Der Wind pfeift am Dienstagabend so ungestüm über den Frauenplatz vor dem Dom, als wäre er ein Zeichen dafür, dass die Stürme dieser Zeit auch im Herzen Münchens beträchtlichen Wirbel auslösen. Hier wollten um 19 Uhr eigentlich Menschen vieler Religionen ein Zeichen der Versöhnung setzen – allen voran Juden, Christen und Muslime. Ihr Verhältnis ist in München infolge des 7. Oktober 2023 erheblich beschädigt.
Wie massiv die Brüche sind, zeigte sich vor einem Jahr, als auf dem Marienplatz ein interreligiöses Gebet für den Frieden im Nahen Osten kurzfristig abgesagt wurde und anschließend erhebliche Erschütterungswellen die hiesige Religionswelt erfassten. Trotz der unwirtlichen Witterung haben am Dienstag unter anderem Juden, Christen und Muslime an der Isar erstmals wieder öffentlich den Schulterschluss geübt.
Nach einer Unwetterwarnung habe man sich entschieden, das Friedensgebet der Religionen vom Domplatz in den benachbarten Saal der profanisierten Karmelitenkirche zu verlegen, „aus Sicherheitsgründen“, erklärt Christoph Klingan, Generalvikar der Erzdiözese München und Freising und Hausherr, zur Begrüßung.
An die 150 Menschen sind dem Umweg gefolgt und damit der Einladung des Rats der Religionen in München, dem aktuell Muslime, Juden, Christen, Aleviten, Bahai und Buddhisten angehören. Er wurde einst gegründet, um die Kooperation der Religionsgemeinschaften zu stärken und auf dieser Basis das gegenseitige Verständnis und Zusammenleben in der Stadtgesellschaft zu verbessern.
Die Bande erwiesen sich vor einem Jahr, als der Überfall der Hamas auf Israel die Welt erschütterte, als instabil. Ein tiefer Graben hat sich in München aufgetan – und auf einer der beiden Seiten fühlen sich vor allem viele Muslime isoliert und allein gelassen.
„Ohne Zweifel, wir leben in Zeiten zunehmender Polarisierung und Spaltung, in Zeiten von Terror und Krieg, in Zeiten von Vorurteilen und Hass“, erklärt sich Klingan als Erster den Anwesenden und schließt in sein Gedenken die Toten und Verletzten „auf allen Seiten“ infolge des Massakers der Hamas an Israelis und den Krieg in Gaza ein. Wie auch fast alle Religionsvertreter nach ihm verweist er mehr oder weniger direkt auf das seither brüchige Münchner Miteinander. Auch seinem Haus war mangelnde Dialogbereitschaft vorgeworfen worden. Genau die fordert Klingan am Dienstag von allen ein: „Arbeiten wir gemeinsam für den Frieden und die Verständigung hier bei uns in München.“
Später im Gespräch ordnet der katholische Geistliche den aktuellen Beziehungsstand der Münchner Religionsgruppen ein: „Der Dialog ist ein Stück weit in Gang gekommen mit diesem heutigen Gebet, weil alle Religionen anwesend waren und sich sichtbar beteiligt haben, das war in den vergangenen Monaten sehr, sehr schwierig.“ Er habe das Gefühl, dass sich eine kleine Tür auftue, „aber wir müssen noch kräftig daran arbeiten, dass die Tür ganz aufgeht, zum Frieden in der Stadt“.
Erstmals beten am Dienstag auch Muslime und Juden Seite an Seite. Als einzige Gruppe keinen Vertreter geschickt hat die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG). „Ich bin sehr unglücklich darüber“, lässt sich IKG-Mitglied Marian Offman knapp zitieren. Er ist Beauftragter für interreligiösen Dialog in der Landeshauptstadt. Die IKG selbst will sich zum Fernbleiben auf Anfrage der SZ nicht erklären.


Rabbiner Tom Kučera von der Liberalen jüdischen Gemeinde München Beth Shalom ist aber wieder dabei und bezeichnet seine Teilnahme als Geste in Zeiten der Kriege: „Für den Frieden bittet man, aber manchmal muss man auch kämpfen. Die Verbindung der Ideale im Gebet zur Wirklichkeit, das ist es, was uns allen zu schaffen macht.“ Seine Gemeinde pflege ein gutes Verhältnis zum Islamischen Dialogzentrum in München Idizem, vergangene Woche habe er ein Seminar über Muslimfeindlichkeit gehört, „viele Sachen haben mich überrascht“. Er hoffe, „dass die muslimischen Geistlichen versuchen, ihre Gemeinden zu beeinflussen, genauso wie wir versuchen, unsere Gemeinden zu beeinflussen, dass der Dialog vernünftig und gut ist“.
Der evangelische Stadtdekan Bernhard Liess wirbt um eine differenzierte Wahrnehmung, die Welt sei komplex und kompliziert: „Respektieren wir einander, auch wenn wir uns manchmal fast aus den Augen verlieren.“ Wie der nächste Schritt nach der ersten Annäherung beim Friedensgebet denn aussehen könnte? „Ich glaube, dass wir im vergangenen Jahr viele, viele Missverständnisse infolge des Nahostkonflikts hatten.“ Jetzt gelte es, sich wieder „miteinander an den Tisch zu sitzen, ins Gespräch zu kommen, uns auch mal über unsere Verletzungen auszutauschen, was hat uns irritiert, was hat uns verstört und vor allem zuhören“.
Das Friedensgebet auf dem Marienplatz vor einem Jahr ist auch geplatzt, weil dem mitveranstaltenden Münchner Muslimrat unter anderem eine Nähe zur Muslimbruderschaft vorgeworfen worden war sowie eine unklare Haltung zum Konflikt in Gaza und Israel. Beim Friedensgebet an diesem Dienstag spricht eine Vertreterin des Münchner Muslimrates. Reaktionen bleiben aus.
Imam Benjamin Idriz, Vorsitzender des Münchner Forum für Islam und Chef des Islamischen Zentrums Penzberg, vor einem Jahr ebenfalls Mitorganisator des Friedensgebets, ist am Dienstag im Karmelitersaal als Besucher dabei. „Wir sind heute einen Schritt weitergekommen; es ist das ermutigende Signal, dass wir diese Tradition fortsetzen sollten.“