Süddeutsche Zeitung

Asylbewerber:Mehr Betreuung und Beschäftigung

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In der Fürstenfeldbrucker Flüchtlingsmassenunterkunft sollen sich die Lebensbedingungen der fast 800 Bewohner verbessert haben. Das versuchen Regierungsvertreter bei einem Besichtigungstermin zu veranschaulichen

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Regierung versucht, die Lage in der Anker-Dependance beim Fliegerhorst durch mehr Betreuung für Frauen und Kindern sowie Minijobs zu entspannen. Außerdem führt die Polizei angeblich keine Razzien mehr wegen Abschiebungen durch. Die Zahl der Bewohner ist mit 780 Personen wieder niedriger als im Herbst, als fast tausend Menschen dort lebten. Nach Angaben der Polizei sind die Einsätze zurückgegangen. Vertreterinnen des Münchner Flüchtlingsrats berichteten der SZ, die Situation habe sich etwas verbessert, aber nicht grundlegend. Es fehle ein richtiges Sicherheitskonzept für Frauen, niemand dürfe arbeiten, etliche müssten bis zu zwei Jahren dort bleiben. "Die Leute werden dort systematisch zermürbt", sagte Loulou Kinski. Die Gruppe fordert deshalb grundsätzlich, solche Lager zu schließen.

Am Dienstag hatte die Regierung Journalisten zu einem Rundgang eingeladen, nachdem seit Monaten eine Besichtigung erbeten worden war. Regierungspräsidentin Marie Els und Lars Pfaff, der Leiter der Einrichtung, führten die Gruppe durch die Gänge des Frauen- und des Familientrakts. Der Männertrakt werde aus Zeitgründen ausgelassen, erklärte Pfaff. Sie präsentierten eine Berufsschulklasse, die Kinderbetreuung, den Computerraum, die medizinische Abteilung sowie die Kleiderkammer des Roten Kreuzes im früheren Luftwaffensaal. Der Raum für die Hausaufgabenbetreuung für Grund- und Mittelschule ist mangels Kinder dieser Altersgruppe momentan ungenutzt.

Außerdem führten sie ein leeres, etwa sechzehn Quadratmeter großes Zimmer mit drei Stockbetten und Spinden vor. Es gibt auch größere Zimmer mit mehr Betten, darunter Räume, die so aufgeteilt seien, dass zwölf Personen untergebracht werden könnten, erklärte Pfaff. Wie es in belegten Zimmern aussieht, vollgestopft mit Bettzeug, Kleidung und anderen Utensilien, konnten Besucher erahnen, wenn sich gelegentlich eine Tür kurz öffnete. Von außen war zu sehen, dass Fenster mit Pappkartons, Decken oder Mülltüten verhängt sind, auf Fensterbrettern stehen Milchtüten und andere Lebensmittel.

Das Kochen in den Zimmern ist verboten, auch aus Brandschutzgründen, was zu vielen Konflikten führt, weil sich Bewohner nicht daran halten und Kochgeräte ins Haus schmuggeln. Essen wird dreimal am Tag in der Kantine ausgereicht, es sei reichhaltig und entspreche den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, sagte Pfaff. Gleichwohl sind die Speisen für viele ungewohnt. Eine Ärztin im medizinischen Bereich sagte der SZ, viele Patienten kämen mit Bauchschmerzen, weil sie das Essen nicht vertragen würden. Außerdem gibt es rund um die Uhr Zugang zu heißem Wasser, um etwa Babybrei anzurühren. Kinski vom Flüchtlingsrat rügte, dass die Bewohner keine Gelegenheit hätten, selbst zu kochen, insbesondere für Kinder kleine Speisen zuzubereiten. Die Initiative steht jeden Dienstag am Vormittag mit einem Bus vor dem Eingangstor und bietet Hilfe an.

Die Toiletten in den beiden besichtigten Trakten waren offenbar frisch geputzt, so dass die Böden noch feucht glänzten. Pfaff sagte, dass ein zehnköpfiges professionelles Reinigungsteam ständig im Einsatz sei. Im ersten Stock des Frauentrakts befindet sich ein neues Büro, in dem Mitarbeiter des Landratsamtes künftig Taschengeld auszahlen. Es roch noch nach frischer Farbe. Die Flüchtlinge bekommen sogenannte Sachdienstleistungen, also Unterkunft, dreimal am Tag eine Mahlzeit in der Kantine, können öffentliche Verkehrsmittel benutzen und werden medizinisch versorgt. Dazu gibt es ein Taschengeld, 95 Euro für Alleinstehende, je 86 Euro für Paare. Inzwischen gibt es nach Angaben von Els in der Einrichtung 85 Jobs in der Kantine, bei der Pflege der Räume und Außenanlagen und als Ordner bei der Sozialberatung, wo Flüchtlinge für 80 Cent am Tag arbeiteten, was "gut angenommen" werde. Das generelle Arbeitsverbot, dass Asylhelfer seit Jahren kritisieren, besteht weiter.

Stattdessen bemühten sich die Behörden um Angebote, die den Flüchtlingen helfen sollten, ihren Alltag zu strukturieren, so Els. Derzeit würden Angebote für den Bereich Sport und Handwerk eingeholt und eine Fachkraft für die "aufsuchende Sozialarbeit" eingestellt, berichtete die Regierungspräsidentin. Bei der Sozialberatung der Caritas ist der Andrang weiterhin "riesengroß", sagte Monika Greszik, die Fachdienstleiterin. Die Vertreterin des Flüchtlingsrates sagte, die Sprechzeiten würden nicht ausreichen, oft würden Leute Schlange stehen, aber nicht drankommen.

Der Anteil der Nigerianer ist von 90 auf 72 Prozent gesunken, berichtete Els. Damit entsprach die Regierung Forderungen der Stadt. Bei der Pressekonferenz nach dem Rundgang versicherte die Regierungspräsidentin, dass keine Razzien mehr veranstaltet würden, wenn die Polizei jemanden abschieben müsse, ihn aber nicht in seinem Zimmer antreffe. Solche nächtlichen Aktionen hatten immer für Unruhe und Auseinandersetzungen gesorgt. Flüchtlinge aus Nigeria werden meist nach Italien gebracht, weil sie dort zuerst die EU betraten. Laut Monika Goriß, Leiterin der zentralen Ausländerbehörde der Regierung, habe man 2018 aus der Brucker Einrichtung 38 Personen abgeschoben, zehn seien freiwillig ausgereist, die meisten würden sich dieser Rückführung aber entziehen.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2019
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