Süddeutsche Zeitung

Armut:Wärmendes in der kalten Jahreszeit

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Die Pfarrei Sankt Magdalena und die Fürstenfeldbrucker Caritas bieten Bedürftigen jeden Freitag eine Mittagsmahlzeit an. Bis Weihnachten dürfte die kostenlose Suppenausgabe gesichert sein

Von Franziska Schmitt, Fürstenfeldbruck

Freitags dampft es jetzt vor der Kirche Sankt Magdalena in Fürstenfeldbruck. Nämlich immer dann, wenn die Ehrenamtlichen den Deckel vom Kochtopf nehmen und heiße Suppe ausgeben. Wer arm ist und bedürftig, darf sich anstellen, um jetzt in der kalten Jahreszeit eine warme Mahlzeit zu bekommen. Es ist ein Projekt von Kirche und Caritas, das gerade erst angelaufen ist.

"Die Leute trauen sich noch nicht. Es muss sich noch rumsprechen", sagt Doris Braumüller und öffnet den Suppentopf. Ein feiner heller Dunst entweicht in die kalte Luft, und die 85 Jahre alter Helferin befüllt aus dem 40 Liter fassenden Topf Pappschüsseln. Dazu gibt es Einwegbesteck, und auch Servietten liegen auf dem mit einer rot-weiß-karierten Tischdecke bedeckten Holztisch.

Doris Braumüller ist über die Ehrenamtsbörse des Landratsamts zu dem neuen Projekt gekommen. Sie findet es "richtig super". Der Andrang ist noch nicht so groß. Was sie an diesem Tag ausgibt, riecht herzhaft und deftig. Der Topf ist gefüllt mit einer gelblich-dickflüssigen Suppe. An der Oberfläche schwimmen dünn geschnittene Scheiben von Wienerwürstchen. Kartoffelsuppe mit Einlage und eine Semmel dazu, das ist das heutige Mittagessen .

Neben der Kirche steht ein Mann mittleren Alters und löffelt bereits zufrieden seine Suppe. Er ist im Gespräch mit Diakon Martin Stangl. "Ich finde es gut, dass so was über die Winterzeit angeboten wird", sagt der Mann, der zwar verrät, dass er auf der Straße lebe und vermutlich auch auf der Straße sterben werde, der aber anonym bleiben möchte. Seine Lebensgeschichte teilt er trotzdem gerne mit. Seit 30 Jahren ist er obdachlos und viel unterwegs. Den MVV-Bereich definiert er als sein Zuhause. Am liebsten sei er in Herrsching am Ammersee, sagt er und lächelt, in Fürstenfeldbruck wäre er nur noch selten. Viele seiner früheren Weggefährten habe es bereits dahingerafft, sagt er, und werden seine Gesten ausladender. Er erzählt, dass er einmal Maschinenschlosser gelernt habe, "auch richtig mit Gesellenbrief!". Schon früh sei er dem Alkohol verfallen, bereits mit 13 Jahren. Im Heim ist er aufgewachsen, weil seine Mutter mit Suchtproblemen zu kämpfen hatte. Besucht hat er sie nur ungern: "Sie hat sich nie um ihre Kinder geschert." Seinen Vater habe er nie kenngelernt, der sei früh gestorben.

Inzwischen hat sich eine blonde, gut gekleidete Frau mittleren Alters an den Tisch gestellt. Sie nimmt das Angebot dankend an und geht mit zwei Portionen Suppe wieder weg. Einer, der schon einen Teller Suppe bekommen hat, bittet um einen Nachschlag. Es ist noch genug da.

"Das Essen ist super," sagt der Obdachlose und setzt sein Gespräch mit Stangl fort. Die Frage kommt auf, wo er sonst etwas zu essen bekomme. "Pass auf, ich zeige es Dir gleich," sagt er. Einen Augenblick später zückt er sein Portmonee. Im hinteren Fach, welches für Geldscheine vorgesehen ist, steckt einiges an Papier. Nur keine Scheine. Stattdessen aber ein Vier-Euro-Gutschein der Metzgerei Boneberger aus Starnberg und fünf Gutscheine im Wert von jeweils einem Euro von Vinzenzmurr. "Die Fünf Euro reichen für zwei Leberkassemmeln," erklärt er. Außerdem sind da noch Gutscheine von Penny und Rossmann. Caritas und Pfarrämter geben einmal im Monat Gutscheine an bedürftige Menschen aus.

