Süddeutsche Zeitung

Ein Blick in die Archive - SZ-Serie, Folge 20:Alte Dokumente im Kindergarten

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Das Althegnenberger Gemeindearchiv wird seit 120 Jahren sortiert und gepflegt. Und ist nicht nur deshalb eine Besonderheit im Landkreis.

Von Gerhard Eisenkolb, Althegnenberg

Unter den Gemeindearchiven im Landkreis nimmt das in Althegnenberg eine Sonderrolle ein. Das beginnt mit der Unterbringung. Die Archivalien lagern temperiert, trocken und vor Staub geschützt hinter einer Wand aus Stahlblechtüren in einem großen Einbauschrank im Gruppenraum des Kindergartens im Rathaus. Also nicht in einem feuchten Keller oder auf einem windigen Dachboden, was zu Schimmel und Stockflecken führt. Laut Bürgermeister Rainer Spicker wissen weder die Kinder, die vor den Schranktüren auf einem Teppich mit Bauklötzen spielen, noch deren Eltern, was sich hier verbirgt. Aber ungewöhnlich ist noch etwas anderes. Der Ort an der westlichen Landkreisgrenze, die auch die Grenze zum Regierungsbezirk Schwaben ist, verfügt über eine vor 120 Jahren einsetzende Tradition, Verwaltungsakten sorgsam zu verwahren. So kam die kleine Landgemeinde zum Grundstock ihres Archivs.

Letzteres liegt daran, dass der Bürgermeister bereits um 1900 in einem Kammerl der Schule eine Kanzlei einrichtete und dort einen Gemeindeschreiber beschäftigte. Das war für einen Ort dieser Größe damals unüblich. Weil der Schreiber seine Unterlagen systematisch ordnete, ist das der Beginn einer archivähnlichen Aktenerfassung. Diese Systematik bewährte sich, da im Archiv noch immer Aktendeckel aus dieser Zeit samt Inhalt mit den damals vergebenen Registraturvermerken zu finden sind.

"Eben so, wie es sein soll", schwärmt der ehrenamtliche Kreisarchivar Stefan Pfannes. Als Geschäftsleitender Beamter der Gemeinde Egenhofen kann Pfannes die alten Registraturvermerke Sachgebieten zuordnen. Daher genügte es, den mit der "vorbildlichen Aktenführung" gelegten Grundstock später nur noch auszubauen und Verzichtbares auszusortieren. Aber es gibt auch Lücken. Das betrifft vor allem die NS-Zeit, die, wie jede Verwaltungsreform oder 1972 die Zusammenlegung mit Hörbach bei der Gebietsreform, eine Zäsur bildete. Nach 1945 wurden alle Blätter oder Akten vernichtet, die heikle Vorgänge wie die Zahlungen für die Verpflegung von Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern oder die Zusammenarbeit mit NS-Organisationen betrafen.

Der älteste Akt mit dem Titel "Trieb- und Viehweiderecht" stammt vom 9. Juli 1578. Es handelt sich um eine Festsetzung des Gräflichen von Hegnenbergschen Patrimonialgerichts für Durchtriebrechte von Vieh und das damit verbundene Beweiden der Wälder. Die Urkunde ist nicht das Original, sondern eine zwei Jahrhunderte später angefertigte, vom Patrimonialgericht beglaubigte Abschrift. Die Urkunde begründete Ortsrecht. Deren Festlegungen entsprächen heutzutage einer vom Gemeinderat beschlossenen Ortssatzung.

Im Original erhalten hat sich ein "Befehl" des Grundherrn Graf Georg Maximilian von Hegnenberg zum 25. Regierungsjubiläum von König Max I. Joseph am 16. Februar 1824. Mit dem Befehl erhielt das Pfarramt den gräflichen Auftrag, die Jubiläumsfeier des Königs in Althegnenberg federführend mit Unterstützung des Gemeindeausschusses auszurichten. Der Graf ließ seine Untertanen gleich zweimal mit einem jeweils einstündigen Glockenläuten auf den Festtag einstimmen. Dies geschah am Vorabend und am Morgen des Jubiläumstags. Der Wirt durfte zum Tanz aufspielen und erhielt am 15. und am 16. Februar eine sogenannte Freinacht. Pfannes nimmt an, dass in solchen Freinächten die übliche Limitierung für den Bierausschank aufgehoben wurde.

