Am 9. November 1938:Hitlers Schergen kamen in der Nacht

Aussagen von Verfolgten ergeben, dass während der Pogrome drei Juden im Landkreis eingesperrt wurden.

Von Peter Bierl

Simon Erlanger

Dieser Koffer begleitete Simon Erlanger, als er gezwungen wurde, erst in Berg am Laim und dann im "Judenlager Milbertshofen` zu wohnen

(Foto: Günther Reger)

Mitten in der Nacht wurde Berthold Lehmann von der Polizei abgeholt und in das Brucker Amtsgefängnis verschleppt. Er war einer von drei Männern aus dem Landkreis, die in der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 eingesperrt wurden. Im gleichen Monat musste Grete Bauer das jüdische Kinderheim in Neu-Esting schließen. "Kreis Fürstenfeldbruck judenfrei", meldete die Brucker NSDAP.

Am 8. und 9. November feierten die Nazis in Maisach, Jesenwang, Puchheim, Eichenau und Germering den Hitlerputsch von 1923 und die erfolgreiche Aggressionspolitik des Regimes, die zur Annexion Österreichs und der sogenannten Sudetengebiete geführt hatte. Als sich in Unterpfaffenhofen die Einwohner am 8. November in der Turnhalle versammelten, um der Rede des NSDAP-Ortsgruppenleiters zu lauschen, brannte in Bad Hersfeld die erste Synagoge. Am 9. November nahmen sechs "Blutordensträger" aus Fürstenfeldbruck, also Teilnehmer des Putschs von 1923, an dem Aufmarsch der Nazis in München teil. Dort gab Propagandaminister Joseph Goebbels am Abend das Zeichen, die Pogrome auf das gesamte Reichsgebiet auszuweiten. In Fürstenfeldbruck wurden Lehmann, Simon Erlanger aus Gröbenzell und Alfred Rosenberger aus Esting in der Nacht zum 10. November festgenommen.

Lehmann musste bis zum 28. November im Gefängnis bleiben. NS-Kreisleiter Franz Emmer ließ ihn nur unter der Bedingung frei, dass er die Stadt verließ. Der ehemalige Zollbeamte musste in Berg am Laim und Milbertshofen zwei Jahre Zwangsarbeit bei einer Baufirma leisten. 1942 wurde Lehmann, der heimlich seine Frau in Bruck besuchte, denunziert und festgenommen. Das Münchner Amtsgericht verurteilte ihn zu sechs Wochen Gefängnis. Lehmann tauchte unter und wurde in Bruck von dem Steuerberater Hans Arthur Lambert versteckt. Kamen Fremde, musste Lehmann in den Wandschrank.

Nach dem Krieg arbeitete er wieder als Zollbeamter und kümmerte sich um Juden, die den NS-Terror überlebt hatten und in Bruck gestrandet waren. Aus Fragebögen geht hervor, dass darunter zwei Frauen waren, deren Väter während der Pogromnacht ins Konzentrationslager Dachau verschleppt und umgekommen waren.

Erlanger und Rosenberger durften nach Hause zurückkehren. Erlanger, damals bereits ein alter Mann, musste von 1941 bis 1943 in den Lagern in Berg am Laim und Milbertshofen leben, dann durfte er wieder heim. Das Paar lebte vom Gemüseanbau im Garten und der Hilfe der Nachbarn. Simon Erlanger starb 1957 im 92. Lebensjahr und wurde auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in München bestattet.

Dem Schuhhändler Alfred Rosenberger hatten die Nazis von Anfang an übel mitgespielt. Am 19. März 1933 hatte die Gendarmerie sein Haus durchsucht und mehrere Waffen beschlagnahmt, die vermutlich untergeschoben waren, um ihn zu diskreditieren. Rosenberger und seine Frau emigrierten nach den Pogromen in die USA.

Das jüdische Kinderheim in Esting schloss im November nach den Pogromen. Zwar gibt es wohl keinen ursächlichen Zusammenhang mit den Pogromen, sagt der Gröbenzeller Historiker Kurt Lehnstaedt, allerdings hatten die Nazis die Betreiberin Gretl Bauer seit 1934 unter Druck gesetzt. Ihr Sohn erinnerte sich später, dass im Jahr 1938 das Haus immer wieder beschmiert und Fensterscheiben eingeworfen worden waren. Von den Kindern wurden mindestens drei in Auschwitz, eines in Majdanek und vier in Kaunas ermordet.

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