Fliegerhorst Fürstenfeldbruck:Der Aufenthalt im "Ankerzentrum" dauert oft Monate

Fliegerhorst Fürstenfeldbruck: Kinder spielen auf dem Gelände der Dependance des sogenannten Ankerzentrums.

Kinder spielen auf dem Gelände der Dependance des sogenannten Ankerzentrums.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Eigentlich ist die Einrichtung am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck nur auf einen kurzen Aufenthalt ausgelegt. Etwa 800 Geflüchtete sind dort untergebracht.

Von Christoph Leischwitz, Fürstenfeldbruck

Im Jahr 2018 gab es insgesamt 330 Polizeieinsätze in der Fürstenfeldbrucker "Unterkunfts-Dependance", im vergangenen Oktober gab es einen besonders großen mit Hubschrauber-Einsatz, und im November gingen die Bewohner auf die Straße, um gegen die Zustände am Fliegerhorst zu demonstrieren. Wenige Monate nach der Umbenennung in "Ankerzentren" waren die Vorfälle nur eine Bestätigung dafür, wie miserabel die Zustände in den Unterkünften sind.

Im Fürstenfeldbrucker Ableger, in dem sich zurzeit knapp 800 Flüchtlinge aufhalten, ganz besonders. Nachdem im Oktober sogar Politikern der Besuch untersagt worden war, entschied sich die zuständige Regierung von Oberbayern Anfang 2019, etwas mehr Transparenz zu wagen: Sie erlaubte Medienvertretern einen Rundgang und beantwortete zahlreiche Fragen. Doch nicht alle wurden beantwortet. Zum Beispiel jene, wie viel die Regierung von Oberbayern die Unterbringung der Flüchtlinge eigentlich kostet. Dies sei nicht genau zu beziffern, hieß es damals von Regierungspräsidentin Maria Els. Zugleich warf die Veranstaltung zahlreiche neue Fragen auf. Somit war es um die Transparenz gleich wieder geschehen.

Anwälte, die Flüchtlinge vertreten, Ehrenamtliche sowie Vertreter von Asylhelferkreisen kommen aus dem Erzählen gar nicht mehr heraus, wenn sie die Missstände aufzählen, täglich gebe es neue Probleme.

So sollen die Bewohner bis zum vergangenen Herbst weder auf ihren Zimmern noch auf den Fluren Stühle und Tische gehabt haben, also auch keine anderen Sitzmöglichkeiten als das Bett, das zugleich Schreibtisch war, oder den Boden. Aufenthaltsräume gibt es nicht.

Es gebe Duschräume, deren Wände über mehrere Quadratmeter mit schwarzem Schimmel bedeckt seien (auf dem Presserundgang freilich gab es geputzte Toiletten zu sehen). Nachts finden viele Bewohner aus zahlreichen Gründen nicht in den Schlaf: Weil es eben immer einen Grund gibt, wenn bis zu 20 Personen in einem Raum leben. Frauen hätten Angst, die Duschen aufzusuchen, weil sie nicht abzusperren sind und jederzeit Männer reinkommen können. Manche Sanitäranlagen seien zudem nicht erkennbar nach Geschlechtern getrennt.

Teeküchen gibt es seit Jahren nicht. Junge Mütter, von denen es in der Fürstenfeldbrucker Unterkunft sehr viele gibt, haben kaum die Möglichkeit, Zwischenmahlzeiten für ihre Kinder zu bereiten. Generell ist warmes Wasser, zum Beispiel für Babybrei, nur im Pausenraum des Sicherheitsdienstes erhältlich. Das bedeutet, dass man sein Baby nachts allein im Zimmer lassen muss, um Wasser zu holen. Wasserkocher sind auf den Zimmern aus Brandschutzgründen verboten. Fläschchen oder Schnuller auszukochen, ist so gut wie unmöglich. Den unhygienisch aussehenden Wasserspendern auf den Gängen bringt niemand Vertrauen entgegen.

Fliegerhorst Fürstenfeldbruck: Zutritt zur Unterkunft haben nur die Bewohner und die Menschen, die sie betreuen und helfen.

Zutritt zur Unterkunft haben nur die Bewohner und die Menschen, die sie betreuen und helfen.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Wenn öffentliche Kritik an Missständen zunimmt, wird bisweilen recht schnell, aber auch uneffektiv reagiert. So entsteht der Eindruck, dass die Regierung von Oberbayern eher das Ziel verfolgt, ihre eigenen Probleme zu beseitigen als jene der Flüchtlinge. Zumal offensichtlich immer wieder darauf geachtet wird, nicht zu viel Geld für neue Maßnahmen auszugeben.

Das Management der Unterkünfte macht es Flüchtlingen, bezüglich ihrer Rechte und Pflichten ohnehin verunsichert, oft recht leicht, der Regierung von Oberbayern zu misstrauen. Ein besonders schwerer Vorwurf: Die Regierung gibt gesetzlich zugesicherte Sachleistungen einfach nicht aus. So vertritt die Münchner Anwältin Anna Frölich aktuell zwei Familien, die auf Auszahlung der Kleiderpauschale für ein gesamtes Jahr bestehen - weil sie in diesem Zeitraum von der Regierung keine Bekleidung erhalten haben, die Pauschale aber monatlich abgezogen wurde.

