Für den Grimme-Preis nominiertWeg von der Straße

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Janne Drücker und Arton Novobredaljija spielen bei der Kika-Serie "5 vor 12" über straffällig gewordene Jugendliche mit. Der Jugendliche möchte nun ins Filmgeschäft, die Schauspielerin freut sich über ihre Arbeit als Pädagogin

Von Gerhard Fischer

Arton Novobredaljija hört sich Fragen immer genau an. Dann überlegt er. Dann antwortet er. Meistens dauert das nicht lange, aber diesmal braucht er Zeit. Er wurde gerade gefragt, warum Janne Drücker bei schwierigen Jungs so gut ankomme (den Begriff "schwierige Jungs" hatte Drücker gerade selbst verwendet). Arton Novobredaljija also sagt nach einer längeren Pause: "Wenn ich Probleme hatte, bin ich immer zu Janne gegangen, und meine Freunde haben das auch gemacht." Er überlegt noch einmal kurz, und dann sagt er das Wort, das für ihn am besten zutrifft: "Vertrauen", sagt er. "Ich habe Vertrauen zu Janne."

Arton Novobredaljija, 17, und Janne Drücker, 36, haben bei "5 vor 12" mitgespielt, einer Kika-Serie, bei der es um straffällig gewordene Jugendliche geht. Ihre Delikte: Diebstahl, Drogenmissbrauch, Körperverletzung, Ankündigung eines Amoklaufs. Statt ins Gefängnis gehen sie mit zwei Betreuern auf eine Almhütte. Die Serie, die ältere Kinderkanal-Seher ansprechen soll, lief im vergangenen Herbst und wird gerade sonntags wiederholt. Und sie wurde nun für den Grimme-Preis nominiert.

Arton Novobredaljija und Janne Drücker sitzen im Café Mozart am Sendlinger Tor. Novobredaljija, ein breitschultriger junger Mann mit Kinnbart, hockt zunächst ruhig da. Er redet nur, wenn er gefragt wird. Janne Drücker, die viel jünger aussieht als sie ist, sitzt ihm gegenüber. Sie sagt, sie finde es toll, dass sich die Regisseure und die Produktionsfirma TV 60 getraut hätten, Jugendliche ohne Schauspielerfahrung für "5 vor 12" zu casten.

Janne Drücker und einer der Regisseure, Christof Pilsl, kannten sich von früher. Pilsl meldete sich dann vor zwei Jahren bei Drücker, die damals in einer Kinder- und Jugendfreizeitstätte in Moosach arbeitete; er sagte, er suche Darsteller, die wie Jugendliche von der Straße aussähen. "Die Kika-Serie hat präventiven Charakter und muss gerade deswegen authentisch sein", sagt Drücker. Sie machte dann in ihrer Freizeitstätte ein Casting mit Jugendlichen - und zwei wurden genommen: Arton und Alex; Alex spielte bei "5 vor 12" eine kleine Nebenrolle in der ersten und zweiten Folge.

"5 vor 12" wurde auf einer Hütte in den Bergen über Bayrischzell gedreht. Im Mittelpunkt stehen fünf Jugendliche (unter ihnen Arton Novobredaljija als Tschakko) und zwei Betreuer (eine davon ist Janne Drücker als Monika). Der männliche Betreuer wird von Andreas Leopold Schadt gespielt, den man vielleicht vom Franken-Tatort kennt; und Monika alias Janne Drücker kennt man vielleicht von "Marienhof". Sie hatte dort die Hauptrolle der Anne Maldini.

Chance fürs Leben: Janne Drücker, Erzieherin und Schauspielerin, ermöglichte Arton Novobredaljija einen Einstieg ins Filmgeschäft.
Chance fürs Leben: Janne Drücker, Erzieherin und Schauspielerin, ermöglichte Arton Novobredaljija einen Einstieg ins Filmgeschäft. (Foto: Catherina Hess)

Janne Drücker ist in Bremen aufgewachsen. Mit zwölf Jahren hatte sie ein Casting an der Schule. Und mit 13 spielte sie beim Psychothriller "Der Richter und das Mädchen" mit. Die Schule brach sie vor dem Abi ab. "Ich ging nach Berlin, um Schauspielerin zu werden", sagt sie. Zudem machte sie dort das Fach-Abitur und begann eine Ausbildung als Erzieherin - bis das Angebot kam, Maldini bei Marienhof zu spielen. Marienhof wurde in München gedreht. Drücker zog also nach Bayern. "Marienhof war eine schöne, eine wichtige Erfahrung, aber es erfüllte nicht mein Herz", sagt Drücker, die sich immer darum bemüht, Dinge so zu formulieren, dass sie ihre Gefühle genau ausdrücken. Sie stieg bei Marienhof aus, ließ danach die Schauspiel-Angebote sausen, machte die Erzieher-Schule zu Ende, schloss eine Zusatz-Ausbildung zur Anti-Gewalt- und Kompetenztrainerin an - und ging dabei auch mit schwierigen Jugendlichen auf eine Almhütte. Die realen Geschichten von damals flossen in das Drehbuch von "5 vor 12" mit ein. "Natürlich anonym", betont sie.

Janne Drücker sieht hinüber zu Arton Novobredaljija. Jugendarbeit sei "genau das, was ich machen möchte", sagt sie; denn sie habe "einen Draht zu schwierigen Jungs". Sie habe darüber nachgedacht, woher das komme; sie habe aber nie "die eine" Antwort darauf gefunden. Auf jeden Fall schätze sie die Ehrlichkeit und Loyalität dieser Jungs. Und deren Biss, wenn ihnen echte Chancen gegeben werden. Jungs aus besser situierten Elternhäusern hätten nicht "diese spezielle Art von Biss", weil ihnen viel mehr Möglichkeiten offen stünden.

