Arbeiten in Corona-Zeiten, SZ-Serie, Folge 11:Teamleiter gegen das Coronavirus

Medizin

Auch die Arbeit am Schreibtisch gehört zu den Tätigkeiten von Florian Weis.

(Foto: Privat)

Florian Weis, Chefarzt und ärztlicher Direktor der Kreisklinik Fürstenfeldbruck, hält den Laden am Laufen. Dazu gehört auch, allen zuzuhören - vor allem den Reinigungskräften

Von Marija BariŚiČ, Fürstenfeldbruck

Der Tag von Florian Weis beginnt um 5.50 Uhr mit dem Aufstehen. In der Regel endet er irgendwann gegen 19, manchmal erst um 20 oder 21 Uhr. Seit 2013 ist der 45-jährige Anästhesist als Chefarzt und Ärztlicher Direktor des Klinikums Fürstenfeldbruck tätig. Als solcher leitet Weis ein Team von fünf Oberärzten, einer Funktionsoberärztin und 14 Assistenzärzten. Spätestens seit Ausbruch der Corona-Krise hat sich das aber geändert, zumindest ein bisschen. Denn Weis hat nun nicht mehr nur Kontakt zu den Patienten und Mitarbeitern der Operativen Intensivstation, die er leitet, sondern auch zu den Reinigungskräften der Klinik - oder, wie Weis sie nennen würde: "Die derzeit wichtigste Berufsgruppe im Krankenhaus." Einmal die Woche setzt er sich mit ihnen zusammen, nicht als Chef, sondern als Zuhörer, und lässt die Reinigungskräfte anderthalb Stunden von ihren Sorgen und Nöten erzählen. "Das ganze Land", sagt er, "hat Angst vor der Erkrankung, auch unsere Mitarbeiter." Weis möchte ihnen diese Angst nehmen, sie soll sie nicht daran hindern, auch weiterhin sorgfältig zu arbeiten. Denn, das dürfe man nicht unterschätzen: "Wenn nicht überall ordentlich geputzt ist, sind alle anderen Maßnahmen in der Klinik auch nicht mehr hilfreich, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern", sagt er. Deswegen hört Weis zu, klärt auf, lässt sich aufklären - und beruhigt. Das tut er nicht nur einmal die Woche, wenn er mit den Reinigungskräften zusammenkommt, sondern eigentlich jeden Tag, den ganzen Tag.

Der erste und letzte Weg führt dabei immer zu den Patienten. Zwischen 7.20 Uhr und 7.30 Uhr "visitiert" Weis, wie er sagt, "eine Seite der Intensivstation", während ein Oberarzt sich um die andere kümmert. Die beiden überprüfen, wie es den Patienten geht, welche Art von Behandlung sie an dem Tag brauchen werden, zählen, wie viele Betten frei sind und tauschen sich daraufhin in einer ersten Frühbesprechung mit anderen Mitarbeitern der Abteilung darüber aus. Danach kommt das, was Weis "Diverses" nennt: "In OPs gehen, bei Patienten Narkose machen, Schreibtischtätigkeiten" - je nachdem, wo der Chefarzt gerade gebraucht wird. Um elf Uhr findet die große Sitzung der "erweiterten Klinikumsbetriebsleitung" statt - dabei handelt es sich um einen Krisenstab, der seit Ausbruch der Corona-Krise als "Fixum" im Klinikum eingerichtet wurde, wie Weis erklärt. Er besteht aus leitenden Vertretern der Ärzteschaft, des Hygieneteams, der Pflege und der Wirtschaftsabteilung.

In solchen Sitzungen werden wichtige Fragen besprochen: Wie können die Kapazitäten auf der Intensivstation erweitert werden? Wie schaffen wir es am besten, die Corona-positiven Patienten von den anderen, nicht infizierten zu trennen? Wie ist die Stimmung im Haus, unter den Mitarbeitern, auf der Intensivstation?