Laut Asylbewerberleistungsgesetz stehen einem verheirateten Flüchtling monatlich Grundleistungen von 318 Euro zu. Bar ausgezahlt werden davon 86 Euro. Abgezogen werden mehrere Pauschalen, darunter 30,46 Euro (bei verheirateten Personen) für "Bekleidungshilfe". Dafür haben die Flüchtlinge alle sechs Monate rechtlichen Anspruch auf neue Bekleidung. Frölich sagt, die beiden Familien seien nur die Spitze des Eisbergs: Ein Großteil der in Fürstenfeldbruck lebenden Flüchtlinge hätte nach der einmaligen Ausstattung unmittelbar nach der Ankunft in München überhaupt keine Bekleidung erhalten. Die meisten trauten sich allerdings nicht, dies anzuprangern, aus Angst vor Repressalien.

Die Regierung erklärt, dass jeweils am 1. Mai und am 1. Oktober jedes Jahres eine Kleiderausgabe in München stattfindet. Wer nach dem 1. Oktober 2018 in Bayern ankam, konnte "den Bedarf in der Kleiderkammer des BRK in der Unterkunfts-Dependance Fürstenfeldbruck anmelden und diesen dann über die Kleiderkammer des BRK decken".

Nicht darauf ausgelegt, Menschen länger als ein paar Wochen zu beherbergen

Fliegerhorst Fürstenfeldbruck: Die Personen in der Unterkunft sind in Mehrbettzimmern untergebracht.

Die Personen in der Unterkunft sind in Mehrbettzimmern untergebracht.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Doch erstens mangelt es auch dort an vielem, im vergangenen Winter zum Beispiel an festen Schuhen. Babykleidung gibt es generell selten, Unterwäsche dem Vernehmen nach überhaupt nicht. Vor allem aber hat das BRK keinerlei vertragliche Kooperation mit der Regierung von Oberbayern, es handelt sich ausschließlich um Privatspenden. Somit entstehen für die Regierung keine Kosten. Offensichtlich ist es aber auch unerheblich, ob Bedarf besteht oder nicht: Die Kleiderpauschale wird in jedem Fall abgezogen. Dies ist einer von vielen Faktoren, der unter Flüchtlingen zu Unmut führt.

Ein zweites Beispiel ist die Pauschale für "Verkehr", womit vor allem die Nutzung des MVV gemeint ist. Dabei werden Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr 12,96 Euro abgezogen - obwohl Kleinkinder beim MVV umsonst fahren dürfen. Die Regierung von Oberbayern erklärt dazu, dass es keine allein reisenden Kinder in der Unterkunft gebe und dass die Berechnung "im Sinne einer Gesamtschau" gesehen werden müsse. So seien "die mit dem MVV vertraglich vereinbarten Pauschalen für die MVV-Fahrtberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auch unter Einbezug der Kinder errechnet" worden. Dadurch sei die teilweise Kürzung der Geldleistungen "gerechtfertigt". Worauf sich die vereinbarten Pauschalen belaufen, sagte die Regierung nicht. Und der MVV sagt ebenfalls, hierzu keine Auskunft geben zu können.

Nach den Tumulten im vergangenen Oktober sowie den anschließenden Demonstrationen hatte auch die Leitung erkannt, dass den Bewohnern sogenannte tagesstrukturierende Elemente fehlen. Allerdings wird auch hier der Eindruck erweckt, dass Verbesserungen allein darauf abzielen, möglichst wenig Geld auszugeben und Probleme für die Regierung zu minimieren, nicht aber jene der Flüchtlinge.

Aktuell gibt es lediglich einen Sportraum sowie Deutschkurse, die allerdings ehrenamtlich angeboten werden und die Kassen der Regierung nicht belasten. Eine kleine Bibliothek für Kinder und Jugendliche ist maximal anderthalb Stunden am Tag geöffnet.

Es werde versucht, "ein ganzes Bündel an Maßnahmen in die Wege zu leiten", hatte Regierungspräsidentin Maria Els im Februar gesagt, die Unterbringungssituation müsse verbessert werden. Es sei auch angedacht, eine sozialpädagogische Fachkraft zu beschäftigen, um "frühzeitig Konfliktsituationen entschärfen zu können". Möglichkeiten für das Tagesangebot wären Spielgruppen für Kinder, kulturelle Angebote, Hausaufgabenbetreuung oder auch schlicht die Bereitstellung von Aufenthaltsräumen.

All dies ist aber weiterhin nicht einmal auf den Weg gebracht: Auf Anfrage heißt es, eine Ausschreibung für Dienstleistungsunternehmen sei "in Vorbereitung". Mit der Fertigstellung zweier Teeküchen werde im Laufe des Aprils gerechnet, hieß es zudem auf Anfrage.

Einige Dinge hätten sich in den vergangenen Monaten verbessert, ist aus der Unterkunft zu hören. Stühle und Tische gibt es mittlerweile, in den Zimmern leben jetzt nur noch maximal acht Personen zusammen. Die Duschen werden nun besser überwacht, wenngleich das aber auch nötig ist, weil viele von ihnen kein warmes Wasser haben, insgesamt also weniger zur Verfügung stehen. Und in München ist nun die Kleiderkammer tatsächlich geöffnet. Die Missstände in Fürstenfeldbruck seien aber per se so gravierend gewesen, dass die Situation noch lange nicht tragbar sei, berichten Beobachter.

Die sogenannten Ankerzentren und ihre Dependancen wurden 2018 vor allem deshalb eingeführt, damit Flüchtlinge schneller abgeschoben werden können. In Fürstenfeldbruck ist eines sicher: dass die Bedingungen eigentlich gar nicht darauf ausgelegt sind, Menschen länger als ein paar Wochen zu beherbergen.

Dabei lag die durchschnittliche Verfahrensdauer für Asylanträge laut Regierung von Oberbayern zuletzt bei etwa neun Monaten. Und in Fürstenfeldbruck gibt es Menschen, die dort schon deutlich länger untergebracht sind.

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