Süddeutsche Zeitung

Aktionstag:Kreative Vibes statt schädlicher Abgase

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Beim Parking-Day in der Fürstenfeldbrucker Hauptstraße entdecken die Besucher, wie vielfältig man den Platz nutzen könnte, der bislang für stehende Autos reserviert ist. Die Aktion ist Teil eines weltweiten Projekts

Von Dorothea Gottschall, Fürstenfeldbruck

Jeweils 15 Quadratmeter standen ihnen zur Verfügung, den zahlreichen Vereinen, Aktivisten und Organisationen, die am vergangenen Freitag zum "Welt-Park(ing)-Day" mit innovativ gestalteten Parklücken die Hauptstraße säumten. Wie diese Fläche abseits ihres eigentlichen Verwendungszweckes genutzt werden kann, ist Thema des Aktionstages. Neben den E-Roller-Schnupperfahrten am Viehmarktpatz, ist das Projekt einer der Höhepunkte der Europäischen Mobilitätswoche (EMW) in Fürstenfeldbruck, die noch bis Mittwoch, mit einem abwechslungsreichem Programm lockt.

"Wann hatten Sie schon einmal die Möglichkeit, auf einem Parkplatz im Sitzsack zu verweilen?", fragt Christine Dietzinger vergnügt. Sie ist stellvertretend für den Literaturverein Turmgeflüster vor Ort und entschied sich für eine Parkeinheit im gemütlichen Wohnzimmer-Stil - bunt bemalte Stühle, Wimpelketten, Zimmerpflanzen und eine große Couch laden hier zum Entspannen und Kreativsein ein. Vereinsmitglied Mona Krippgans unterstützt Dietzinger an diesem Tag. Mittlerweile hat das Studium Krippgans nach Weingarten am Bodensee verschlagen, aber für solche Events reist sie gern zurück in die Gegend, in der sie aufgewachsen ist: "Turmgeflüster war für mich immer eine existenzielle Anlaufstelle, wenn die Kleinstadt eng und eingeschlafen daherkam", erinnert sich die gebürtige Emmeringerin, bevor sie die Auswahl an mitgebrachten Büchern vorstellt. Sie alle befassen sich vorrangig mit demokratiepädagogischen Themen und dem Klimawandel.

Beim Stand nebenan kommt Bettina Lampart-Heinemann mit ein paar Heranwachsenden ins Gespräch. Die Gästeführerin der Stadt unterstützt die jungen Interessierten die Quizfragen zu lösen, die sie eigens für eine Fünf-Minuten-Ralley zusammengestellt hat. Innerhalb kürzester Zeit sollen hier die kleinen Gäste spielerisch die Geschichte der Hauptstraße kennlernen. Welche Relevanz der Parking-Day für die lokalen Stadtführungen habe, beantwortet Lampart-Heinemann folgendermaßen: "Das Motto der diesjährigen EMW ist 'Aktiv, gesund und sicher unterwegs'. Was gibt es also besseres als eine Stadtführung zu Fuß und an der frischen Luft zu unternehmen?"

Die Resonanz auf den Parking-Day fällt trotz kreativem Angebot bei beiden Stellplätzen eher verhalten aus. Ähnliches beschreibt auch Raimund Schiller vom Kreisjugendring (KJR), der mitunter das mobile U18-Wahlbüro am Ende der Hauptstraße betreut. Die U18-Wahl ist eine bundesweite Aktion, die der KJR für den Landkreis organisiert. Infotisch und Wahlkabinen in der umfunktionierten Parklücke sollen auch Spätentschlossenen die Stimmenabgabe ermöglichen, die an diesem Tag offiziell endet. Zwar kämen ein paar Jugendliche gezielt zum Wählen vorbei, aber es sei eine Herausforderung, junge Passanten für die Teilnahme zu motivieren. Den Einfluss der anhaltenden Digitalisierung erkenne Schiller ganz klar an den kurzen Werbeformaten der Parteien, die Jugendliche auf Twitter oder Instagram konsumieren. "Ein umfassendes Verständnis für die Parteiprogramme fällt dadurch schwer." Umso mehr sieht er sich und sein Team als wichtige Informationsquelle für demokratische Prozesse.