"Kurz gesagt werden hier einfach alle tagesaktuellen Dinge besprochen, die anstehen", sagt Weis, "aber auch wie wir Veränderungen, die geplant sind, in Zukunft am besten umsetzen können." Und Veränderungen, die hat es laut Weis in den vergangenen Tagen und Wochen fast täglich gegeben. "Schließlich handelt es sich für uns alle um eine neue Erkrankung, zu der mittlerweile jeden Tag über zehn relevante Publikationen erscheinen." Eine Frage, die Weis und die Mitarbeiter des Hygieneteams in jüngster Zeit besonders beschäftigt hat: Wie stellen wir sicher, dass Krankenschwestern und Ärzte beim Ausziehen ihrer Schutzkleidung auch wirklich alle hygienischen Vorschriften einhalten? "Die Intensivschwestern müssen sich fünf bis sechs Mal am Tag aus diesem Schutzanzug herausschälen und dürfen dabei nie vergessen, ihre Hände drei Mal zu desinfizieren. Wenn man das auch nur einmal vergisst, weil man beispielsweise Handschuhe anhatte und sich dann auch noch unbewusst ins Auge fasst, besteht natürlich eine hohe Infektionsgefahr", sagt Weis. Um das zu verhindern, habe man erst unlängst damit begonnen, die Schutzkleidung nur unter der Beobachtung eines anderen Arztes oder einer Krankenschwester abzulegen. "Es gibt Literatur dazu, dass die Sorgfältigkeit nachlässt, je öfter man einen Vorgang wiederholt", erklärt Weis. "Wenn aber jemand da ist, der einem über die Schulter schaut, kann diese Nachlässigkeit verhindert werden."

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Solche Entscheidungen sind es, die in den großen Sitzungen um elf Uhr getroffen werden. Erst danach, am Nachmittag, kommen die Dinge, die, man, wie Weis sagt, "nicht hat kommen sehen." Wo fehlt es gerade akut an Schutzmaterial? Welche Abteilung braucht die wenigen FFP2-Masken heute am dringendsten? Und die Schutzkittel? Was können wir gegen den Medikamenten-Engpass tun? Das Zählen der Betten, der Gesundheitszustand der Patienten, die Einhaltung der Hygienevorschriften in der Klinik, das Eruieren der Bestände an Schutzausrüstung - all das muss organisiert, geplant, im Blick behalten werden. Erst am späten Nachmittag, kurz nach vier, kann Weis sich dann "dem Medizinischen" widmen. Mit den Oberärzten seiner Abteilung bespricht er die neuen Fälle, die im Laufe des Tages dazugekommen sind, telefoniert mit Ärzten aus anderen Kliniken, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, lässt sich beraten, bis er mit seinem Team Schlüsse zieht, die schließlich verschriftlicht und in sogenannte "Flowcharts" gegossen werden müssen.

"Bevor ich aber nach Hause gehe, schaue ich noch ein letztes Mal nach den Patienten und den Mitarbeitern der Intensivstation", sagt Weis. "Auf dem Nachhauseweg telefoniere ich mit zwei Kollegen aus anderen Kliniken, die auch Intensivstationen betreuen und meine Unsicherheiten verstehen." Was ihm als Chefarzt die größten Sorgen bereitet, wenn er an die nächste Zeit denkt? "Vor allem die mangelnde Schutzausrüstung und der totale Medikamenten-Engpass, vor dem wir derzeit stehen", sagt er. "Wir haben ja kaum noch Schutzkittel, FFP-2-Masken oder Schmerzmittel." Weis befürchtet, dass sich der Mangel an Schutzkleidung in den nächsten Wochen verschlimmern wird, auch wenn, wie er betont, bisher noch kein Patient oder Mitarbeiter auf etwas verzichten musste. "Ich kann nur hoffen, dass wir nicht in eine Situation geraten wie die Krankenhäuser in Spanien oder Italien, die in einem hohen Maße Triageentscheidungen treffen müssen. Aber auch darauf versuchen wir uns gemeinsam vorzubereiten", sagt Weis. Dafür gebe es ein Ethik-Komitee an der Klinik, das Unterstützung anbietet, sollten die Ärzte tatsächlich entscheiden müssen, wer eine lebensrettende Behandlung bekommen kann und wer nicht.

Wenn er nach dem langen Arbeitstag bei seiner Familie ankommt, schafft er es, zumindest für einen kurzen Moment, Gedanken wie diese abzulegen, die Klinik kurz beiseite zu schieben. Was ihm dabei am meisten helfe? "Vermutlich meine beiden Kinder, die mich jeden Abend blitzwach empfangen und mit denen ich noch eine Stunde verbringe", sagt er. Und lacht.

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