Fremdgänger:Nix verstehen

Paris ist schön. Es ist schön hier zu sein. Es taugt mir. Es ist nice. Ich freue mich - nur: Ich kann es nicht ausdrücken. "Je suis contente": Ich bin zufrieden. Zufrieden?

Von Anne Gerstenberg

Im Französischen gibt es kein Wort für Heimat. Ich bin nun schon seit sechs Monaten in Paris und dank meiner neuen Freunde, die mich ohne weiteres zu ihrer Familie in die Bretagne einladen, und meiner großartigen Gastfamilie, die mir hier ein echtes Zuhause gegeben hat, fühle ich mich in Paris inzwischen richtig heimisch. Aber ich kann es ihnen einfach nicht sagen. Außerdem gibt auch kein Wort für Gemütlichkeit, auch keines für Genuss. All das sind Worte, die ich zur Beschreibung des französischen Lebensgefühls auf jeden Fall benutzen würde.

Wie definieren sich denn die Franzosen selbst, wenn sie keine Worte haben für das, was ihre prinzipiellen Eigenschaften ausmacht? Beziehungsweise fühlen sich für mich die Wörter, die sie in diesem Sinne nennen, falsch an. Viele Worte gibt es in der jeweils anderen Sprache gar nicht; oder in dem Zusammenhang wird ein anderes Wort benutzt als das, was meiner Meinung nach nicht aussagen kann, was ich sagen möchte.

Genießen heißt "profiter de quelque chose", das wiederum auch "von etwas profitieren" heißt. Viel zu utilitaristisch für schlichten Genuss. Noch schlimmer wird es mit "sich freuen" für, über, auf etwas. Es gibt zwar jouir und réjouir, das freuen bedeutet, man kann sich sogar freuen und "wiederfreuen", es wird aber nicht wie im Deutschen benutzt. Es heißt dann "je suis contente": Ich bin zufrieden. Zufrieden?

Für eine junge Münchnerin, die ihre Freude zum Ausdruck bringen möchte, sind solche Formulierungen nicht ausreichend. Ich habe die Ausdrücke aus München immer noch im Gedächtnis: "Taugt mir." "Nice." "Saugut." Und plötzlich: "Ich bin zufrieden." Was ist denn das für ein Volk, das solche Höflichkeiten in der Interaktion ausklammert, dafür keinen Ausdruck hat? In der Unterhaltung mit Franzosen merke ich, dass wir in zwei völlig unterschiedlichen Wortwelten aufgewachsen sind, eine perfekte Verständigung ist fast unmöglich. Zum ersten Mal verstehe ich, was das Wort "Sprachbarriere" beschreibt. Zwei Menschen, die willens sind, sich zu verständigen, sich gegenseitig in der Sprache des anderen schon halbwegs sicher bewegen, die Worte kennen, können sich trotzdem nicht verstehen. Worte haben im französischen Sprachgebrauch oft einen ganz anderen Sinn, als die deutsche Übersetzung es vermuten lassen würde.

Mein Ich, das ich auf Französisch präsentieren kann, ist zurückgeworfen auf das grenzdebile Level einfacher Sätze und entbehrt plötzlich völlig jeglicher Komplexität oder ironischer Feinheit. Und selbst das kann ich nicht zufriedenstellend zu den Franzosen sagen. Ich kann nur sagen: "J'ai des problèmes à m'exprimer" - also: "Ich habe Probleme damit, mich auszudrücken." Dabei steckt schon hinter diesem Satz so viel mehr als die Worte, die ich dafür finde. Ich gewöhne mich daran, dass die französische Übersetzung weder in Wort noch in Aufbau meinem deutschen Satz entspricht. Dass mir der französische Satz in Struktur und Wortwahl gar nicht einleuchtet, daran werde ich mich nie gewöhnen. Welche Frustration. "Quelle frustration!"

Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der eine oder andere Kulturschock. Unter all den neuen Eindrücken aus der großen, weiten Welt ruht aber die Sehnsucht nach der Heimat. Unsere Autorinnen Theresa Parstorfer, Katharina Hartinger und Anne Gerstenberg studieren derzeit in Oxford, Berkeley und Paris und schreiben im wöchentlichen Wechsel über Ereignisse, die so in München nicht passieren würden.

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