Süddeutsche Zeitung

Ankommen in der neuen Heimat:Zum Warten gezwungen

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Der 20 Jahre alte Adeel Al-Qadhi flüchtet vor dem Krieg im Jemen nach Deutschland, weil er studieren und Arzt werden möchte. Doch mit seiner Ankunft in Alling muss er erkennen, dass längst nicht alle Hürden auf dem Weg zu einem Studienplatz in Medizin überwunden sind

Von Andreas Ostermeier, Alling

Adeel Al-Qadhi nennt Deutschland seine zweite Heimat. Denn Heimat sei da, wo man in Frieden leben könne, sagt der junge Mann aus dem Jemen. Dort, wo er aufgewachsen ist, herrscht Krieg. Al-Qadhi ist ein Opfer dieses Krieges. Er ist zwar nicht in Kämpfen verwundet worden, auch hat er kein aus militärischen Einsätzen herrührendes Trauma erlitten, doch der Krieg hat seinen Lebenstraum zerstört. Adeel Al-Qadhi möchte nämlich Arzt werden. Dafür wollte er nach Deutschland kommen und - wie zwei seiner Cousins - hier studieren. In Deutschland angekommen ist der 20-Jährige, von einem Medizinstudium aber ist er weiter entfernt, als er es im Jemen schon einmal gewesen ist. Denn er ist als Flüchtling gekommen. Als solcher kann er wenig tun, die Aufnahme eines Studiums oder einer Arbeit scheitert daran, dass er noch kein Asyl erhalten hat. Um sich fortzubilden, gerade auch in Deutsch, wünscht er sich einen Laptop. Der SZ-Adventskalender möchte Adeel Al-Qadhi diesen Wunsch erfüllen.

Der junge Mann geht zum Lernen in eine Bibliothek. In der Unterkunft in Alling, wo er wohnt, teilt er sich ein Zimmer mit drei anderen Männern. In dem Raum gebe es keinen Tisch, auf dem Al-Qadhi Lehrbücher ablegen können, sagt Walli Lacher vom Asylhelferkreis Alling. Sie und Ulrich Weindl betreuen den jungen Mann aus dem Jemen. Al-Qadhi hat Betreuer nötig. Nicht nur wegen der Sprache. Auch im Alltag. Obwohl er im gebirgigen Norden des arabischen Landes aufgewachsen ist, habe er in Deutschland zum ersten Mal Schnee gesehen und richtige Kälte gespürt, erzählt der 20-Jährige: "So kalt ist es im Jemen nicht." Drei Mützen trägt er auf dem Kopf, als ihm Lacher an einem Wintertag die Münchner Universität zeigt. Zwei Kopfbedeckungen gehören zu Kapuzenpullovern, die Al-Qadhi anhat. Über diese hat er noch einen Pullover gezogen, dazu trägt er zwei Hosen übereinander. Es ist nicht leicht, sich an die Münchner Kälte zu gewöhnen.

Schlimmer als die Kälte ist das Warten. Al-Qadhi will nach wie vor Mediziner werden. Einen ersten Schritt dahin hat er bereits getan. Er hat ein Praktikum im Kreisklinikum absolviert. Mehr darf er als nicht anerkannter Asylbewerber nicht tun. Er kann nur darauf warten, dass sein Asylgesuch anerkannt wird, oder er einen anderen Aufenthaltstitel erhält. Erst dann kann er sein nächstes Ziel angehen, eine Ausbildung zur Krankenpflegefachkraft. Bis dahin will er seine Deutschkenntnisse verbessern. Ein weiterer Sprachkurs soll seine Deutschkenntnisse auf das Niveau B 2 heben. Dieses Sprachniveau ist Voraussetzung für eine berufliche Tätigkeit. Im Februar will er zudem eine Ausbildung zum Kulturdolmetscher machen.

Der junge Jemenit ist ein guter Schüler. Beim Gespräch zeigt er sein Abiturzeugnis. Statt Noten enthält es Prozentzahlen. Diese geben an, wie nahe das Prüfungsergebnis den 100 Prozent gekommen ist. Die Werte in dem Zeugnis liegen zwischen mehr als 80 und etwas unter 100 Prozent. Nach Al-Qadhis Worten hätte dies ausgereicht, es seinen Cousins gleichtun und in Deutschland Medizin studieren zu können. Eine erste Zulassung habe er bereits gehabt, sagt der junge Mann. Derzeit hilft ihm aber nicht einmal sein Abiturzeugnis viel. Denn erst nach einer Anerkennung seines Asylantrags oder der Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels interessierten sich deutsche Behörden für den Leistungsnachweis, sagt Weindl. Und erst dann wird entschieden, ob er studieren darf oder nicht. Ohne Krieg dürfte er das wohl. Ihm habe nur noch ein Visum für Deutschland gefehlt, erzählt Al-Qadhi. Das aber hat er nicht bekommen. Denn wegen des Krieges wird die deutsche Botschaft geschlossen, ehe er ein Visum beantragen kann.

Jetzt wieder als Dossier

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Adeel Al-Qadhis Familie lebt im Norden des Landes. Von dort kommen die Huthi-Rebellen, die mittlerweile einen Großteil des Jemen erobert haben. Den Kampf gegen die Rebellen führt Saudi-Arabien vor allem mit Bombardements der Siedlungen im nördlichen Jemen. Die Kämpfe beginnen, ehe der 20-jährige Al-Qadhi mit der Schule fertig ist. Der Weg zu einem Studium in Deutschland ist nun verschlossen. Doch Al-Qadhi will weiterhin Arzt werden, wie er erzählt. Quer durch Nordafrika fährt er. An der Küste Marokkos steigt er in ein Schlauchboot. Von dort sind es nur ein paar Kilometer nach Europa. Das Boot kentert, Angehörige der spanischen Küstenwache ziehen ihn aus dem Wasser.

37 Tage sitzt er in einem spanischen Gefängnis, dann darf er mit einem Zug nach Deutschland fahren. Das Land, in das er will, will ihn aber nicht. Er soll zurück nach Spanien, dort sei man zuständig für sein Asylgesuch, heißt es. Dass Adeel Al-Qadhi abgeschoben wird, verhindern Allinger Asylhelfer. Auch der CSU-Landtagsabgeordnete Benjamin Miskowitsch setzt sich für den jungen Jemeniten ein. Der Petitionsausschuss des Landtags macht es möglich, dass Al-Qadhi seinen Asylantrag in Deutschland stellen kann.

Bis über diesen entschieden ist, wird der 20-Jährige weiterhin morgens aufstehen und zum Deutschkurs fahren. An den Nachmittagen sitzt er in der Bibliothek, dort kann er Hausaufgaben machen und Bücher lesen - und mit einem Laptop könnte er dort gut arbeiten. Seinen Allinger Helfern verdankt er nicht nur die Verbesserung der Sprachkenntnisse, sondern auch ganz praktische Fähigkeiten. So hat Adeel Al-Qadhi gelernt, sich einfache Mahlzeiten selbst zu kochen. Im Jemen habe dies die Mutter getan, erzählt er. In Alling hat ihm Lacher gezeigt, wie man mit Herd und Töpfen umgeht. Für ein Leben als Medizinstudent kann er auch dieses Wissen gebrauchen.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2019
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