Süddeutsche Zeitung

Attraktion für Ausflügler:Das Klappern auf dem Schlauchturm

Im kleinen Ort Kottgeisering am Rande des Ampermooses nistet wieder ein Storchenpaar auf dem Feuerwehrhaus. Im Vorjahr wurde erstmals ein Junges flügge. Nun bietet sich eine weitere Nistmöglichkeit - gleich neben der Sirene

Von Heike A. Batzer, Kottgeisering

Für Vogelbeobachtung braucht man bisweilen viel Geduld: stundenlanges Stillsitzen im Versteck, und das Ergebnis ist: nichts. Oder man hat den Zufall auf seiner Seite oder einfach nur Glück und fährt an einem Vormittag im April durch den 1500-Seelen-Ort Kottgeisering, und auf einmal kreisen fünf Störche in der Luft. Was für ein Anblick. Majestätisch gleiten die Vögel, die bis zu einem Meter groß werden können, unter dem an diesem Tag blauen Himmel, die weit ausgebreiteten schwarz-weißen Schwingen schlagen in ruhigem Takt. Fliegen sie tief genug, sind der lange rote Schnabel und die langen roten Beine zu erkennen. Wenig später schweben sie regelrecht vom Himmel herab und nähern sie sich wieder den Nestern.

In Kottgeisering haben sie den Störchen einen Nistplatz auf dem Schlauchturm des Feuerwehrhauses eingerichtet. Im Vorjahr gab es erstmals eine Brut, ein Junges wurde flügge. Nur etwa 60 Meter Luftlinie entfernt gibt es seit kurzem einen zweiten Horst, auf dem Dach der Gemeindebücherei - gleich neben der Sirene. Es ist der Horst, der zunächst auf einem Stadl am Ampermoos angebracht, aber nicht angenommen worden war. Man hat die Nisthilfe deshalb versetzt - dorthin, wo sich die Störche gerne aufhalten: in die Ortsmitte.

Dieter Eder wohnt auch in der Ortsmitte, gleich um die Ecke. Vom Küchenfenster aus kann er direkt auf den Schlauchturm sehen. Jeden Morgen geht er zum Fenster und wirft als erstes einen Blick auf das in 16 Metern Höhe thronende Nest. Der 59 Jahre alte Servicetechniker beobachtet die Störche regelmäßig. Als Experten sieht er sich dabei nicht, Ornithologe ist er auch nicht. Eder hat einfach Interesse daran, dass die Störche in Kottgeisering heimisch werden können. Die Störche seien beeindruckend, sagt er, "allein von der Größe, wenn ein solcher Vogel fliegt".

So wie die fünf Störche, die sich auf einmal gleichzeitig in der Luft befinden. Denn Neulinge sind im Anflug. Das Storchenpaar, das den Horst auf dem Schlauchturm bezogen hat, fliegt aufgeregt hoch, einer nach dem anderen, und versucht, die Eindringlinge zu verscheuchen. Wieder auf ihrem Horst angekommen, beginnen die beiden, den Kopf weit zurückzuwerfen und mit dem Schnabel zu klappern. Eine Begrüßung, die die Störche sonst auch mit einem Klappern begleiten, ist das nicht, sondern ein Zeichen, dass sie die Konkurrenz vom Nest fern halten wollen.

Steckbrief Weißstorch

Die Bestände des Weißstorchs sind bis in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts stark zurück gegangen. Der Tiefpunkt war laut dem Naturschutzverband Nabu 1988 mit weniger als 3000 Brutpaaren in Deutschland erreicht. Das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) führt den Rückgang vor allem auf die intensive Landwirtschaft mit ihrem Einsatz von Kunstdünger und moderner Technik zurück. Wiesenlandschaften hätten sich in "Agrarsteppen" verwandelt, so das LfU. Die heute dominierenden Intensivwiesen und -weiden würden keine Nahrung für den Storch - Frösche, Eidechsen, Mäuse, Heuschrecken und andere Insekten - bieten.

Seit 1984 gibt es ein Artenhilfsprogramm für den Weißstorch, das ein regelmäßiges, bayernweites Bestands- und Brutmonitoring durchführt und sich um die Wiederherstellung feuchter, ausgedehnter Grünlandbereiche als Lebensraum und Nahrungsquelle für den Storch kümmert sowie um die Förderung von Nistmöglichkeiten. Seit den Neunzigerjahren erholen sich die Bestände. 2017 brüteten mehr als 6700 Weißstörche in Deutschland und zogen 11 000 Junge groß.

Brutzeit der Störche ist von Anfang April bis Mitte Juni. Laut Landesbund für Vogelschutz (LBV) legen Störche ein bis sieben, zumeist jedoch zwei bis vier Eier und brüten 31 bis 32 Tage. Sind die Jungen geschlüpft, erreichen sie nach etwa sieben Wochen die Größe der Altvögel. Sobald der Schnabel der Jungtiere nicht mehr dunkel, sondern rot ist, sind sie von den Elterntieren nicht mehr zu unterscheiden.

Das Überleben der Störche ist nicht nur durch die Lebensraum- und Nahrungssituation gefährdet, sondern auch durch die Gefahren beim Vogelzug und durch Stromleitungen. Laut LBV sterben mehr als die Hälfte aller Weißstörche in Bayern durch Stromschlag und Zusammenstöße mit den Leitungen. Besonders häufig betroffen sind Jungstörche während ihres ersten Lebensjahres. Der LBV kritisiert, dass die Netzbetreiber die gefährlichen Leitungen noch immer nicht zur Gänze gesichert hätten, obwohl dies laut Bundesnaturschutzgesetz bis 2012 erledigt sein sollte. baz

Gerne nehmen Störche auch ungewöhnliche und ungeeignete Orte als Nistplätze ein. In Mammendorf wurde kürzlich ein Storch auf dem Kamin der zum Abriss frei gegebenen ehemaligen Molkerei gesichtet. In Landsberg nisten die großen Vögel auf dem Schornstein der Justizvollzugsanstalt und in Weilheim mussten die Störche, die sich den Kamin des Stadttheaters ausgesucht hatten, umgesiedelt werden.

