Gericht:Streit um ein hochgehaltenes Smartphone

Gericht: Vor dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck geht es um Persönlichkeitsrechte.

Vor dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck geht es um Persönlichkeitsrechte.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Nachbarn werfen einem 61-Jährigen vor, sie unerlaubt gefilmt zu haben. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck spricht den Mann frei, weil es keinen Beweis für Aufnahmen gibt.

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Darf mein Nachbar mit seinem Mobiltelefon in meinen Garten hineinfilmen? Oder schützt mich ein Gesetz, vielleicht der Paragraf 201 a Strafgesetzbuch? Er trägt den klangvollen Titel: "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen". Unlängst kam der Paragraf vor dem Brucker Amtsgericht zum Tragen. Anlass für den Prozess war ein Nachbarschaftsstreit. Auf Antrag der Staatsanwältin sprach der Richter den 61 Jahre alten Angeklagten frei: Weil nicht bewiesen ist, dass er seinen Nachbarn tatsächlich in dessen Garten gefilmt hat, und weil der Garten nicht durch einen Sichtschutz vor den Blicken anderer geschützt war.

Während der Verhandlung bestreitet der Angeklagte, er habe die neben ihm in einer Ortschaft im westlichen Landkreis lebende Familie mehrfach in deren Garten und gegebenenfalls auch in deren Wohnung mit seinem Mobiltelefon gefilmt.

Linse auf den Garten gerichtet

Doch sein Nachbar, der als Zeuge geladen ist, ist vom Gegenteil überzeugt: "Dass wir gesehen haben, dass wir gefilmt werden", unterstreicht er. Er beschreibt im Gerichtssaal, wie der Angeklagte wiederholt an ihrem Grundstück vorbeigefahren ist, "mal mit dem Tretroller, mal mit dem Auto", dabei sein Smartphone stets in die Höhe haltend und die Linse der Kamera auf ihren Garten richtend. Er habe zwar nicht erkennen können, ob das Gerät in dem Moment auch wirklich gefilmt habe, räumt der Nachbar ein. "Aber aufgrund der ganzen Haltung", sowie der Häufung der Vorkommnisse seien er und seine Familie sicher, dass es so war.

Der Zeuge fährt fort, dass er den Angeklagten zunächst schriftlich aufgefordert habe, die Aufnahmen zu löschen. Doch der Termin dazu sei ohne Reaktion verstrichen. Vielmehr habe die Häufigkeit, in der der Angeklagte sie belästigt habe - mit seinem Smartphone und anderweitig - noch zugenommen, bis schließlich eine Polizeibeamtin eine sogenannte Gefährderansprache an ihn gerichtet habe.

Nach der Aussage des Zeugen haben die Probleme begonnen, als er und seine Familie sich einen Hund anschafften. Der 61-Jährige habe angefangen an seinem Motorrad ständig Fehlzündungen zu provozieren. Die lauten Knallgeräusche hätten das Tier verängstigt, was zu einer Eskalation geführt habe, sagt der Zeuge und erwähnt noch "weitere Vorfälle, die wir zur Anzeige bringen mussten". Konkret geht es offenbar um Nachstellungen zu Lasten der Frau des Zeugen sowie Bedrohungen, ebenfalls gegen sie und ihn. "Er hat mich mit einem Golfschläger bedroht".

Kein Sichtschutz um den Garten

"Dass der Angeklagte ein Mobiltelefon hochgehalten hat, ist noch kein hinreichender Beweis", erklärt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Sie beantragt einen Freispruch, der Verteidiger ebenfalls. "Ein Mobiltelefon hochhalten, kann ich immer", betont er und weist auf das "massiv belastete nachbarschaftliche Verhältnis hin". Mit seinem Urteil folgt der Vorsitzende Richter Martin Ramsauer den Anträgen. "Dass Filmaufnahmen stattgefunden haben, ist nicht nachweisbar", erklärt er. Er stellt außerdem klar, dass der Garten des Zeugen zur fraglichen Zeit nicht durch einen Sichtschutz oder Pflanzen vor fremden Blicken geschützt war und somit auch nicht unter den besonderen Schutz der Privatsphäre fällt.

Wenn es um Persönlichkeitsrechte geht, kommen nicht nur Normen des Strafgesetzbuches zum Tragen. Ausgangspunkt ist dabei das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches aus den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetztes abgeleitet wird. Es folgt also direkt aus der verfassungsrechtlich garantierten Menschenwürde. Grundrechte gelten grundsätzlich als Abwehrrechte im Verhältnis des Bürgers zum Staat, können aber auch zwischen zwei Bürgern geltend gemacht werden. So darf man beispielsweise nicht einfach eine Überwachungskamera aufstellen, die den Garten des Nachbarn erfasst.

Ob und wann der Staat in den privaten Bereich des Bürgers eingreifen darf, ist oft eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ein Modell mit drei Sphären entwickelt. In die Sozialsphäre fällt der öffentliche Raum, etwa das berufliche Umfeld. Die Privatsphäre umfasst das häusliche und familiäre Leben. Bei der Intimsphäre sprechen Juristen vom unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung. Beispiele hierfür sind Informationen zum Sexualleben oder Tagebuchaufzeichnungen. Anders als bei den beiden anderen Sphären ist ein Eingriff in die Intimsphäre nie gerechtfertigt.

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