Führungskraft bei der Polizei:Ganz normal

Führungskraft bei der Polizei: Sabine Stein leitet die Bundespolizeiinspektion am Münchner Hauptbahnhof. "Man muss authentisch bleiben", sagt sie über ihren Führungsstil.

Sabine Stein leitet die Bundespolizeiinspektion am Münchner Hauptbahnhof. "Man muss authentisch bleiben", sagt sie über ihren Führungsstil.

(Foto: Catherina Hess)

30 Polizisten hören auf ihr Kommando: Sabine Stein ist Kripo-Chefin der Bundespolizeiinspektion am Hauptbahnhof. Gleichberechtigung? Mag sie nicht, "weil ich nicht gleich bin" - weil Frauen keine Männer sind

Von Susi Wimmer

Es fühlt sich schon irgendwie verdreht an, wenn man als Frau eine Frau fragt, wie sie es denn als Frau in eine Führungsposition geschafft habe, noch dazu in einer von Männern beherrschten Berufssparte. Sabine Stein verdreht dann die Augen, hebt die Schultern ein wenig und dann schießen die Worte aus ihr heraus: Dass sie Schubladen-Denken nicht abkann, dass sie gegen Gleichberechtigung ist, "weil ich bin nicht gleich" - und dass sie auch nicht mehr oder weniger geleistet habe als ein Mann. Die Erste Polizeihauptkommissarin - zierlich, an Zentimetern nicht gerade groß, blond - war 1990 eine der ersten Frauen, die bundesweit beim damaligen Bundesgrenzschutz eingestellt wurden. Heute hören 30 Mann auf ihr Kommando, wenn es sein muss auch die Anti-Terroreinheit GSG 9. Sabine Stein, 44, ist Kripo-Chefin der Bundespolizeiinspektion am Münchner Hauptbahnhof.

"Sie ist eine taffe Frau, professionell, durchsetzungsstark." Das sagt ihr Chef, Jürgen Vanselow. Sie selbst sagt, dass sie damals, als sie anfing, eine Frau war, "und das bin ich auch geblieben". Wenn Frauen Männer sein wollen, um in einem Job zu bestehen, dann funktioniere das nicht. "Man muss authentisch bleiben", sagt Sabine Stein.

Friseurin, das wollte die gebürtige Wattenscheiderin in ganz jungen Jahren mal werden. Am Gymnasium dann reifte in ihr der Wunsch nach einem anderen "Traumberuf": Sie sah Krimis im Fernsehen, war fasziniert von den Polizeibeamten auf der Straße. Sie wollte Uniform tragen, "draußen rumrennen" und losziehen, um "die Welt zu retten", noch lange bevor Tim Bendzko davon sang.

Ihr Traum brachte die Nordrhein-Westfälin gleich mal in die Oberpfalz. "Wo bitte ist Schwandorf?", fragte sie sich. Elf Frauen aus dem Bundesgebiet waren es damals, die im gehobenen Dienst beim Bundesgrenzschutz, der heutigen Bundespolizei, anfingen. In Bayern sollten sie ihr dreimonatiges Einführungspraktikum absolvieren. "Schießen und durchs Gelände robben und so." Eigene Duschen oder Toiletten für die Frauen gab es nicht. "Da hing halt draußen an der Tür ein Schild: Jetzt duschen die Männer", das war es.

Berührungsängste habe es schon gegeben, erinnert sie sich. Dass die Ausbilder überlegt haben, wie stark man denn Frauen belasten dürfe. Etwa beim Orientierungsmarsch. Aber es sei von Anfang an auf beiden Seiten ein unglaublicher Wille da gewesen, alle Situationen gemeinsam zu meistern. Auch wenn sie noch so kurios waren. Etwa die einheitlich grünen Haargummis, die der BGS für die Frauen einkaufte, die dann aber ständig aus den Haaren rutschten. Und so setzten sich die eigenen, bunten durch. Genauso wie bei der Schwimmbekleidung: Als die Damen mit den hellgrünen Dienstbadeanzügen aus dem Wasser stiegen, war sofort klar, dass das gar nicht geht. Die Teile waren durchsichtig, und fortan schwammen die Damen in bunt. Kurios, sagt Sabine Stein, sei auch die Begegnung 1993 mit dem damaligen Innenminister Manfred Kanther gewesen, der später in der CDU-Spendenaffäre verurteilt wurde. Zu Sabine Stein sagte er: "Nehmen Sie doch die Mütze ab, Sie sind ohne viel hübscher." Sie selbst habe sich als Frau nie komisch gefühlt bei der Polizei, sagt die heute 44-Jährige, "ich fand eher solche Männer komisch".

Nach dem Fachhochschulstudium in Lübeck landete sie am Münchner Flughafen als stellvertretende Dienstgruppenleiterin. Der Airport im Erdinger Moos hatte 1992 gerade eröffnet und der Bundesgrenzschutz baute dort eine neue Dienststelle auf. "Mit vielen zwangsabgeordneten Leuten, die da eigentlich nicht sein wollten", erzählt Sabine Stein. Und sie, die Frau aus dem Ruhrpott. Die ersten Wochen als Chefin sei sie "im Blindflug" unterwegs gewesen. Selbst wenn sie eine Fehlentscheidung traf, hatte sie das Gefühl, "dass mich die Kollegen auffangen und ich weich falle". Einer brachte Kaffee, der andere einen Stuhl, und der Ton bei den Besprechungen sei "zuckersüß" gewesen. Es folgte die mobile Fahndungseinheit, die verdeckt observierte, um hauptsächlich illegal arbeitende Chinesen und deren Schleuser ausfindig zu machen. Dann die Taschendiebfahndung - und schließlich der Münchner Hauptbahnhof.