Künstliche Nisthilfen erweisen sich als ideale Unterstützung. In Kottgeisering haben sie schon vor zwanzig Jahren ein zunächst hölzernes Storchennest installiert, das im Laufe der Jahre kaputt ging. 2011 schafften sie dann über ein Förderprogramm des Landschaftspflegeverbands erneut zwei Nester an, diesmal aus einer Stahlkonstruktion mit 1,50 Meter Durchmesser. In Dieter Eder, Willi Huss, Christian Bichler und Florian Fiedler fand sich eine Gruppe zusammen, die sich nun regelmäßig darum kümmert. Auch jetzt wieder, als das Nest vom Ampermoos ins Dorf gebracht und mit Hilfe einer Hebebühne auf das Büchereigebäude gehievt wurde. Als Grundausstattung erhielt das Nest kleine Äste und Eichenlaub, darunter Schilf, damit der Boden wasserdurchlässig bleibt. Auch das Nest auf dem Schlauchturm wurde neu ausgepolstert. Die Störche bauen dann selbst weiter, bringen laufend eigenes Nistmaterial herbei und türmen das Nest immer mehr auf.

Nach dem Bruterfolg im Vorjahr beobachtet Dieter Eder mit Freunde, dass die Störche in diesem Jahr zurückgekommen sind. Früher sind sie diesmal dran. Am 23. Februar traf das Männchen ein, das immer als erstes am Horst ist, am 15. März das Weibchen. Die Daten sind beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) auf einer eigenen Storchenhorstkarte für ganz Bayern dokumentiert. Kottgeisering ist der einzige Ort im Westen von München, an dem ein Storchenhorst verzeichnet ist. Weitere finden sich in Dießen am südwestlichen Ammerseeufer. Die meisten in Oberbayern, nämlich gleich 15, gibt es in Raisting im Landkreis Weilheim-Schongau. Dort hat sich Dieter Eder auch Ratschläge für den Umgang mit den Störchen geholt.

In Kottgeisering hat er jüngst erneut beobachtet, wie wieder fünf Störche über der Ortsmitte kreisten. Er vermutet, dass es sich um Jungstörche handelt, die noch ohne Nest sind. Bislang freilich ließ sich keiner fest auf dem zweiten Horst nieder. Der Standort gilt dennoch als vorteilhafter als jener am Rande des Ampermooses, auch "weil Störche Kulturfolger sind", wie Dieter Eder sagt. Auf dem Schlauchturm könnte sich indes bereits neues Leben regen. Dieter Eder hat mitgezählt: Die 31 Tage seien vorüber, in denen die Störche überwiegend auf dem Nest saßen. Nun würden die Abstände kürzer, zu denen man einen oder beide Störche stehend im Nest sieht. Eder vermutet, dass sie jetzt häufiger aufstehen würden, weil bereits eines oder mehrere Jungvögel geschlüpft sein könnten. Er muss das Verhalten der Vögel deuten, denn Hineinsehen ins Nest kann er nicht. Im Vorjahr hatte er an einem Fenster auf dem Dachboden seines Hauses eine Kamera installiert, mit der er die Störche näher heranzoomen konnte. Detaillierte Einblicke erlaubte aber auch die Kamera nicht. Für Dieter Eder ist das in Ordnung. Er erzählt von einer Drohne, mit der jemand im vorigen Sommer versucht hatte, sich zumindest optisch Zutritt ins Storchennest zu verschaffen. Das habe die Vögel aufgeschreckt.

"Für mich sind es immer noch Tiere", sagt Eder. Deshalb gibt es auch keine Namen für die Störche. Mutmaßlich aber sind es dieselben aus dem Vorjahr, weil sie als nesttreu gelten. Wo sie den Winter verbracht haben, ob in Spanien, Portugal oder gar in Afrika oder ob sie zur zunehmenden Zahl an Störchen gehören, die über den Winter hier bleiben, ist nicht bekannt.

Im Vorjahr wurde ein zwei Tage altes Junges tot am Boden liegend gefunden, ein Jungvogel aber wurde flügge. "Wenn man sich engagiert, dann sieht man den Erfolg", freut sich Eder und verweist darauf, dass "es mit dem Nestbau allein aber nicht getan ist". Auch der Einbau der Sohlschwelle an der Amper und das "Wiesenprogramm für die Landwirte" hätten positiven Einfluss auf Nahrungsangebot und Leben der Störche. Wie sehr das Kottgeiseringer Storchennest auch Attraktion geworden ist, kann er immer dann beobachten, wenn "Leute mit dem Radl kommen und stehen bleiben". Im Vorjahr hat Eder miterlebt, wie der kleine Storch groß geworden ist. Bis er mit "Flatterübungen" begann, dann "zwei Meter über dem Nest schwebte" und schließlich zu seinem ersten Kurzflug abhob. Und eines Tages, Ende September - und damit schon reichlich spät im Jahr -, seinen Geburtsort endgültig verließ. Wo er geblieben ist, ob er überhaupt überlebt hat, weiß man nicht. Man gehe einfach davon aus, sagt Dieter Eder, dass alles gut gegangen ist.

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Quelle:
SZ vom 04.05.2019
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