Am Ammersee bekommt er auch Unterstützung von Herrschingern. "Dort mache ich Schmales," sagt er und erklärt den Slangausdruck fürs Betteln: "Halt eben Klinken putzen." Einige Herrschinger kennen ihn bereits und helfen ihm mit Bargeld über die Runden. Dass er das Geld für seinen täglichen Alkoholkonsum ausgibt und nicht, um sich ein neues T-Shirt oder andere Sachen zu kaufen, das wüssten sie, meint er. Für diese Akzeptanz und Respekt sei er dankbar. Seine Haltung wird dabei aufrechter. Schon einige Male sei er gefragt worden, warum er nicht Hartz-IV beantrage. Für ihn ist das zu viel bürokratischer Aufwand. "Und dann fehlt hier noch ein Papier und dort wollen sie etwas wissen," sagt er und regt sich dabei etwas auf. Das sei für ihn eine große psychische Belastung. Fürs Erste ist er satt, er möchte Fürstenfeldbruck gleich wieder verlassen. Vorher lässt er sich noch eine Suppe einpacken und macht sich auf den Weg.

Gespräche wie dieses führt Diakon Martin Stangl nicht zum ersten Mal. Regelmäßig bietet er Seelsorgegespräche an. Das Wichtigste ist seiner Erfahrung nach das Zuhören. "Die Menschen wollen nicht hören, was sie tun sollen. Sie brauchen einfach einmal ein Ohr, das nur zuhört." Stangl ist in der Gemeinde für die Zusammenarbeit mit der Caritas zuständig. "Die Bedürftigen haben es jetzt doppelt schwer," meint er. Zu den eh schon schwierigen Lebensumständen kämen jetzt noch die Corona-Beschränkungen. Viele Angebote, wie etwa die Unterkünfte, würden nun wegfallen oder seien eben deutlich eingeschränkt.

Das Suppen-Projekt stand schon länger im Raum. "Corona hat da noch einmal den letzten Anstoß gegeben," sagt Ursula Diewald . Sie arbeitet für die Caritas und ist Organisatorin des Projekts. Neben der Unterstützung von bedürftigen und mittellosen Menschen möchte Diewald sich auch einen Überblick verschaffen und herausfinden, wie man noch weiter helfen kann. Finanziert wird die Initiative erst einmal von der Pater-Rupert-Mayer-Stiftung. Eine langfristige Finanzierungsmöglichkeit muss noch gefunden werden. Dank der Olchinger Firma Trendgo sind die ersten 500 Essen kostenlos. Damit werde man die Essen bis Weihnachten kostenlos anbieten können, glaubt Diewald. Danach würden sie höchstens 50 Cent kosten. Für die meisten sei das bezahlbar, so Diewald, für viele sei es sogar wichtig, etwas beizusteuern. Trotzdem sei man schon jetzt dankbar über Spenden, um auch in Zukunft das Mittagessen am Freitag anbieten zu können.

"Das Essen ist für alle Bedürftige" sagt Diewald. Damit richtet man sich nicht nur an Mittellose, sondern auch an Menschen, die nicht die Energie aufbringen, für sich alleine zu kochen oder sich einsam fühlen. Jeder ist willkommen, auch Familien mit Kindern. So wird allen Menschen, deren Weg an der Kirche vorbeiführt, freundlich eine Suppe angeboten. Es soll ein niedrigschwelliges Angebot sein. Das ist Stangl und Diewald besonders wichtig. Niemand muss sich namentlich in eine Liste eintragen oder seine Bedürftigkeit nachweisen.

Gekocht wird im Hofcafé in der Fürstenfeldbrucker Innenstadt, einem Beschäftigungsprojekt der Caritas. "Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen freuen sich immer über Projekte, mit denen sie helfen können und etwas Gutes tun", so Diewald. Um dieses Projekt auch zuverlässig stattfinden lassen zu können, braucht das Küchenteam noch Unterstützung durch eine Person für den Krankheitsfall, die die Küchenkräfte anleitet.

Jede Woche am Freitag zwischen 11.30 und 12 Uhr findet die Mittagsessenausgabe vor der St. Magdalena Kirche, Kirchstraße 4, statt. Unterstützt werden kann die Mittagsküche vor der Kirche durch ehrenamtliches Engagement oder durch Spenden.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2020
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