Gefährliche Körperverletzungen, Betrugsdelikte, Diebstähle, Unfälle, Wohnungsdurchsuchungen, wenn nötig auch mit der GSG 9 - das ist seit nunmehr 15 Jahren der Alltag der Ersten Polizeihauptkommissarin. Morgens checkt sie das Geschehen der vergangenen Stunden, setzt beispielsweise die Kriminaltechniker in Gang oder lässt eine Fahndung anordnen. Ihr Team im Geschäftszimmer macht den Vorab-Check, damit nicht zu viel auf einmal auf sie zurollt. Es folgen Besprechungen, Beurteilungskonferenzen, Personalführungsgespräche und beratende Tätigkeiten als dritte Chefin der kompletten Dienststelle. 235 Beamte zählt die Bundespolizeiinspektion am Hauptbahnhof, 48 davon sind Frauen. Ob Mann oder Frau, Sabine Stein macht als Chefin bei ihren Anforderungen keine Unterschiede. "Wir haben sensible Männer und unsensible Frauen; wir haben Männer, die an einem Tag früher gehen müssen, weil der Hort schließt, und Frauen, die Teilzeit arbeiten und ihr Kind mit ins Büro bringen."

Nur 14 Frauen arbeiten bei der Bundespolizei am Hauptbahnhof im gehobenen Dienst. Wenn sich die Führungskräfte der Dienststelle besprechen, dann ist Sabine Stein unter den etwa zehn Männern immer noch die einzige Frau. "Sie hat ihren Laden sehr fest im Griff und ich kann mich auf sie und ihre Expertise verlassen", sagt Inspektionsleiter Vanselow über Stein. Männer, sagt sie, würden in Besprechungen oft untereinander diskutieren und rumhacken. "Ich habe mir vorab schon alle Argumente überlegt, ich sage die Dinge nur einmal. Das sitzt dann." Wobei sie einräumt, dass sie generell Frauen für nachdenklicher hält. "Wir machen uns bestimmte Entscheidungen nicht leicht." Ein Kollege etwa, der eine schlechte Beurteilung erhält, dem muss Sabine Stein das in einem Gespräch erklären. Anschließend spielt sie in Gedanken das Gespräch noch ein paar mal durch. War das alles gut so? Gerechtfertigt?

Hirn brauche man als Polizistin, politisches Bewusstsein, Interesse an den täglichen Geschehnissen und Bewegungsdrang. "Ich bin nicht nett", sagt Stein über sich selbst. Nett, das heißt für sie unscheinbar, ohne Meinung, schnell zu übersehen. "Da hau' ich lieber einen ordentlichen Spruch raus, da können sich die Leute nächste Woche noch an mich erinnern."

Sexismus sei auch bei der Polizei ein Thema. "Man muss was aushalten", meint sie. Und im selben Atemzug sagt sie, dass die Frauentruppe schon in der Ausbildung wusste, wie man genauso "zurücktrötet".

Immer wieder rutscht eine blonde Haarsträhne in ihr Gesicht, immer wieder schiebt sie sie zurück. Der Ventilator in ihrem Büro am Bahnhof surrt, auf dem Tisch liegt Nervennahrung für die Kollegen und sie: Schokolade in allen Variationen. An der Wand hängen Fotos von ihren Lieben: dem Hund Wilma und ihrem Pferd Crazy. Sabine Stein ist begeisterte Reiterin, hat sich im Kreis Pfaffenhofen eingerichtet. Reiten, Radeln, Laufen, mit Freunden treffen, das ist ihr wichtig, "anders ginge das mit diesem Job nicht". Als Mama, in Teilzeit, da ist sie überzeugt, wäre eine derartige Karriere auch nicht machbar gewesen. "Ich will keine Kinder", sagt sie heute. Es habe sich nie ergeben, nicht der richtige Mann zur richtigen Zeit. "Es war nicht. Ist so."

Sabine Stein hat stattdessen die Kripo professionalisiert, in der Kriminaltechnik, bei Internetdelikten; sie hat Fußballermittler eingesetzt und den Leuten die Sicherheit und den Mut gegeben, sich zu spezialisieren. Und jetzt? Schon mit 39 Jahren war Sabine Stein "ausbefördert". Das heißt, sie hat die höchste Stufe erreicht, die im gehobenen Dienst möglich ist. Weiter nach oben wollte sie auch nicht, das sei dann mehr Führung und kaum noch richtige Polizeiarbeit. Während der Wiesn-Zeit, dem G-7-Gipfel oder der Fußball-WM, da sei sie mit Freuden nach draußen gestürmt, um "die Welt zu retten. Da lebe ich". Wie es weitergeht, das weiß sie momentan selbst nicht. Denn auch wenn sie gelegentlich auf die Bayern schimpft, so sei sie doch hier angekommen. Heimweh? Sie zögert und sagt dann: "Ich hör' in Pfaffenhofen nur WDR 2, da weiß ich dann, wie das Wetter dort ist. Ja." Aber sie bleibe hier in Bayern geerdet.

Neben ihrer Arbeit engagiert sich die Polizistin viel in Auswahlkommissionen, sie prüft Aufsteiger und Abiturienten auf ihre Eignung für den gehobenen Dienst bei der Bundespolizei. Ihre Beobachtung: "Die jungen Frauen heute, die wissen viel besser, was sie wollen und was sie nicht wollen." Sie und ihre zehn Kolleginnen, die ersten Frauen im Bundesgrenzschutz, seien den Weg schon mal vorangegangen. "Nach uns ist vieles für die anderen leichter geworden." Doch dann winkt sie wieder ab und sagt: "Ach was." Im Grunde genommen seien Frauen auch als Chefinnen bei der Polizei etwas ganz Normales. "Genau. Das können Sie über ihren Artikel schreiben. Was ganz Normales."

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