Süddeutsche Zeitung

Asylpolitik:Gute Noten nützen nichts

Sie ist mit ihrer Familie aus Tschetschenien geflüchtet und tut alles, um in Deutschland leben und lernen zu können. Doch das Landratsamt Fürstenfeldbruck sieht keine Chance für den Asylantrag der 17 Jahre alten Samira und verweigert ihr deshalb eine Arbeitserlaubnis

Von Julia Bergmann

Sobald Samira Batukaeva nachts im Bett liegt, fangen die Gedanken in ihrem Kopf an zu rasen. Alle anderen in ihrer Klasse haben eine Ausbildung Anfang September begonnen. Nur sie nicht. Nicht, weil sie nicht wollte oder keinen Platz gefunden hat, sondern weil das Landratsamt es nicht erlaubt. Samira, 17, die eigentlich anders heißt, aber nicht erkannt werden will, lebt zusammen mit ihren Eltern in einer Asylbewerberunterkunft in Olching. Die Familie floh 2015 aus Tschetschenien und gibt dafür politische Gründe an. Das Asylverfahren läuft noch, aber das Landratsamt stuft die Aussicht, dass sie bleiben darf als gering ein. Für Samira heißt das, es gibt keine Arbeitserlaubnis.

Auf den Zeugnissen der jungen Frau strahlen jedem, der es sehen will, gute Noten entgegen, auf ihren Praktikumsbescheinigungen attestiert ihr ein früherer Arbeitgeber Fleiß und "großes Potenzial", ein Zertifikat bestätigt ihr Deutschkenntnisse auf dem Niveau B 1, fortgeschrittene Sprachverwendung. Wer sich mit dem Mädchen unterhält, stellt fest, dass sie keine Probleme hat, eine lange Unterhaltung über Bleibeperspektiven, Aufenthaltsgestattungen, Gerichtsverfahren und Fluchtursachen auf deutsch zu führen. Und trotzdem hält sie ein Schreiben des Landratsamts in ihren Händen, in dem es heißt, Samira zeige keinen Integrationswillen und könne ihre Sprachkenntnisse nicht nachweisen.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Mitarbeiter aus dem Landratsamt. Nachdem Samira einen Ausbildungsplatz in einer Praxis im Landkreis angeboten bekommen hatte, hieß es nicht nur, sie werde keine Arbeitserlaubnis bekommen. Der Mitarbeiter soll sogar bei ihrer potenziellen Chefin angerufen und Lügen über sie verbreitet haben. "Er hat gesagt, ich habe Probleme mit der Polizei und ich bin nicht integriert. Das stimmt alles nicht", sagt Samira.

Als Irmelin Kölle, die Asylhelferin, die die Familie betreut, von der Sache erfuhr, habe sie den Mitarbeiter damit konfrontiert. Kölle sagt: "Er hat sich bei mir für die Sache entschuldigt und gesagt, es sei ein Missverständnis gewesen. Es gebe ja so viele Flüchtlinge, die momentan eine Arbeitserlaubnis für eine Ausbildung beantragen." Die ganze Sache soll eine Verwechslung gewesen sein. Ein vermeintlicher Irrtum, der Samira zugesetzt hat. "Selbst wenn es stimmen würde, könnte er doch nicht einfach solche Dinge über mich weitergeben", sagt Samira. Sie ist entsetzt.

Auch sie selbst habe den Mitarbeiter auf das Telefonat angesprochen. "Ich wollte wissen, warum er das getan hat", sagt sie. Er soll ihr geantwortet haben, die Angelegenheit sei geklärt und wenn sie weiter auf dem Thema herumreiten wolle, müsse er einen anderen Ton anschlagen. Eine Drohung? Mit den Vorwürfen konfrontiert, heißt es aus der Rechtsabteilung des Landratsamts: "Die Missverständnisse wurden in der Zwischenzeit aufgeklärt und haben mit der Sachentscheidung nichts zu tun." Dass es das Telefonat mit Samiras potenzieller Chefin gegeben hat, streitet die Kreisbehörde nicht ausdrücklich ab. Auch nicht, dass ein Gespräch darüber zwischen dem Mitarbeiter und Samira stattgefunden hat. Nur eines betont die Juristin: "Festzuhalten ist, dass es weder Druck noch Drohungen gegeben hat."

