Amtsgericht:Fatales Missverständnis

Frau steigt nachts ins Auto eines Unbekannten, was Folgen hat. Gericht spricht Mann vom Vorwurf des Exhibitionismus frei

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Worte sind oft missverständlich: Sie können ganz unterschiedliche Bedeutungen haben, je nachdem in welcher Situation, in welchem Tonfall sie geäußert werden. Es bedarf eines gewissen Gespürs, die wahre Bedeutung eines Satzes zu erkennen. Weil es nicht jedem vergönnt ist, die leisen Zwischentöne und den stummen Kontext in eine Aussage hineininterpretieren zu können, hat ein Amtsrichter unlängst einen 31 Jahre alten Mann vom Vorwurf des Exhibitionismus freigesprochen. Der Berufsfahrer mit einer gutachterlich bestätigten Lernbehinderung und stark eingeschränkter sozialer Kompetenz hatte sich vor einer 56-jährigen Fremden, die er nachts in seinem Auto mitgenommen hatte, entblößt.

Da der 31-Jährige aber das Portemonnaie der Frau weggeworfen hatte, das ihr in seinem Auto aus der Handtasche gefallen war, verurteilte ihn der Richter wegen Sachbeschädigung und Unterschlagung zu einer Geldstrafe. Der im westlichen Landkreis lebende Angeklagte und die 56-Jährige, die damals in Emmering lebte, begegneten sich nachts in Fürstenfeldbruck auf der Straße vor einer Gastwirtschaft. Die Frau hatte schon ein paar Weinschorlen getrunken und wollte nach Hause gehen, als der Angeklagte mit seinem Auto vorfuhr und ihr anbot, sie zu fahren. Sie willigte ein und schon saß sie im Auto des fremden Mannes. Nachts. Allein. Die Situation wurde ihr spätestens unangenehm, als ihr Fahrer kurz vor ihrer Wohnung anhielt und sie fragte, ob es sie störe, wenn er sich in ihrer Anwesenheit selbst befriedige. "Wenn's dir gut tut, dann mach", erwiderte die 56-Jährige in dieser Situation, obwohl es ihr freilich lieber gewesen wäre, sofort auszusteigen.

Wie die Zeugin, die inzwischen in Berlin lebt, im Gerichtssaal erklärte, war ihr die Situation nicht ganz geheuer. Sie habe sich in diesem Moment in einer mutmaßlich bedrohlichen Lage gefühlt und den Mann nicht provozieren wollen. Konkrete Anhaltspunkte für eine Bedrohung - etwa die ursprünglich angeklagte und längst wieder fallen gelassene Freiheitsberaubung, weil der Mann die Autotür verriegelt haben sollte - gab es jedoch nicht. Im Gegenteil nahm die Zeugin, die gerne auf die Gerichtsverhandlung verzichtet hätte, den Angeklagten in Schutz. "Hätte ich ein bisschen straffer gehandelt, wäre es sicher nicht so gelaufen", bestätigte sie dem Verteidiger, dass sein Mandant damals durchaus den Eindruck gewinnen konnte, sie habe nichts gegen sein Onanieren.

Der Verteidiger bezweifelte, dass sein bereits einschlägig vorbestrafter Mandant den Straftatbestand des Exhibitionismus erfüllt habe. Dazu gehöre der Vorsatz, jemanden belästigen zu wollen. Der fehle aber hier, weil der Angeklagte die Antwort der Frau ernst genommen habe, erklärte der Jurist und verwies auf das psychiatrische Gutachten. Das bescheinigte dem 31-Jährigen eingeschränkte Kritik- und Urteilsfähigkeit und damit einhergehend verminderte Schuldfähigkeit. Mit einem IQ von 82 liege seine Geistesfähigkeit "zwischen Minderbegabtheit und Debilität". Angesichts dieser Einschätzung hielt es Richter Johann Steigmayer für möglich, "dass er nicht wusste, dass sein Handeln von der Zeugin nicht gewünscht ist". Deshalb sprach er ihn vom Vorwurf des Exhibitionismus frei. Der Staatsanwalt hatte indes "insbesondere bei seiner Vorgeschichte", womit er vorangegangene einschlägige Verurteilungen meinte, eine Geldstrafe von 250 Tagessätzen gefordert. Auch der Richter verhängte eine Geldstrafe, 180 Tagessätze zu je 35 Euro, allerdings "nur" wegen Sachbeschädigung und Unterschlagung. Weil er ins Urteil zwei frühere Geldstrafen einbezog, sind insgesamt 3780 Euro zu zahlen.

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