Süddeutsche Zeitung

Frust auf dem Straßenstrich:Tote Hose in der Hansastraße

Lesezeit: 4 min

Wirtschaftsflaute, wenige Freier, rigide Vorschriften: Auf dem Münchner Straßenstrich läuft nichts mehr, die Prostituierten klagen.

Tanja Rest

Die fetten Jahre sind vorbei. "Früher", sagt Sandra, "hab' ich einen Tag die Woche auf der Hansa gearbeitet, da ist ordentlich was hängen geblieben. Und jetzt. Jetzt steh' ich hier den vierten Abend nacheinander, rate mal wie viele Freier." Sandra, 22 Jahre alt, gelernte Friseuse. Blonde Haare bis zum Hintern, weiße Lackstiefel bis über die Knie, drei Handbreit Haut bis zum Rocksaum. Also, wie viele? "Kein einziger", sagt Sandra. "Null, nix. Zum Kotzen."

Mittwochnacht auf dem Straßenstrich Hansastraße. Als Kulisse der typische Gewerbegebietsmix, Kart-Bahn, Fraunhofer-Haus, T-Mobile-Niederlassung, Magic Casino; im Haus Nr. 9 verstrahlt die trübe Leuchtreklame des "Pascha" die übliche Bordell-Tristesse.

Am Straßenrand, an parkende Autos gelehnt, warten drei Prostituierte auf Freier, die nicht kommen. Autofahrer entschleunigen auf 30 km/h, obwohl 50 erlaubt wären. Und die Jungs, die so spät noch aus dem Fitness-Studio schlendern, glotzen. Das ist alles. Wenn dies ein Foto wäre, würde man drunterschreiben: Total tote Hose.

Zu müde für die 22 Uhr-Sache

"Es funktioniert einfach nicht mehr", sagt Sandra. Und: "Da komm' ich doch lieber mit weniger aus, als dass ich mir das hier noch länger antue." Sie zieht an der Zigarette. Hinter ihr hängt ein Werbeplakat des Radiosenders Energy: "Geh' ins Bett mit wem du willst, aber wach mit Bene Gutjan auf!"

Sandra wird heute mit keinem ins Bett gehen, den vierten Abend hintereinander nicht. Und sie glaubt auch zu wissen, warum. "Seit dem Euro sind die Zeiten schwierig geworden. Und dann noch diese 22 Uhr-Sache. Mein Gott, die Leute sind kaputt, die fahren von der Arbeit nach Hause und haben keinen Bock, so spät abends nochmal loszuziehen. Ich versteh' das sogar."

Diese 22 Uhr-Sache gilt seit Anfang 2004. Bis dahin durften die Frauen von 20 Uhr an auf die Straße und hatten im doppelten Wortsinn Feierabendverkehr: Nach Büroschluss ist die Hansastraße eine viel befahrene Meile; ein Großteil der Freier lebt zudem in festen Familienverhältnissen und verkauft das Rotlicht-Intermezzo den Lieben daheim als "Überstunde".

Kein Geld mehr in der Tasche

Prostituierte machen zwischen 20 und 22 Uhr ihr Hauptgeschäft, das war auch auf der Hansastraße so. Dann beschwerte sich das Fraunhofer-Institut bei der Regierung Oberbayern: Die Mitarbeiter fühlten sich durch den Straßenstrich vor der Tür gestört.

Gegen den Willen des Stadtrats änderte die Regierung Oberbayern daraufhin die Sperrbezirksverordnung: In der Hansastraße und in der Zamdorfer Straße, wo es ähnliche Beschwerden gegeben hat, dürfen Prostituierte erst von 22 Uhr an "anbahnen", wie das im Behördenjargon heißt.

"Finanziell ist das ganz krass", sagt Nadine. Sie tänzelt vor der Hofpfisterei-Niederlassung im Ledermini auf der Stelle, die Nacht ist kalt. "Länger arbeiten hilft auch nichts, weil hier ab Mitternacht keiner mehr durch kommt."

Wie hoch ihr Umsatz-Minus ist, will sie nicht sagen, "aber schon sehr gravierend". (Das Evangelische Hilfswerk "Mimikry" spricht von Einkommenseinbußen zwischen 25 und 50 Prozent.) Nadine glaubt, dass das nicht nur an den späteren Betriebszeiten liegt.

