Süddeutsche Zeitung

Alling:Natürlicher Fluss

Historischer Konzertabend mit Jakob Rattinger und Christian Brembeck

Von Klaus Mohr, Alling

Spricht man über die Gambe, dann fällt dabei fast automatisch der Name von Marin Marais. Da die Gambe vielen Musikfreunden aber eher von Gemälden oder Fresken als vom Klang her vertraut ist, ist es nicht verwunderlich, dass auch der Komponist eher zu den Geheimtipps gehört. In der Roggenstein-Konzertreihe ist das alles etwas anders: Die Besucher sind selbst als Laien Spezialisten, Gambe und Marin Marais geläufige Begriffe. Das liegt nicht nur daran, dass der Gambist Jakob David Rattinger hier schon oft gastiert hat und sich die Zuhörer freuen, wenn er wieder da sind.

Christian Brembeck leistet als Konzertveranstalter, Impresario und unverzichtbarer Cembalist dieser Reihe seit vielen Jahren eine über launige Worte weit hinausgehende Bildungsarbeit, bei der Reisen in längst vergangene Jahrhunderte, zu entlegenen Instrumenten und halb vergessenen Komponisten zum regelmäßigen Thema werden. Da immer konkrete Musik damit verknüpft ist, bleibt es nicht bei trockener Geschichte, sondern steigert das Hörerlebnis und erweitert den eigenen Erfahrungshorizont beim Publikum.

Auf dieser Basis machte das Programm des Konzerts am Sonntag in der Filialkirche Sankt Peter und Paul in Holzkirchen Sinn, in dessen Mittelpunkt also der Komponist Marin Marais stand. Der Ablauf verfolgte insofern einen chronologischen Aspekt, als jeweils Ausschnitte aus den fünf Büchern mit "Pièces de viole" erklangen, die Marais in den Jahren 1686 bis 1725 komponierte. Dadurch war sozusagen die Veränderung im kompositorischen Schaffen des Meisters in Feindifferenzierung am klanglichen Exempel nachvollziehbar. Vielleicht wäre es noch eindrücklicher gewesen, wenn jeweils Stücke der gleichen Gattung erklungen wären. Dieser akademischen Betrachtungsweise, die als ganzes Konzert wohl eher langweilig geworden wäre, stellten die beiden Musiker jedoch ganz unterschiedliche Stücke entgegen, aus denen sich dennoch ein roter Faden für die Hörer ergab.

Ein Prelude aus dem ersten Buch von 1686 hatte in der Viola da gamba scheinbar improvisatorische Freiheiten, die vom Cembalo in eine umrauschende Akkordbegleitung eingebunden war. Die zu Grunde liegende Melodielinie geriet mannigfach ausgeziert, doch wurde der Bogen nie unklar. In der Allemande sorgten klare Phrasierung und die Hervorhebung der Taktschwerpunkte für einen veritablen Tanzcharakter. Auch hier standen der Ton und die Gestaltung einer Linie im Vordergrund. Variationen über das Folia-Thema erklangen aus dem zweiten Buch von 1701.

Hier wurde deutlich, wie sich auf Basis des ewig wiederholten Bass- und Harmonieschemas von Variation zu Variation mehr Bewegung und damit einhergehende Virtuosität aufbaute. Bevor sich aber tatsächlich ein tranceähnlicher Schwebezustand einstellen konnte, sorgte eine Zurücknahme an Kraft in der nächsten Variation für quasi meditative Pausen. Das dritte Buch von 1711 brachte insofern eine gut hörbare Veränderung, als die Zahl der Verzierungen in den einzelnen Sätzen einer Suite deutlich abnahm und der Klang somit an Natürlichkeit und Klarheit gewann. Dadurch entwickelte sich in der Sarabande eine wunderschön ausdrucksvolle Linie. Dieser Weg setzte sich auch im viertem Buch fort und fand im fünften Buch von 1725 im Tombeau für den Sohn von Marais Marin, Marais le Cadet, eine Verstärkung an anderer Stelle: Zahlreiche weich gestrichene Doppelgriffe verdichteten die Linie und führten zu einer Konzentration der musikalischen Aussage.

Ergänzt wurde das Programm durch Werke von zwei Komponisten, die in engem Zusammenhang mit Marais standen: Der Gambist Louis Couperin gehörte der Vorgängergeneration von Marain an, Johann Jakob Frohberger war der erste Komponist, der fast ausschließlich Musik für Tasteninstrumente geschrieben hat.

Viel Beifall und eine Zugabe gab es zum Schluss, verbunden mit der Ankündigung, dass beim nächsten Konzert von Jakob David Rattinger kein Werk von Marais erklingen würde. Die Reaktion des Publikums zeigte hingegen, dass bei den Hörern offensichtlich noch keine Sättigung eingetreten war.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2016
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