Fast zwei Monate sind vergangen, nachdem Samira das Schreiben aus dem Landratsamt erhalten hat, in dem man ihr mangelnden Integrationswillen unterstellt. Es handelte sich um ein Anhörungsschreiben. Mittlerweile hat Samira die endgültige Ablehnung der Arbeitserlaubnis bekommen. Obwohl sie sämtliche Zeugnisse und Zertifikate vorgelegt hat. Obwohl sich der Anwalt, der für das Asylverfahren der Familie zuständig ist, eingeschaltet hat. Und obwohl man nun auch in der Behörde der Meinung ist, die Dokumente seien Integrationsnachweise. "Diese wurden in der Entscheidung berücksichtigt. Die schlechte Bleibeperspektive wiegt aber schwerer als die nachgewiesenen Integrationsleistungen", heißt es dazu aus dem Landratsamt.

Trotz der sich immer weiter zuspitzenden politischen Lage in Tschetschenien haben Flüchtlinge aus dem Nordkaukasus bisher tatsächlich kaum eine Perspektive in Deutschland. Dem moskautreuen Präsidenten der russischen Teilrepublik, Ramsan Kadyrow, werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Kritiker der Regierung riskieren in Tschetschenien Gefangenschaft und Folter. Auch Samiras Vater Ruslan Batukaev und sein Sohn sagen, sie seien inhaftiert und gefoltert worden. Einer ihrer Verwandten, der bereits seit Jahren im Ausland lebt, ist politisch aktiv und äußert sich öffentlich kritisch über Kadyrow und Putin. Das soll letztendlich auch Ruslan und seiner Familie zum Verhängnis geworden sein.

Dass die Bleibeperspektive für Tschetschenen grundsätzlich nicht gut ist, bestätigt auch Willi Dräxler, Caritas-Fachreferent für Migration. Er stellt aber fest, dass es sich bei jedem Asylgesuch um eine Einzelfallentscheidung handle, man also zur konkreten Perspektive für die Familie Batukaev keine pauschale Antwort geben könne. Roman Dworkin, der auf Ausländerrecht spezialisierte Rechtsanwalt der Familie geht davon aus, dass das Asylverfahren für die Familie positiv entschieden wird. "Es gibt Dokumente und Aussagen der ehemaligen tschetschenischen Nachbarn, die beweisen, dass die Familie politisch verfolgt wird", sagt er. Was die Arbeitserlaubnis für Samira angeht, erklärt der Anwalt, aus seiner Sicht seien gerade in Bayern die Hürden für eine Genehmigung sehr hoch. Dräxler sagt etwas Ähnliches über den Landkreis Fürstenfeldbruck: "Landrat Thomas Karmasin ist bekannt für seine harte Linie". Im Landkreis München etwa sei es in ähnlichen Situationen wesentlich leichter eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, die Behörden hätten einen Ermessensspielraum. "Das erzwungene Nichtstun ist Gift für alle Beteiligten", findet Dräxler. Für Samira ist es das gewiss. Ihre Situation belastet sie extrem. Nicht nur nachts, wenn die Angst um die Zukunft sie wachhält.

Es sind viele Sorgen, mit denen sich die 17-Jährige herumschlagen muss. "Sie hat viel geweint", sagt Lisa Batukaeva, die Mutter des Mädchens. Lisa und ihr Mann Ruslan wünschen sich für ihre Tochter das Beste. Dass das nicht geht, tut ihnen weh. Sie müssen das nicht extra sagen. Man sieht es in ihren Augen und hört es in ihrer Stimmen. Die Geschichte nimmt sie mit, trotzdem bleiben sie ruhig, sachlich und immer freundlich. Ruslan betont: "Viele deutsche Menschen haben uns sehr geholfen." Sie wollen auf keinen Fall undankbar wirken.

Gegen die Ablehnung von Samiras Antrag auf eine Arbeitserlaubnis will ihr Rechtsanwalt klagen. Das Ausbildungsjahr hat zwar schon begonnen, aber Samiras potenzielle Chefin will ihr die Stelle freihalten. "Sie sagt, sie wartet auf mich, sie unterstützt mich sehr. Das brauche ich auch", sagt Samira. Sie will nicht aufhören zu hoffen.

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Quelle:
SZ vom 02.10.2018
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