Auch nach Aufhebung der Grundherrschaft infolge der Revolution von 1848 stand der Ort weiter unter dem Einfluss der im Schloss Hofhegnenberg residierenden Grafen. Das belegt eine Übereinkunft der Gemeinde mit dem ehemaligen Grundherrn aus dem Jahr 1855. In dieser wurde bestimmt, die Feuerspritze der Gemeinde im Schloss von Hofhegnenberg zu verwahren. Zudem musste der in Althegnenberg ansässige Schlosser die Spritze in einem guten, einsatzbereiten Stand erhalten.

Im Althegnenberger Rathaus weiß man Überkommenes zu schätzen, sonst würde den Eingang zum Sitzungssaal nicht eine alte Feuerwehrspritze zieren. In Vitrinen daneben werden neben alten Feuerwehrhelmen die dazu passende Löschausrüstung sowie Amtssiegel und die Amtskette des früheren Bürgermeisters von Hörbach präsentiert. Die Amtskette ziert eine Medaille mit dem Porträt von König Ludwig II. Für eine ähnliche Verbindung des Schönen mit dem Nützlichen steht auch das Rathausareal, das, passend zur dort untergebrachten Kita, ein Kinderspielplatz ist. Ins Rathaus gelangt man nur über den Spielplatz.

Man handelt in der Gemeinde nicht nur pragmatisch. Im Ort wird zudem mehr Wert auf schöne Dinge und die Erhaltung des Ortsbildes gelegt als anderswo. So ist es kein Zufall, dass das Rathaus kein Neubau, sondern ein geschmackvoll renovierter Altbau ist. Das könnte auch daran liegen, dass in Hörbach Toni Drexler wohnt. Der ehemalige Kreisheimatpfleger und Leiter des Bauernhofmuseums Jexhof ist auch Autor und Kulturveranstalter. Der Kulturschaffende prägt seine Heimat. Dazu passt, dass der verstorbene Altbürgermeister Helmut Hilscher, der ein Buch über Althegnenberg im Wandel der Zeit schrieb, die hierfür gesammelten Unterlagen dem Archiv vermachte.

Es sind liebevoll handschriftlich aufgeschriebene Texte mit eingeklebten Fotos wie die Chronik der 1947 wieder eröffneten Hörbacher Schule, die zum Charme des Archivs beitragen. Ebenfalls eine Rarität, weil in gedruckter Form als Broschüre vertrieben, dürfte die 1928 von Pfarrer A. Weber verfasste "Kriegschronik der Pfarrgemeinde Hörbach 1914-1918" sein. Die Chronik beginnt mit dem Lebenslauf und Schicksal des ersten Hörbacher Kriegsopfers, einem Oberschweinbacher Landarbeiter und Infanteristen, der kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs im Alter von 28 Jahren nach Hörbach geheiratet hatte. Nicht einmal einen Monat nach der Einberufung galt er in Frankreich als vermisst. An dem Tag, dem 1. September 1914, hatte er vor einem Angriff des Feindes seinen Angehörigen geschrieben, ihm gehe es gut, und beklagt, noch keine Post von ihnen erhalten zu haben.

Im Randbereich mehrerer Landkreise und von zwei Regierungsbezirken zu liegen, kann von Nachteil sein, wenn die großen Nachbarn nach einem Ort für Mülldeponien suchen. Davon zeugen mehrere getrennte, aber vergebliche Anläufe der Landkreise Aichach-Friedberg und Fürstenfeldbruck sowie anderer Interessenten, ihren Müll hier im Niemandsland zu vergraben, unter anderem auch im Haspelmoor. Die entsprechenden Unterlagen samt Presseartikel werden im Archiv verwahrt. Dieses ist zwar klein, aber wegen der Dichte an Archivalien beeindruckend, so das Urteil des Kreisarchivars.

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