In Moosach begegnete sie Arton Novobredaljija. Er war gerade zwölf, als Janne Drücker in die Freizeitstätte kam, und er war fast jeden Tag da, spielte an der Playstation, galt als schwierig, bekam schon mal Hausverbot, wenn er, wie er sagt, wieder mal "sauer" geworden sei. Die Mutter, die aus dem Kosovo stammt, hatte zwei Jobs, um Arton und seine vier Brüder über Wasser zu halten.

In der Freizeitstätte bauten Novobredaljija und Drücker eine Beziehung auf. Janne Drücker sagt das genau so: eine Beziehung aufbauen. Sie erinnert sich an ihre erste Begegnung. "Ich brauchte einen Wagen und habe meine Seele an RTL2 verkauft", erzählt sie und lacht. Gedreht wurde in der Freizeitstätte. "Arton hat uns immer durchs Fenster zugeguckt und wollte unbedingt mitmachen beim Dreh." Sie neckte ihn: "Du klaust ja eh alles. Oder kann ich dir vertrauen?" Er sagte ja und durfte rein. "Natürlich hat er nichts mitgehen lassen - ich wusste gleich, dass ich ihm vertrauen kann."

Novobredaljija lächelt, als er das hört. Dann redet er statt Drücker, weil er darum gebeten wird, und er sagt gleich, dass die Dreharbeiten von "5 vor 12" sein Leben verändert hätten. Er gestikuliert nicht, wenn er erzählt. Er sitzt einfach da, die Arme hängen herunter. Manchmal lächelt er, wenn er etwas sagt. Dann wirkt er fast scheu. Vor "5 vor 12" sei er eher orientierungslos gewesen, sagt er. Die Schule war vorbei, er hatte den Hauptschulabschluss gemacht und wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte. Er habe den ganzen Tag geschlafen und sei am Abend mit Freunden losgezogen. "Ich war ein Straßenkind", sagt er. Und er bewegte sich in einem Umfeld, in dem die Leute Probleme mit der Polizei hatten. Dann kam das Casting von "5 vor 12". Er sei eigentlich für eine Nebenrolle vorgesehen gewesen, sagt er, aber dann sei ein Hauptdarsteller kurzfristig ausgefallen.

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Janne Drücker schaltet sich wieder ins Gespräch ein. "Die Produzenten haben dann bei mir angerufen und gefragt: ,Traust du es Arton zu, dass er eine Hauptrolle spielt'?" Sie habe geantwortet: "Klar, ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass er das kann."

Arton Novobredaljija lächelt. Er habe sich darüber "riesig gefreut" und sich "voll reingehängt", sagt er. Anfangs sei er schon nervös gewesen, aber die Jungs - Mitspieler, Regisseure, Produzenten - hätten ihm sehr geholfen; sie seien "mega-nett" gewesen. Arton Novobredaljija spielt Tschakko, der wegen Diebstahls und Drogendelikten drangekriegt wurde. Auf der Hütte muss er mit den anderen Frühstück und Feuer machen, sie gehen angeln. Keiner hatte ein Handy dabei, die einzige Verbindung zur Außenwelt ist ein Satellitentelefon für den Dreh. Manchmal schaut man den Jungs einfach zu, wie sie Wasser holen. So ruhig geht es im Fernsehen nur noch selten zu. Außerdem finden Sitzungen statt, in denen die Jungs ihre Vergangenheit reflektieren. Die anderen Teilnehmer und die Betreuer greifen ein, korrigieren, sagen, was wichtig ist im Leben, wie man in Zukunft mit Aggressionen umgeht. Sie sprechen nach Drehbuch. Es ist keine Doku.

Janne Drücker sagt, dass Novobredaljija zuvor als schwierig, auffällig und auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht vermittelbar galt. Bei den Dreharbeiten für "5 vor 12" habe er gezeigt, dass er zuverlässig sei und hart arbeiten könne. Manchmal mussten sie bei den Dreharbeiten um fünf Uhr in der Garderobe sein.

"Die Leute dort haben mir eine Chance gegeben, mich zu beweisen", sagt Novobredaljija. Auch seine Eltern seien jetzt stolz auf ihn. Und er hat jetzt ein Ziel: Er will im Filmgewerbe bleiben. Nach "5 vor 12" durfte er als Set-Runner bei der Produktionsfirma H&V-Entertainment arbeiten, die für Sat 1 "Der Staatsfeind" mit Henning Baum in der Hauptrolle produzierte. Novobredaljija hat als Set-Runner dafür gesorgt, dass die Schauspieler genug zu essen hatten, er baute auf und ab, hielt alles sauber, räumte den Müll vom Catering weg. Er würde sich gerne hocharbeiten und irgendwann in der Aufnahmeleitung arbeiten.

Janne Drücker sieht sich heute nicht mehr als Schauspielerin. "Ich bin Pädagogin", sagt sie. "Aber das Schauspielern und die Sozialarbeit zu verbinden, ist eine gute Möglichkeit, für Jugendliche einen niederschwelligen Kultur-Zugang zu schaffen." Etwa wenn sie mit ihnen Schauspiel-Training mache, Kurzfilme drehe, sie für Castings vorschlage oder - wie neulich - ins Musical "Fack ju Göhte" gehe.

Janne Drücker arbeitet nicht mehr in Moosach, sondern in einem Freizeitreff in Obersendling. "Wir waren echt traurig, als Janne ging", sagt Arton Novobredaljija. Den anderen Betreuern könne er nicht alles erzählen.

© SZ vom 30.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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