Kultur:Ein Abend, an dem es einfach passt

Kultur: Von verzweifelten Individuen zur Selbsthilfe-Gang: JJ (Moritz Riker, von links), Martin (Alexander Schmiedel), Jess (Chara Flür) und Maureen (Marion Nitsch).

Von verzweifelten Individuen zur Selbsthilfe-Gang: JJ (Moritz Riker, von links), Martin (Alexander Schmiedel), Jess (Chara Flür) und Maureen (Marion Nitsch).

(Foto: Günther Reger)

Die Neue Bühne Bruck macht aus Nick Hornbys Klassiker "A Long Way Down" eine herausragende Bühnenversion - ebenso unterhaltsam wie berührend. Mit einem wunderbar aufspielenden Ensemble.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Es ist ein heikler Stoff, den sich die Neue Bühne Bruck für ihre letzte Inszenierung in dieser Spielzeit ausgesucht hat: Ein Stück über vier Menschen, die sich nur deshalb kennenlernen, weil sie sich in der gleichen Nacht und am gleichen Ort sich das Leben nehmen wollen. Und das auch noch in Form einer Komödie. Kann das gut gehen? Kann man ein so hartes Thema unterhaltsam auf die Bühne bringen, ohne das Leid der Betroffenen zu verharmlosen oder gar für ein paar Lacher zu instrumentalisieren?

Man kann. Und wie. Unter der feinfühligen Regie von Rene Oltmanns' wird Nick Hornbys Klassiker "A Long Way Down" - 2014 unter anderem mit Pierce Brosnan verfilmt - zu einer wunderbar berührend erzählten Geschichte. Gar zu einem Lehrstück darüber, wieso die Menschen endlich anfangen sollten, achtsamer mit sich und vor allem den anderen umzugehen. Egal ob bei einer flüchtigen Begegnung auf der Straße oder in langjährigen Beziehungen und Bekanntschaften.

Das Lied vom zerbrochenen Partygirl

Es passt einfach so gut wie alles in dieser Inszenierung, begonnen bei der großartig gewählten Musik. Immer wieder setzt Oltmanns in Schlüsselmomenten auf Sias Popsong "Chandelier", der nicht nur zum Soundtrack des Abends wird, sondern auch zum gar nicht so heimlichen fünften Protagonisten. Er erzählt von einer von den anderen als glückliches "Partygirl" wahrgenommenen jungen Frau, die nun ihre innere Zerbrochenheit in einem emotionalen Text formuliert. "But I'm holding on for dear life / Won't look down, won't open my eyes / Keep my glass full until morning light / 'Cause I'm just holding on for tonight / Help me, I'm holding on for dear life" heißt es da im Refrain. Irgendwie am nackten Leben festhalten, die flehende Bitte um Hilfe.

Das ist es auch, was die vier Figuren Martin (Alexander Schmiedel), Maureen (Marion Nitsch), Jess (Chara Flür) und JJ (Moritz Riker) anfangs verbindet. Nur haben diese vier grundverschiedenen Menschen das große Glück, dass sie sich in ihrer jeweils dunkelsten Stunde kennenlernen und sich gemeinsam da raus kämpfen - weil ihnen (vermeintlich) nichts Anderes mehr bleibt auf der Welt als sie selbst.

"Wir sind jetzt eine Gang" formuliert es Jess an einer Stelle. Bis auf Martin, den ehemaligen Fernsehstar, der sich mit einer Minderjährigen einlässt und dann einmal - von der Öffentlichkeit begleitet, befeuert und ausgeschlachtet - von ganz oben bis ganz unten abstürzt, leiden die Figuren eher still. Normale Menschen, mit ganz menschlichen Sorgen.

Nachhaltig aufrüttelnd

Maureen, die alleinerziehende Mutter eines schwerbehinderten Sohnes, die seit dessen Geburt quasi die Wohnung nicht verlassen hat; Jess, die rebellisch-verzogene Tochter aus gutem Haus, die das Gefühl hat, am Liebeskummer zu zerbrechen - und in Wahrheit einen viel tieferen Schmerz hat, der sie zerreißt; und der junge Musiker JJ, der keinen Erfolg hat und sich deshalb als größten Versager der Welt sieht.

Bei einem der vielen Treffen des Quartetts ist es wieder der Song "Chandelier", der den Boden für eine bewegende Szene bereitet. Dieses Mal in einer melancholischen Klavierversion von Damien Rice. "Er ist so traurig", sagt Maureen leise, die als einzige genau hinhört. Niemals würde so was im Radio laufen, weil die Welt traurige Menschen nicht hören will, sagt Maureen. Weil sie die gespielte Hochglanz-Glücklichkeit des Konsumkapitalismus stören, sich nicht vom neusten Gadget von ihren Emotionen ablenken lassen, könnte man auch sagen.

Die Inszenierung ist aber auch deshalb so nachhaltig aufrüttelnd, weil das Ensemble - die Gang - einen furiosen Auftritt abliefert. Alexander Schmiedel und Marion Nitsch, die beiden erfahrenen, spielen nicht nur jeweils ihre Rollen mit eindrucksvoller Tiefe und rasantem Witz, sondern sie bereiten den beiden unerfahrenen jungen Chara Flür und Moritz Riker einen Raum, in dem sie aufblühen können und sich trotz ihrer bisher geringen Bühnenerfahrung sichtlich wohlfühlen. Schmiedel und Nitsch halten sich zurück, wo es nötig ist und drehen auf, wo das Stück es braucht.

Eine Szene allein ist den Eintritt wert

Aber auch Flür und Riker entwickeln ihre Figuren über den Abend wunderbar facettenreich und mit großer menschlicher Tiefe, wobei es Riker mit seinem eher zurückhaltenden, nachdenklichen und harmoniesuchenden JJ noch einmal schwerer hat als Flür, die als rebellischer Punk einfach meist gegen alles und jeden pöbelt und mächtig laut sein darf, dann aber immer wieder auch eine zerbrechliche Seite zeigen kann.

Übrigens ist alleine die Szene, in der Schmiedel als Chas, Jess Ex-Freund, auftritt und mit umgedrehter Basecap und verzerrtem Gesicht im Ghettoslang Entschuldigungen vor sich nuschelt und so etwas wie einen Anflug von Erkenntnis hat, den Eintritt für diesen Abend wert.

Bei so viel Vergnügen, Erkenntnis und echten Emotionen verzeiht man der Inszenierung dann auch, dass der Schluss etwas abfällt. Oltmanns hat sich dafür entschieden, dem Originaltext treu zu bleiben, der in pathosgeladener Hollywood-Manier noch einmal alle Figuren erzählen lässt, wie schön alles geworden ist und wie viel glücklicher sie sind. Das mag nicht so recht zum Rest des Abends passen, der sehr klug vieles andeutet und offenlässt und so das Publikum dazu bringt, mit den Figuren zu fühlen und eigene Schlüsse zu ziehen. Dem Gesamteindruck, hier einen besonderen Theaterabend erlebt haben zu dürfen, schadet das aber nicht im geringsten.

"A Long Way Down", Neue Bühne Bruck, nächste Termine: Freitag und Samstag, 17. und 18. März, 31. März, 14., 16., 22., 23. und 28. April. Tickets für 17, ermäßigt neun Euro unter www.buehne-bruck.de/alongwaydown/

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