Wirtschaftsserie "Vater, Mutter, Firma":Harfenklänge für die Welt

Der Familienbetrieb von Klaus Horngacher beliefert von Starnberg aus die berühmten Orchester und Opernhäuser

Von Gerhard Summer

Der Mittelstand ist der Motor der bayerischen Wirtschaft, heißt es. Wenn man genau hinsieht, sind es aber vor allem Familien, die oft seit Generationen in ihren Heimatgemeinden für Arbeitsplätze, Umsatz, Wohlstand sorgen. Die SZ stellt in den kommenden Wochen solche Familienbetriebe aus dem Umland vor.

Ach ja, die Kundinnen. Klaus Horngacher, 59, sitzt an einem kleinen Bürotisch im Parterre seiner Firma, einer Mischung aus Wohngebäude und Werkstatt, die so aussieht, als hätten Handwerker ein argloses altes Haus im Handstreich genommen und schon in den ersten Tagen ihrer Regentschaft ein kühnes Durcheinander aus fertigen, halb fertigen und zu reparierenden Instrumenten, Etuis, Fräsen und anderen Maschinen, Prospekten, Postkarten aus aller Welt und Werkzeug angerichtet. Er zögert einen Moment; ein Büschel seiner kurzen, grau-schwarzen Haare steht igelig hoch. Horngacher sucht nach unverfänglichen Formulierungen.

"90 Prozent unserer Klientel sind weiblich", sagt er schließlich. Kurze Pause. Und die Sache, so Horngacher, sei die: Harfenisten, oder besser: Harfenistinnen säßen im Orchester ganz hinten, also so gut wie alleine. Was letztlich dazu führe, dass sie in "ihrer eigenen Harfenwelt leben". Wie man das verstehen darf? "Die Realität ist manchmal etwas weiter weg", sagt Horngacher und nennt ein Beispiel dafür: Eine Musikerin aus Israel habe einmal einen Schaden an ihrer Harfe reklamiert. Am Ende stellte sich heraus, dass ein Gabelstapler in das Instrument gefahren war und Kleinholz hinterlassen hatte. "Da war ein 50 Zentimeter großes Loch im Resonanzboden", sagt Horngacher. Was die Harfenistin dazu meinte? Horngacher schaut hoch und sagt langsam, als könne er es selbst nicht fassen: "Aber die Resonanzdecke ist doch noch gut." Er schüttelt den Kopf. Genauso gut könnte ein Autofahrer vor einem geschrotteten Rolls Royce stehen und sich daran erfreuen, dass der Vorderreifen noch okay ist.

Starnberg: Harfenbauer Klaus Horngacher

Die 1500 Einzelteile der Harfenmechanik müssen bis auf fünf Tausendstel Millimeter genau angepasst sein.

(Foto: Nila Thiel)

Rolls Royce? Ist vielleicht ein komischer Vergleich, aber auch Horngachers Instrumente spielen in einer besonderen Liga. Die Produkte des kleinen, seit 90 Jahren bestehenden Familienbetriebs, der seinen Sitz in einem so verwinkelten wie unscheinbaren Haus mit Harfen-Symbol an der Fassade in der Söckinger Straße in Starnberg hat, gelten als das Nonplusultra, als der Steinway oder eben die Stradivari unter diesen Zupfinstrumenten. Was auch der Umstand belegt, dass fast alle berühmten Orchester auf Horngacher setzen, 240 an der Zahl. Darunter sind die New Yorker Philharmoniker, die Münchner und die Berliner Philharmoniker genauso wie das Orchester des Bolschoi-Staatstheaters, die Scala in Mailand und die Oper Peking. Natürlich auch Bayreuth, schließlich stehen beim "Ring" sechs Harfen im Orchestergraben.

700 bis 800 Kunden hat der Starnberger, André Rieu zum Beispiel oder der griechische Elektronik-Musik-Pionier Vangelis, mit dem er befreundet ist. Daneben betreut er noch fast 300 Profis, Amateure und Liebhaber, die andere Fabrikate spielen. Für Horngacher bedeutet das: Etwa eineinhalb Monate im Jahr ist er vor allem in Europa auf Tour, ausgestattet mit Werkzeug, Ersatzteilen und Stimmgeräten. Seine Reisen haben ihn auch schon durch die USA, nach Russland, China und Japan geführt. Aber in aller Regel sieht Horngacher nur den Flughafen von Peking, Nashville oder Moskau, das jeweilige Hotel und die Katakomben der Orchester. "Wenn man nach zehn Stunden fertig ist, hat man keine Lust mehr, ins Konzert zu gehen oder die Stadt zu besichtigen", sagt er.

Firmengeschichte

Die erste Erwähnung der Starnberger Harfenbaufirma findet sich im Münchner Stadtarchiv. Denn Josef Obermayer, ein Brauereiingenieur und Hobby-Harfenist, gründete den Betrieb 1925 in der Landeshauptstadt. Die ersten Baupläne für Harfen entstanden in einem Eisenbahnwaggon an der Auerfeldstraße 2 in Haidhausen, einem Instrumentenbauer-Viertel. Vor allem deutsche Opernhäuser, Orchester, Staats- und Stadttheater setzten vom Ende der Zwanzigerjahre an Obermayer-Instrumente ein. Der Ingenieur lieferte an das Türkische Staatsorchester genauso wie an das NS Reichssymphonie-Orchester München. Als 1942 die amerikanischen Bombenangriffe auf München begannen, floh Obermayer nach Kufstein und lernte im Pfandlhof den Vater des heutigen Firmenchefs kennen, Maximilian Horngacher. Nach dem Tod Obermayers 1966 übernahm der aus Scheffau am Wilden Kaiser stammende Schreiner Horngacher das Unternehmen. Bereits seit Anfang der Fünfzigerjahre dient das Wohnhaus in Starnberg als Firmensitz. Klaus Horngacher führt den Betrieb in dritter Generation. Er ist mit der Harfenistin Ivana Pokorna verheiratet und lebt in Possenhofen am Starnberger See und in Prag. sum