"Moment mal." Ein junger Kerl spaziert vorbei, sie wirft sich ins Zeug. "Hallo, magst mit aufs Zimmer, nur 50 Euro!" Der Mann winkt ab und grinst. Nur Gucken. Ihr Anmach-Lächeln fällt wieder in sich zusammen. "Die Leute haben einfach kein Geld mehr in der Tasche."

Die Freier können fast alles verlangen

Nadine ist 42 Jahre alt, seit zehn Jahren schafft sie in der Hansastraße an, und seit einem Jahr jobbt sie tagsüber noch im Kindergarten, weil das Geld sonst nicht reicht. Natürlich könnte sie sich auch an die Landsberger Straße stellen, dort ist Anbahnen immer noch ab 20 Uhr erlaubt.

Weil es in der Landsberger aber keine Absteigen für Prostituierte von der Straße gibt, findet der Sex dann meistens im Auto statt. Nadine hat kein Auto. Sie zeigt auf die andere Straßenseite, wo die funzeligen Pascha-Glühlämpchen "Café - Film - Erotik" versprechen. "Hier gehn wir zum Stechen einfach rüber aufs Zimmer."

Nadine sagt, dass die Konkurrenz härter geworden ist. Und dass die wenigen Freier mittlerweile fast alles verlangen können, am liebsten natürlich Sex ohne Gummi. Und dass sie es dicke hat. "Wenn ich irgendeinen fixen Job finde, bin ich hier sofort weg."

Kein Problem mit dem Strich

23.30 Uhr. Sandra, Nadine und eine Neue, die im silbernen BMW auf Kundschaft wartet, haben an diesem Abend noch keinen Euro verdient. Die ganze Hansastraße ist wie ausgestorben, nur das Restaurant "Citadella" hat noch geöffnet. Die Mädchen tun ihr leid, sagt die Wirtin Vera Radulovic. "Ich seh' das doch, bei denen läuft's nicht so berauschend, manche stehen hier stundenlang in der Kälte."

Ihre Gäste hätten sich noch nicht belästigt gefühlt, auch eine unschöne Szene habe es nie gegeben. "Im Gegenteil. Das sind anständige Mädels, die machen ihren Job, sonst nichts." Ähnliches berichtet Claudia Schwarz vom "Magic Casino": "Wir haben mit dem Strich keine Probleme. Aber die Frauen dort draußen, die stecken in Schwierigkeiten. Ein bisserl Betrieb bis Mitternacht, danach geht gar nichts mehr."

Im "Pascha" geht an diesem Abend auch vor Mitternacht nichts. An der Bar hocken zwei Männer vor einem Pils, im hinteren Trakt sitzt Geschäftsführer Peter Reischl auf dem Rand einer dunkelbraunen Rundbadewanne, die ihre letzte champagnerselige Schaumbad-Orgie lange hinter sich hat.

Seit fünfzehn Jahren vermietet Reischl in diesem Etablissement Zimmer an Prostituierte. In guten Jahren haben im "Pascha" zwanzig Frauen Geld verdient, mittlerweile sind es noch zehn oder elf. "Viele sind woanders hingegangen oder haben ganz aufgehört. Und die, die noch kommen, haben fast alle Nebenjobs. Das Geschäft rentiert sich einfach nicht mehr."

Ein kleiner Sieg für die kalte Zeit

Nun hat Reischl bei der Regierung von Oberbayern durchgesetzt, dass die Sperrzeit in der Anbahnungszone Hansastraße zumindest im Winterhalbjahr wieder vorverlegt wird: Vom 1. November bis zum 31. März dürfen die Prostituierten in einem Teilabschnitt - von der Ecke Dillwächterstraße bis 100 Meter vor der Westendstraße - wieder ab 20 Uhr anschaffen. Im Sommerhalbjahr bleibt es bei 22 Uhr.

Für die Frauen und ihren Vermieter ist das ein kleiner Sieg. Der Pascha-Chef zweifelt allerdings daran, dass jetzt bald wieder große Umsätze ins Haus stehen. "Bei den Freiern hat sich doch längst rumgesprochen, dass hier nichts mehr viel los ist. Und die Wirtschaftsflaute bleibt."

Kurz vor Mitternacht kommt Nadine herein und holt ihre Jacke. Zwei Stunden gewartet, nichts verdient. "Ich hau' ab." Es klingt irgendwie endgültig.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2005
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