90 Jahre nach Erfindung des Tischfußballs:Loses Schussbein

Der Adelshofener Autor und Verleger Manfred Fock hat im Jubiläumsjahr des Tipp-Kick-Spiels seinen bühnentauglichen Trainermonolog "Der Schoaß im Hirn" neu herausgebracht

Von Christian Hufnagel

Adelshofen: Manfred Fock mit Kicktipp-Arena

"Gleichzeitig erigiert sein Schussbein in die Höhe": Durchaus literarische Züge trägt das Büchlein "Der Schoaß im Hirn" über einen Trainer, der auf seine elf Tipp-Kick-Spieler wartet. Er hatte sie bei einem Turnier vergessen.

(Foto: Johannes Simon)

Fußball liefert bekanntlich den Stoff für sämtliche literarische Formen. Dramen sind auf dem Spielfeld eh an der Tagesordnung, einzelne Aktionen veredeln sich häufig zu einem Gedicht und epische Ausmaße nehmen nicht nur Pokalschlachten an. Eine Variation, manche mögen es auch Abart nennen, der schönsten Nebensache der Welt hat ein Apothekenmöbelhersteller namens Erich Meyer 1923 erfunden, ein Jahr später übernahm Erwin Mieg in Schwenningen die serielle Produktion. Und auch nach nun 90 Jahren ist Tipp-Kick noch immer nicht nur eine beliebte Freizeitbeschäftigung, sondern auch ein Spiel, das es gleichfalls in den Rang eines Schriftsteller-Sujets geschafft hat. Für das nach wie vor "erste literarische Werk", so die Hommage in der Fachzeitschrift Kicker, ist Dr. Fridolin Fox verantwortlich, welcher wiederum eine Kunstfigur ist, die sich Manfred Fock aus Adelshofen ausgedacht hat. Der Sozialpädagoge, Autor, Verleger und begeisterte Fan des Tischfußballs hat unter diesem Pseudonym ein in Fachkreisen legendäres Werk verfasst: "Der Schoaß im Hirn" wurde von ihm 1987 niedergeschrieben und verlegt. Nun hat er das vergriffene Büchlein im Tipp-Kick-Jubiläumsjahr neu aufgelegt - im schmiegsamen und handlichen Pocket-Format.

Rein formal gesehen, würde sich das Bändchen als Vorlage für ein Theaterstück eignen. Es bräuchte nur einen Schauspieler, der auf der Bühne einen Monolog hält. Und zwar im Grundsatz darüber, wie er als Trainer seine Mannschaft verloren hat und nun darauf wartet, dass der Postbote diese ihm zurückbringt. Die Spieler sind freilich nicht aus Fleisch und Blut und lebensgroß, sondern so klein, dass sie in einer Hand liegen würden, dazu aus Zinn gegossen. Selbige Elf hat der Coach nun nach einem Turnier "im fünften Stock in Karlshöhe" vergessen. Der reale Boden an diesem Plot ist Manfred Focks einstige Leidenschaft. Offensichtlich zur Hochblüte des Tipp-Kick-Spiels nahm er in der ungewöhnlichen Form mit elf Spielern an Meisterschaften teil. Eine Wettbewerbsmanie, die sich von Mitte der 1970er Jahre gut zwei Jahrzehnte hielt. Heute gebe es nur noch "ab und an Turniere", erzählt der 58-jährige Adelshofener. Freilich sind ihm selbst niemals seine Zinnjungs verloren gegangen, seiner literarischen Figur aber schon. Und diese wartet nun 55 Seiten lang auf den Postboten, der am Ende dann auch wirklich eine Holzschachtel vor der Haustür abstellt - allerdings mit einer bösen Überraschung: Das Behältnis ist leer: "Meine Spieler, wo sind sie?" fragt der Protagonist ratlos, um dem imaginären Publikum zu versichern: "Ich werde sie finden!" Und mit der dramaturgischen Beschreibung "Er verlässt das Zimmer." schließt das Stück. Und überlässt das Schicksal des verwaisten Coachs der Phantasie des Lesers.

Es ist ein überschaubarer Plot, reduziert auf das Warten und das begleitende Schwadronieren der Hauptfigur. Zur Literatur wird das Büchlein durch philosophisch-durchdrungene Auslassungen des Trainers, durch die damit einhergehende Personifizierung, ja Beseelung der Zinnfiguren durch den Autor. Angereichert mit phänomenologischen Betrachtungen, so über das Spielgerät, ein "zwölfeckiges, schwarz-weißes Ding", welches in der Sprache des Fußballlehrers seine Kanten abschleifen muss: "Ich weiß, jeder Ball ist rund, hat rund zu sein." Und deshalb rollt auch diese eckige Kugel über den grünen Filz.

Richtiges Mitgefühl bringt der Leser zunehmend den Tipp-Kick-Figuren entgegen. Da ist der Feldspieler, über den die weitreichende Funktionsanalyse folgendermaßen anhebt: "Das Standbein bildet die statische Voraussetzung des Spiels." Selbiges ist in seinem Fall steif und unbeweglich. Das zweite Bein hängt ein wenig lose am Körper. Und lässt sich von außen in explosive Aktion versetzen: Wenn der menschliche Zeigefinger einen Stöpsel am Kopf drückt, der dann "auf die Schädeldecke des Spielers einhämmert". Das schmerzt beim Lesen, ist aber nicht mehr als deskriptiv. Was folgt, packt der Autor in einen Vergleich: "Gleichzeitig erigiert sein Schussbein in die Höhe." Und das eckige Ding schießt auf den Torwart zu, der bekanntlich "eine von hinten kommende Stoßkraft ertragen muss". Nämlich einen Knopfdruck, der ihn entweder nach links oder nach rechts tauchen lässt - nicht anders als die berühmte Bahnschranke.

Wer sich über die fremdbestimmte Seite des Tischfußballs nie Gedanken gemacht hat, er wird es bei der Lektüre erstmals tun. Und er wird in der mechanischen Abfolge zu jener seelischen Komponente vordringen, die der Titel als einzigartigen Moment aufbläht: "Der Schoaß im Hirn" hebt eben jene Augenblicke in den Rang einer Metapher, in dem eine Tipp-Kick-Figur zum Schuss explodiert und dem Menschen eine Handlung mit unberechenbarem Ausgang entfährt. Auch wenn sich der Lesewert dann ähnlich schnell verflüchtigt, wie der ins Spiel gebrachte körperliche Vorgang: Manfred Fock hat mit "Schoaß im Hirn" nicht nur für Tipp-Kick-Fans eine literarische Duftnote hinterlassen.

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