Süddeutsche Zeitung

An der Cerveteristraße in Fürstenfeldbruck:Außergewöhnlich und doch günstig wohnen

Im Westen der Stadt gruppieren sich außergewöhnliche Häuser um eine Blühwiese. Drinnen: avantgardistische Treppenhäuser, Gemeinschaftsraum. Draußen: Holzfassaden, Solaranlage, Beete für alle. Das Beste: Viele der Mietwohnungen sind sehr günstig.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Die Familie hat gerade anderes im Kopf als herausragende Architektur. Fünfeckige Häuser, Holzfassaden, ein Wasserspiel, luftige und schallgedämmte Treppenhäuser, die aus avantgardistisch anmutenden, farbenfrohen Eingangsbereichen nach oben streben und dabei fast frei zu schweben scheinen? Die Familie widmet sich am sonnigen Dienstagmittag lieber ihrem Gemüsebeet. Gerade das stimmige Gesamtkonzept, das kaum Wünsche offen lassen dürfte, ist das Beeindruckende an diesem Wohnquartier - und dazu gehört neben Glas, Holz, Beton und Wasser eben auch die Erde der Parzellen. Im vergangene Jahr wurden die sechs Häuser, die sich um eine Wiese nebst Abenteuerspielplatz gruppieren, fertiggestellt.

Die Münchner Architekten Christian Hadlich und Georg Götze nehmen sich viel Zeit, um dem Reporter das dreigeschossige Neubauprojekt an der Cerveteristraße zu erläutern, gelegen zwischen den Stadtwerken und einem Biotop. Beide haben in einem Köcher großformatige Pläne mit eingezeichneten Grundrissen und ein Modell aus Holz mitgebracht und sind sichtlich stolz auf die Gestaltung und natürlich auch auf Details rund um das Bauprojekt. Zu denen zählen die blühende Blumenwiese im Gemeinschaftshof ebenso wie die Handpumpen, mit denen das in Zisternen gesammelte Regenwasser hochgepumpt und für die Gartenparzellen genutzt werden kann, der große, von einer Sozialstation der Arbeiterwohlfahrt gemanagte Gemeinschaftsraum und die beiden Unterstände im Freien, die einladen zum gemeinsamen Feiern, die Bürgersolaranlage auf den Dächern sowie die vielen zum Laden von Elektroautos geeigneten und an den jeweiligen Wohnungszähler angeschlossenen Steckdosen in der Tiefgarage.

Klingt nach Highend-Wohnsiedlung für gehobene Ansprüche von Spitzenverdienern? In der Tat fallen für 50 Wohnungen Quadratmetermieten von 14 Euro an, wie Birgit Eckert-Gmell, eine der Geschäftsführerinnen des in München ansässigen Wohnungsunternehmens Igewo, erklärt. Der Clou: Weitere 43 Wohnungen sind im geförderten Wohnungsbau errichtet worden. Mieter zahlen hier je nach Einkommen zwischen sechs und acht Euro für den Quadratmeter. Die Stadt schlägt Bewerber vor, die Igewo erteilt den Zuschlag. Klar, dass alle Wohnungen, von einem bis zu vier Zimmern, längst belegt sind, drei davon mit Wohngemeinschaften.

Was Hadlich und Götze wichtig ist: Die Mieten sind unterschiedlich, die Wohnqualität aber ist gleich. Und klar, von der schicken Architektur profitieren alle, ob sie nun in den beiden "polygonalen Punkthäusern" oder den rechteckig geschnittenen Häusern leben, die als Riegel den Innenhof von der Straße oder den Stadtwerken abschirmen. Der Bauherr genießt in Fürstenfeldbruck einen guten Ruf. Nicht zuletzt im Stadtrat rechnet man der Igewo, die bald auch einen Teil des früheren Stadtwerkegeländes an der Amper bebauen wird, ihre soziale Ader an. Gleichwohl sei immer klar gewesen, dass im Westen der Kreisstadt keine Billigsiedlung, sondern architektonisch, energetisch und sozial etwas Besonderes und Wertiges entstehen soll, sagt Hadlich.

Den Weg dazu eröffnet die Bauweise mit einem Skelett aus Stahlbeton und einer Hülle aus sehr exakt vorgefertigten Holzelementen. In die Fassaden mit mineralisch lasierten Schalungen aus Weißtanne sind Vogel- und Fledermaushäuser integriert. Der anspruchsvolle KfW-55-Standard wird durch die Zellulosedämmung unterschritten. Natürlich hätte man auch noch mehr Geld in die Isolierung stecken können. Aber Hadlich lenkt den Blick auf Aufwand und Ertrag: Gerade die letzten Prozent Richtung Passivhaus erfordern hohen Materialeinsatz und sind besonders teuer. Als bester Kompromiss beim Energieverbrauch wurde ein anderer Weg gewählt: Auf den asymmetrisch geneigten Satteldächern sind auf fast 1500 Quadratmetern Photovoltaikmodule installiert. Sie sind durch ein siedlungsinternes Netz verbundenen. Die Mieter können sich daran beteiligen und damit von niedrigen Strompreisen profitieren.

Der verbleibende Wärmebedarf wird durch Fernwärme der Stadtwerke gedeckt. Originelles Detail: Wird im Raum einer Wohnung mal ein offen stehendes Fenster vergessen, regelt dort automatisch die Heizung herunter. Zur Kühlung im Sommer sollen die Rankgerüste an den großen überdachten Balkonen beitragen, an denen sich bereits die ersten Pflanzen nach oben hangeln. Die Gärten der Erdgeschosswohnungen, die Teil der von Landschaftsplanerin Uta Weingast konzipierten Außenanlage sind, werden durch eine eingeschossige Zeile vom Innenhof abschirmt, in der wiederum Fahrräder und Müllbehälter Platz finden.

Der Rundgang durch das Wohnquartier vermittelt den Eindruck, dass raffinierte Architektur sich mit hohem Nutzwert gut vereinbaren lässt und trotzdem nicht astronomisch teuer sein muss. Das sehen auch die Mieter so, die nun ihre Gartenwerkzeuge aus der Hand legen, den Tomaten den Rücken kehren und im avantgardistischen Treppenhaus dem Bullaugen-Oberlicht entgegenstreben.

Cerveteristraße 2a-h, Fürstenfeldbruck, Besichtigung: Sonntag, 26. Juni, 11 bis 11.15 Uhr sowie 13 bis 13.15 Uhr, Treffpunkt am Spielplatz in der Siedlung;

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