Süddeutsche Zeitung

Fünf für München:Schluss mit Catcalling

Lesezeit: 3 min

Charlotte Gruber wehrt sich gegen verbale sexuelle Belästigungen, Schauspielerin Johanna Bittenbinder unterstützt soziale Projekte und Marco Eisenack gibt Start-ups Räume - unsere Münchnerinnen und Münchner der Woche

Von Michael Bremmer, Sabine Buchwald, Elisabeth Fleschutz und Martina Scherf

Neue Möbel

Mit ihrer Erfindung wollen sie die Möbelindustrie aufmischen. "Unser Ziel ist es, in die Wohnzimmer aller Menschen zu kommen", sagt Franziskus Wozniak, 34, einer der Gründer der Firma Wye (ausgesprochen wie das Englische "why"). Zusammen mit Ferdinand Krämer, einem Freund aus Jugendtagen, hat er 2019 das Unternehmen gegründet. Drei Jahre lang hatten die beiden zuvor an einem Werkstoff getüftelt, der haltbar, gut zu verarbeiten und umweltgerecht ist. Aus diesem hohen Anspruch, ist "Neolign" entstanden. Das Material besteht zu 83 Prozent aus Sägespänen, der Rest sind Farbpigmente und Polymere, die alles zusammenhalten. "Wir wollten einen Werkstoff entwickeln, der nachhaltig etwas bewirken kann", erklärt Krämer, ebenfalls 34. Er hat an der Hochschule München Design studiert, Wozniak ist Wirtschaftsingenieur. Umso mehr Menschen mitmachen, desto näher kommen die Münchner ihrem Ziel. Noch stehen sie am Anfang, aber die Branche ist hellhörig geworden. Whe wurde 2021 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Sparte Design ausgezeichnet. Die Nachfrage steigt. Ende November konnten sie in Neuhausen einen eigenen Laden eröffnen. Nach Angaben der Firmengründer lässt sich Neolign wie Holz bearbeiten und komplett recyceln. Wer sein altes Stück zurückgibt, bekommt zehn Prozent des Verkaufspreises erstattet. "Wir schreddern das Material und verwenden es wieder", sagt Krämer. Noch sind Produkte und Farben überschaubar: Hocker, Bänke, Tische in Rot, Grau und Grün, Schneidebretter und Seifenschalen sind vor Kurzem dazugekommen. Bald schon soll es noch mehr geben.

Neue Aktionen

Die Schauspielerin Johanna Bittenbinder ist eine von zehn Prominenten, die sich an der Benefiz-Aktion des Filmemachers Andreas Uhlig beteiligen. Bis Ende Januar sammelt das Projekt Schätzen & Spenden Geld für Projekte in München und Umgebung, die Kinder, Jugendliche und Menschen mit Behinderung unterstützen. Johanna Bittenbinder stellt in ihrem Youtube-Film die Stiftung Attl bei Wasserburg vor. Sie weist auf die Folgen der Pandemie in der Einrichtung für Menschen mit Behinderung hin und möchte interne Freizeitangebote fördern, wie etwa einen mobilen Biergarten.

Neue Räume

Das Mucbook-Clubhaus erweitert seine Flächen: Ab sofort stehen kreativen Münchnerinnen und Münchnern an zehn Standorten in der Stadt bezahlbare Räume für Start-ups, Social Business, Ateliers, oder Workshops zur Verfügung. Aktuell kamen 3000 Quadratmeter dazu. Marco Eisenack, Gründer des Stadtmagazins Mucbook, sagt: "Ich freue mich, dass wir mit dem Versprechen einer sinnstiftenden Nutzung weitere Partnerinnen und Partner überzeugen konnten, uns Flächen zur Verfügung zu stellen." Google, Apple und Microsoft haben hier ihren Deutschland-Sitz, die Industrie setzt auf internationale Talente, die Hochschulen bringen solche hervor. Was dringend fehlt, sind günstige Räume. Damit Pioniere nicht mehr abwandern, gründete Eisenack das Mucbook-Clubhaus. Es nutzt leerstehende Flächen für eine Übergangszeit und bietet sie kreativen Menschen an. Zeitgleich mit der Zahl der Standorte ist auch das Clubhaus-Team gewachsen. Markus Rottmaier kümmert sich jetzt um die Vernetzung und die Anfragen neuer Mitglieder.

Neue Gesetze

Erfolg für Charlotte Gruber, 20, und ihre Mitstreiterinnen. Eine Petition hat erreicht, dass ein Gesetzesentwurf zur Strafbarkeit von verbaler sexueller Belästigung im Bundestag diskutiert werden muss. Unter @catcallsofmuc machen Charlotte Gruber und weitere junge Aktivistinnen und Aktivisten auf Catcalling, also verbale sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit, aufmerksam. Das tun sie, indem sie Erfahrungen ihrer Community teilen - sowohl auf Instagram als auch im öffentlichen Raum Münchens, wo sie die Belästigung buchstäblich auf der Straße ankreiden. "Wir finden, dass es eine totale Ungerechtigkeit ist, dass Catcalling in Deutschland noch immer nicht strafbar ist, anders als in Frankreich, Belgien oder Portugal", sagt Charlotte Gruber, die bei catcallsofmuc für den Instagram-Account verantwortlich ist. Angelehnt an die gleichnamige Aktion in New York haben Sofija Pavlenko, Ege Celik und Julia Tokic das Projekt angestoßen. Catcalling, das neben obszönen Bemerkungen auch Pfiffe oder Hinterherschreien miteinschließt, grenzt sich von Flirten unter anderem durch Übergriffigkeit und fehlende Augenhöhe ab. Catcalls-Organisationen sind welt- und deutschlandweit in vielen Städten vertreten, in Deutschland gilt sexuelle Belästigung jedoch bislang nur bei Körperkontakt als solche. So kann, wenn überhaupt, nur auf Beleidigung oder andere Tatbestände ausgewichen werden. Mit knapp 70 000 Stimmen hat die Petition nun erreicht, dass ein Petitionsausschuss im Bundestag einberufen wird. Initiiert und vorangetrieben wurde die Petition von mehreren Aktivistinnen und Netzwerken in ganz Deutschland.

Alte Anrede

Schon Goethes Gretchen wehrte sich, als Fräulein angesprochen zu werden, noch dazu als schönes. Warum, bleibt Interpretationssache. Fakt aber ist, vor 50 Jahren strich man das Fräulein aus dem Amtsdeutsch. Egal ob unverheiratet oder schön. In Wirtshäusern freilich rief man noch lange nach ihm, wenn die Mass leer war. Das schnöde "Hallo" setzte sich nur langsam durch. Ganz verloren gegangen ist das Fräulein in München jedoch nicht. Im Englischen Garten gibt's noch eins: Das heißt Grüneis, ist der Kiosk von Sandra und Henning Dürr, war mal ein Klohäuserl, und bietet Bier und mehr.

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