Die anhaltenden Diskussionen um den immensen Raum, den der motorisierte Individualverkehr für sich beansprucht, führten zu einem internationalen Boom des 2005 in San Francisco ins Leben gerufenen Aktionstages. Der Parking-Day wird alljährlich am dritten Freitag im September gefeiert und die Kreisstadt ist heuer zum dritten Mal dabei. Jedes Jahr werden Vereine, Organisationen, Behörden und Künstler eingeladen, temporäre Nutzungsmöglichkeiten zu erproben.

Dass sich auch Privatpersonen am Event beteiligen können, beweist der Parkplatz unter dem Titel "Frauenpower 4 Klima". Er stellt an diesem Nachmittag ein Sortiment an nachhaltigen Haushaltsgegenständen zur Schau und wurde von Tanja de Azambuja inszeniert. Sie hat vor zwei Jahren eine Chatgruppe mit etwa 30 Frauen gegründet, die es sich zum Ziel macht, den Alltag möglichst nachhaltig zu gestalten. Der virtuelle Austausch klärte bereits Fragen zu diversen ökologischen Haushaltstipps oder veganen Rezeptempfehlungen. De Azambuja gibt an, dass sie sich über Zuwachs jeglichen Geschlechts freue, aber für sie seien Frauen schlichtweg die Heldinnen des Alltags. "Der Chat soll einen Rahmen schaffen, in dem sie sich miteinander solidarisieren können", so die studierte Forstwissenschaftlerin.

Selbstverständlich ist auch an diesem Tag - allem Idealismus und Weltverbesserungsanspruch zum Trotz - der Feierabendverkehr der angrenzenden B2 schwer zu überhören. Sie ist auch der Grund, warum für einen Besucher des Parking-Day sämtliche Nachhaltigkeitsaktionen Jahrzehnte zu spät kommen. Ein Ansatz, der nicht zum Repertoire der Aktivisten von Fridays for Future (FFF) gehört. Gemeinsam mit dem Stadtjugendrat (SJR) geben sie sich lieber zukunftsorientiert und gestalten eine Parklücke in der Mitte der Hauptstraße, die vor allem die Jüngeren zum Kreativwerden anregen soll. Dort werden Stoffbanner und Plakate für den globalen Klimastreik am Freitag, 24. September, gebastelt und mit Graffitifarbe besprüht. Obwohl in den letzten Jahren zwar mehr los gewesen sei, bekämen sie viel Zuspruch, freuen sich Benedikt Bucher vom SJR sowie Alina Reize und Ella Wörrlein, lokale FFF-Aktivistinnen.

Einen musikalischen Beitrag zum Parking-Day leistet der Verein Subkultur, den man am nördlichen Ende der Hauptstraße antreffen kann. Er befasst sich mit der Förderung lokaler Künstler. "Dafür wird nach wie vor einfach zu wenig getan", findet Sebastian Schäfer, Mitglied des Vereinsbeirats. Zum Selbstverständnis vieler Mitglieder gehöre die Bevorzugung vom Fahrrad anstelle der vierrädrigen Alternative. "Vielleicht tanzen heute sogar einige nach Hause", mutmaßt ein Besucher. Zeitgleich erfüllen die Klänge eines Gesangsduos die Hauptstraße mit spanischsprachigen Texten.

Noch am Dienstag und Mittwoch, 21. und 22. September, lädt die EMW in Fürstenfeldbruck zu weiteren Veranstaltungen. Neben einem Kinoabend mit anschließender Podiumsdiskussion im Lichtspielhaus, Maisacher Straße 7, ist ein autofreier Schultag am Mittwoch geplant. Alle Details hierzu und Informationen zu weiteren Veranstaltungen sind unter www.fuerstenfeldbruck.de zu finden.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2021
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