Süddeutsche Zeitung

Initiative Forschungsbörse:Wissenschaft im Klassenzimmer

Forschende der TU in Weihenstephan wollen zu aktuellen Themen mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch kommen. Die während Corona entstandenen Online-Formate können bei der Umsetzung helfen.

Von Thilo Schröder, Freising

Woran Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konkret forschen und wie sie arbeiten, darüber wird an Schulen eher selten gesprochen. Dabei wäre sie wichtig und sinnvoll, die Wissenschaft im Klassenzimmer. Oft ergäben sich Anknüpfungspunkte im Alltag und der Austausch fördere kritisches Denken, sagen jene, die ihre Arbeit gerne an Jugendliche herantragen möchten. Forschende wie Eva Rath und Christian Hof. Beide lehren an der TU München in Weihenstephan, sie in den Bereichen Ernährung und Immunologie, er mit Schwerpunkten auf Biodiversität und Klimawandel. Themen, die aktueller nicht sein könnten. Beide wollen mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch kommen, engagieren sich auf entsprechenden Plattformen. So richtig läuft es aber noch nicht.

"Das Klima erwärmt sich. Wir als Menschen tragen dazu durch unser Konsum- und Alltagsverhalten wesentlich bei. Somit könnten sich die Lebensräume auch für viele weniger bekannte Arten massiv verändern. Kaum ein Kind ahnte, dass über die Hälfte aller Rotmilane in Deutschland zuhause ist. Wenn es hierzulande immer wärmer würde und sich die Landschaft entsprechend veränderte, so müssten all diese Vögel gen Norden umziehen." Der Auszug stammt aus einem Bericht der Plattform Forschungsboerse.de von 2018. Die fünfte Klasse eines Frankfurter Gymnasiums schildert darin, was sie im Gespräch mit Christian Hof gelernt hat.

Ein bis zwei Schulstunden Diskussion

Der 41-Jährige war damals am "Senckenberg Biodiversität und Klima-Forschungszentrum" tätig, inzwischen forscht er am Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TU in Weihenstephan. 2012 hatte er sich bei der Forschungsbörse registriert, einer damals relativ neuen Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Sie soll den persönlichen Kontakt zwischen Jugendlichen und Experten aus der Wissenschaft fördern, indem Forschende ins Klassenzimmer gehen.

Lehrkräfte von Gymnasien, Realschulen und Gesamtschulen hätten ihn in den vergangenen Jahren einige Male für solche Besuche angefragt, sagt Hof. In ein bis zwei Schulstunden diskutiere er dann mit Jugendlichen darüber, was Biodiversität eigentlich ist, wie sich der Klimawandel darauf auswirkt, was passiert, wenn Arten verloren gehen. Gerade die Jüngeren reagierten emotional, wenn etwa Tierarten aussterben; das Schmelzen der Alpengletscher sei dagegen wenig greifbar für sie. Ältere Schulklassen fragten eher danach, wie ein lebenswerter Planet aussehe.

Es braucht mehr solcher Formate

Hof hat solche Besuche bereits gemacht, als es noch keine Klimabewegung gab, keine Freitagsdemos stattfanden, keine Public Climate Schools an Unis organisiert wurden; an letzteren hat er zuletzt ebenfalls teilgenommen. Bis vergangenes Jahr war er Mitglied der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Im Corona-Modus habe man dort virtuelle Klassenzimmerbesuche organisiert. "Das kam sehr gut an", sagt Hof.

Es brauche "auf jeden Fall" mehr solcher Formate. Seit er in Weihenstephan forsche, habe er Anfragen von Schulen bis dato ablehnen müssen, mangels Kapazitäten. Ohne Anfahrtsaufwand gebe es mehr Möglichkeiten, solche Termine wahrzunehmen. "Ich halte das für extrem wichtig", sagt Hof über den Kontakt mit der Wissenschaft in der Schule. "Mir ist das ein großes Anliegen, unsere Wissenschaft in die Öffentlichkeit und insbesondere an Schulen zu bringen. Nicht zuletzt, weil die Themen besonders wichtig sind. Die Klimakrise und das Artensterben gehören zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Man muss die Dramatik dahinter, aber auch Lösungsmöglichkeiten aufzeigen."

Anfragen sind noch die Ausnahme

Anfragen von Schulen kämen insgesamt jedoch "nicht so wahnsinnig häufig", räumt Christian Hof ein. Lehrkräfte müssten über Angebote wie die Forschungsbörse erst einmal Bescheid wissen. "Viel hängt, glaube ich, von den Lehrkräften ab: Verfährt man nach Schema F? Oder macht man mehr, als mal in den Zoo oder ins Museum zu fahren, und holt sich auch mal einen Wissenschaftler ins Klassenzimmer."

Auch Eva Rath hat sich vergangenen Herbst auf Forschungsboerse.de registriert, eher per Zufall, wie sie sagt, wegen eines Flyers. "Davor habe ich noch nie davon gehört." Die 42-Jährige arbeitet am Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie der TU in Weihenstephan. An Schulen über solche Forschungsfelder zu berichten, sei "sehr wichtig, gerade im Moment". Wie funktionieren etwa Impfungen? Was ist ein mRNA-Impfstoff? Wo lauern alternative Fakten? Sie habe selbst Kinder in der ersten und dritten Klasse, die in Freising die Montessorischule besuchten. Für die sei die Wissenschaft im Klassenzimmer noch nicht so spannend, für ältere durchaus.

Viele Schnittstellen zum Alltag

Zwischen der Wissenschaft und dem Alltag von Jugendlichen gebe es viele Schnittstellen. Wie sieht etwa eine vegetarische Ernährung aus und welchen Beitrag leistet sie fürs Klima? Wie ist das mit der Wirkung von Homöopathie? Welche ethisch-moralischen Debatten begleiten Tierversuche? Rath führt solche Versuche durch, beschäftigt sich aber auch mit der Kritik daran. Wie lassen sich einseitige Erfahrungen oder Meinungen im eigenen Umfeld kritisch einordnen, etwa entlang von Statistiken? Im Schulalter hätten viele "noch keine vorgefertigte Meinung", glaubt Rath. Da könne man gut ansetzen.

Über die Forschungsbörse habe sie noch keine Anfragen von Schulklassen bekommen, sagt sie, dafür über die Plattform "I'm a Scientist". Dabei treten Schulklassen über Live-Chats mit Personen aus der Wissenschaft in Kontakt, lernen deren Arbeitsalltag und Forschungsinhalte kennen. 30 Minuten dauere so eine Fragerunde, sagt Rath. Sie habe bislang vier oder fünf Chats mit Klassen in ganz Deutschland gehabt.

Auch eine Frage des persönlichen Engagements

Lieber wäre ihr allerdings das persönliche Gespräch mit den Jugendlichen. Oder, in Zeiten der Pandemie, zumindest ein Videocall. Chats seien oft "unübersichtlich", man könne auf viele Fragen nur unzureichend eingehen. "Es wäre schön, über Zoom zu reden", sagt die Wissenschaftlerin. Auch Eva Rath räumt ein, dass Plattformen wie die Forschungsbörse oder "I'm a Scientist" auf beiden Seiten - Schule und Wissenschaft - oft "noch nicht auf dem Schirm" seien. Derlei Angebote anzunehmen und auszubauen, sei letztlich auch eine Frage des persönlichen Engagements.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2021/psc
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