Eine Harfe pro Tag schafft der Handwerksmeister, manchmal mehr. Wobei es nicht um Generalsanierungen geht, sondern um Einstellarbeiten an der Mechanik. Sein Vergleich: Das sei wie der Service beim Auto. Die Starnberger Harfen gelten zwar als äußerst hochwertig. Sie unterscheiden sich von Konkurrenzprodukten schon dadurch, dass fast alle Teile geschraubt und nicht genietet sind und das Team die meisten Innenzüge, Gelenke und Plättchen selbst herstellt oder Vorfabriziertes weiter bearbeitet. Aber auch wer eine Horngacher-Harfe zu Lebzeiten erwirbt, kann nicht damit rechnen, dass er auf dem Instrument noch im Paradies unbeschwert herumzirpen kann. Das hat allein schon mit der hoch komplizierten Mechanik zu tun, die wie ein doppelt gebogenes Rückgrat aussieht und gleichsam auch das Kreuz der ganzen Konstruktion ist. Sie erlaubt es, 44 der 47 Saiten mithilfe der sieben Pedale um jeweils zwei Halbtöne zu erhöhen. Ein Tritt aufs Pedal - und schon sind alle ces-Saiten auf c; ein zweiter, und aus c wird cis. Das kleine Wunderwerk besteht aus 1500 Einzelteilen mit einer "Passgenauigkeit von fünf Tausendstel Millimetern", sagt Horngacher, ist also im Wortsinne haargenau. Allerdings unterliegt die Mechanik auch dem Verschleiß. "Man kann vieles reparieren", weiß Horngacher. Aber irgendwann sei der Punkt erreicht, da die Totaloperation ansteht.

Hinzu kommt noch die Materialermüdung. Die Resonanzdecke des über sechseinhalb Oktaven reichenden Instruments ist der enormen Zugkraft der Saiten ausgesetzt. An die 1400 Kilogramm zerren an dem Stück nordamerikanischer Sitka-Fichte, die im Bereich der Diskant-Saiten dünn ausgearbeitet ist, um einen tragfähigen, süßen Ton zu erreichen. Die Folge: Über die Jahre und Jahrzehnte wölbt sich die Decke nach oben, sodass sich die Saiten irgendwann nicht mehr korrekt einstellen lassen. Im schlimmsten Fall reißen sie. Oder der aus massiven Mahagoni- oder Ahorn-Teilen zusammengesetzte Hals verdreht sich. Das ist dann der Unterschied zu einer Stradivari, die nach fast drei Jahrhunderten und ein paar Reparaturen immer noch magisch klingen kann. Denn die Generalsanierung einer Harfe nach 40 oder 50 Jahren ergibt finanziell kaum Sinn: Wer Hals, Decke und Mechanik erneuern lässt, ist mit etwa 30 000 Euro dabei. Dafür bekommt er schon ein neues Instrument. Die Preise für Horngacher-Harfen beginnen nämlich bei 25 000 Euro, wer Edleres will, ist mit bis zu 85 000 Euro dabei. Auch eine Neu-Besaitung geht ins Geld: Bis zu 2000 Euro kostet ein guter Pirastro-Satz, eine günstigere Alternative ist nur Bow Brand.

Starnberg: Harfenbauer Klaus Horngacher

Eine edlere Harfe kostet bei Klaus Horngacher bis zu 85000 Euro.

(Foto: Nila Thiel)

Horngachers Team besteht derzeit aus fünf Leuten. Dazu kommt noch seine Schwester, die sich um die Buchhaltung kümmert, und ein Instrumentenbauer in Teilzeit. 500 bis 900 Stunden werkeln, feilen, schleifen und polieren sie an einem einzigen Instrument, die Produktion ist deshalb sehr überschaubar: Zwölf neue Harfen verlassen das alte, um 1900 erbaute Werkstatt-Haus pro Jahr. In den Siebziger- und Achtzigerjahren, als die Orchester noch über das Geld verfügten, um richtig aufzurüsten, war das anders: Damals fertigten neun Fachleute im Hause Horngacher etwa 20 Instrumente im Jahr. "Doch seit der Wende ist es rückläufig", sagt der Firmenchef. Er und seine Mannschaft verstehen sich auch auf individuelle Harfen, ganz nach Kundenwunsch. Ein Instrument, geziert vom geschnitzten Kopf eines Mädchens? Warum denn nicht. Goldene Initialen am Instrument? Aber klar. Oder eine Harfe mit gemalter Ritterburg auf der Resonanzdecke und einem Drachen, der dekorativ und sehr gefährlich auf der Säule der 1,80 Meter hohen Instruments dahinkriecht? Ja doch. Eine Frau aus Südafrika wollte so eine Sonderanfertigung für ihren Sohn. Die Entwürfe gefielen ihr, sagt Klaus Horngacher und lacht leise: Als es ans Bezahlen ging, sei die Beinahe-Kundin dann doch abgesprungen.

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