlichen anderen Auszeichnungen, den Kulturpreis der Stadt Germering erhalten. Dieses Engagement über Jahrzehnte ist nun in eine Ausstellung in der Stadthalle gemündet, die das künstlerische Schaffen Wagners umfassend abbildet.

Es gibt dort vier Zeichnungen in Mischtechnik auf Papier von 1989, alle mit dem Titel "Husch, husch, in den Krieg". Sie zeigen drei Männer und einen Jungen, jeder auf einem Bild, jeder mit weißen Verbänden umwickelt, die Mienen vom Leid verzerrt, die Körper teilweise in hilfloser Kauerstellung. In Anbetracht der Jahreszahl könnte es eine Mahnung an den damals gerade zu Ende gegangenen Krieg Russlands gegen Afghanistan sein. Oder die beiden Werke auf Wellblech am Eingang. Wagner hat sie farbig bemalt und Zeitungsausschnitte, teils vergrößert, teils als Collage, über die politischen Geschehnisse im Südafrika der Achtzigerjahre darauf geklebt. Dazu passt, dass die Germeringerin in ihren Texten, die an einer Stellwand im Stadthallen-Forum hängen, von ihrem "innigen Wunsch nach baldiger Demokratisierung des afrikanischen Kontinents" schreibt.

In den Erläuterungen ihrer Bilder geht Wagner auf das "Crosspiece" ein, das Kreuzstück; das Thema bestimmt in verschiedenen Variationen - gemalt, gezeichnet, als Collage - einen großen Teil der Retrospektive. Sie habe sich mit dieser Form als Stützsystem beschäftigt, es komme sowohl in der Architektur als auch beim Menschen vor. Und die Eigenart der Künstlerin, diese Kreuze nicht nur in Farbe auf Papier zu bannen, sondern auch als Collagen zu realisieren, oft aus Sackleinenartigem Material mit verschiedenartigen Strukturen gefertigt, lässt auf ihren Werken Risse und kleine Leerstellen zurück. Diese Teile seien zwar durch Klebstoff miteinander verbunden, doch die Risse würden immer sichtbar bleiben - so wie Brüche in einer Biografie oder die Geschichte einer Gesellschaft nie ganz verschwinden, schreibt Wagner sinngemäß. Offen bleibt die Frage, ob der Besucher zu viel in "Cross Piece 10" hineininterpretiert, wenn er hinter der kreuzförmigen Collage aus Hochglanzpapier, das grobstrukturierten Sackleinen täuschend echt abbildet, vielleicht sogar eine menschliche Gestalt zu erkennen vermeint.

Das Spiel mit dem Vagen, Hintergründigen, Verborgenen scheint Constanze Wagner zu liegen. Denn immer wieder tauchen ihre Motive aus dunklen Hintergründen auf, schemenhaft fast, wenngleich sie deutlich zu erkennen sind. Das ist bei den Kreidezeichnungen "Used People" so, die Menschenkörper in Bewegung und menschliche Gesichter mit verschiedenen Mimiken zeigen. Und auch bei den großformatigen Bildern in Mischtechnik mit dem Titel "Gang-Art". Sie zeigen, fast wie bei einer Kamera, die kurz hintereinander mehrere Bilder macht, Bewegungsabfolgen. Da sie in dunklen Braun- und Blautönen gehalten sind, treten auch hier die Motive ähnlich wie aus einem Nebel erst allmählich zutage.

"Constanze Wagner: Retrospektive"; Stadthalle Germering bis Sonntag, 6. Oktober, Samstag, Sonntag 14 bis 18 Uhr; Eintritt frei

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SZ vom 05.10.2019
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