Arbeitsmarkt:Vom Golflehrer bis zur Prostituierten

Arbeitsmarkt: DIe Arbeitsagentur bietet derzeit 1595 offene Stellen an.

DIe Arbeitsagentur bietet derzeit 1595 offene Stellen an.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Mit der Pandemie hat sich auch die Klientel des Jobcenters Fürstenfeldbruck geändert. Weil die Behörde zudem die vielen Neuanträge so gut bewältigt, wurde es vom Arbeitsministerium nach Anregungen für das neue Bürgergeld befragt.

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Vom freiberuflichen Golflehrer bis zur Prostituierten haben beim Jobcenter Fürstenfeldbruck in den vergangenen beiden Jahren Menschen aus Berufen Anträge auf staatliche Unterstützung gestellt, die normalerweise eher selten dort auftauchen. Wegen der Corona-Pandemie hat sich die Klientel in der Behörde deutlich verändert. Außerdem hatten die Sachbearbeiter seit dem Auftauchen des Coronavirus mit deutlich mehr Fällen zu tun, als sonst. Weil es diesen Ansturm so gut bewältigt hat, bekam das Jobcenter unlängst Besuch von Mitarbeitern des Sozialministeriums: Die Mitarbeiter in Fürstenfeldbruck wurden nach ihren Wünschen und Anregungen für das Bürgergeld gefragt, das das neue Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und FDP einführen will.

"Bürgergeld, das ist schon freundlicher als Grundsicherung oder Hartz IV", unterstreicht die Chefin des Jobcenters, Claudia Baubkus, im Hinblick auf die geplanten Veränderungen der neuen Bundesregierung. Die will die viel kritisierte Grundsicherung nämlich durch ein sogenanntes Bürgergeld ersetzen. Auf drei Seiten hat sie das im Koalitionsvertrag zusammengefasst. Allerdings gibt es bei der Interpretation des Textes unterschiedliche Auffassungen. Einig ist man sich aber, dass bis Ende des Jahres eine Neuregelung zu den Sanktionen säumiger Hilfeempfänger geben soll. Und auch die Mietobergrenze, die bis zum ersten Lockdown den Wohnraum und vor allen Dingen den Mietpreis begrenzt hatte, ist aktuell aufgehoben und wird vermutlich künftig anders ausgestaltet.

Mit dem ersten Auftauchen von Covid-19 in Deutschland vor nunmehr zwei Jahren und dem bald folgenden Herunterfahren des öffentlichen Lebens, kamen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters Fürstenfeldbruck ganz neue Aufgaben dazu, allein schon von der Menge der Anträge. "Wir hatten vergleichsweise ein sehr hohes Volumen an Neuanträgen", berichtet Baubkus. Waren es im Schnitt 2019 im Monat etwa hundert Anträge, wurden es im ersten Jahr der Pandemie plötzlich drei- bis viermal so viel. Zwischen 300 und 400 Anträgen jeden Monat mussten die Mitarbeiter mit einem Mal bewältigen. Vor einem Jahr waren es dann noch rund 200 Anträge, seit August sind es der Behördenchefin zufolge noch etwa 120 -jeden Monat.

"Die Anträge kamen ganz schnell, als der Lockdown kam", erinnert sich Baubkus, "es waren selbständige Menschen." Davon gebe es im Landkreis überdurchschnittlich viele. Die hätten oft einen hohen Lebensstandard, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und seien es ihr Leben lang gewohnt, proaktiv auf Situationen zu reagieren. Eigenschaften, die bei den sonst üblichen Kunden des Jobcenters eher nicht im Vordergrund stehen. Wie Baubkus erzählt, bedeutete das auch eine Umstellung für ihre Mitarbeiter. "Wir hatten nicht mehr den sozialpädagogischen Ansatz, sondern saßen plötzlich mit Unternehmern am Tisch."

Die Antragsteller kamen aus vielen Branchen. Ein erfolgreicher Eventmanager, der große Shows etwa in der Olympiahalle organisierte, hat inzwischen die Branche gewechselt. Der Golflehrer konnte nach einer Pause und dank der Unterstützung vom Jobcenter seine bisherige Arbeit fortführen. Und eine Prostituierte, die mit ihrem "Freund" und Zuhälter kam, wollte eine Ausbildung im Verkauf machen. "Diese Dame konnte erstmal neu Fuß fassen", pandemiebedingt habe sie eine Ausbildung zur Fachkraft gemacht. "Sie konnte sich von ihrem Freund trennen", berichtet Baubkus. Und dass dessen Eltern ihr dafür sehr dankbar seien.

Um das erhöhte Arbeitsaufkommen bewältigen zu können, wurde im Jobcenter kurzerhand die Arbeit umorganisiert. Es wurde eine Spezialeinheit Selbstständige gegründet, bestehend aus vier Mitarbeitern. Die Aufgaben wurden ganz klar aufgeteilt, berichtet Andreas Demel, Teamleiter in der Behörde und ebenfalls in dem Team engagiert. Einer etwa rief im ersten Lockdown sämtliche Antragsteller zurück und besprach das weitere Vorgehen. "Es hat erstaunlich gut funktioniert", findet Demel. Der Fokus des Teams lag auf Fragen wie der, ob und unter welchen Bedingungen das pandemiebedingt geschlossene Unternehmen die Arbeit fortführen kann, ob man sie vielleicht ins Internet verlagert oder ob Alternativen in anderen Branchen wie Gesundheit oder IT in Frage kommen würden.

Einfachere Anträge

Bei der Antragstellung wurde das Verfahren der Behördenchefin zufolge erheblich vereinfacht, was von der damaligen Bundesregierung so angedacht war. "Wir haben den Fokus nur noch auf die Leistungsgewährung gestellt", unterstreicht sie. Es gab ein vereinfachtes Antragsverfahren, bei dem auf Hinweis aus Berlin die Vermögensprüfung und die Mietobergrenze entfielen. "Das war auch mit ein Grund, dass die Anträge so angestiegen sind." Alles in allem funktionierte die Strategie des Jobcenters Fürstenfeldbruck so gut, dass das selbst gesteckte Ziel - ein Drittel der Kunden in ein Arbeitsverhältnis zu vermitteln - beinahe erreicht wurde. "Fast ein Drittel von allen, das ist schon eine tolle Zahl", wie Demel unterstreicht.

Und auch in Berlin blieb die erfolgreiche Strategie zur Krisenbewältigung nicht unbemerkt: Die Behörde bekam als eines von drei Jobcentern in ganz Deutschland Ende letzten Jahres Besuch von Mitarbeitern des Ministeriums für Arbeit und Soziales. Anlass war, für das geplante Bürgergeld Anregungen sozusagen direkt an der Basis zu sammeln.

Mehr Mitsprache gewünscht

Auch drei Wünsche durften die Gastgeber äußern. Baubkus zufolge sind das mehr Eigenständigkeit beim Budget und in Personalfragen, ein höherer Betreuungsschlüssel "weil der Fokus mehr auf der Beratung liegt", und die Abschaffung der Mietobergrenze - stattdessen soll die bisherige Miete für zwei weitere Jahre vom Jobcenter gezahlt werden und danach eine Pauschale, vermutlich abhängig von der jeweiligen Region. "Wir haben uns gefreut, dass sie da waren", unterstreicht Baubkus. Nun bleibt abzuwarten, wann und in welcher Form das Ampel-Bündnis das neue Bürgergeld einführen wird. Und wie viele Wünsche aus Fürstenfeldbruck in Berlin umgesetzt werden.

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