Westtangente:Spaziergang durch Freisings neue Unterwelt

Westtangente: Der Projektleiter Franz Piller (l.) und der Chef der Bauüberwachung, Martin Bullinger, sind zufrieden mit dem Fortgang des Tunnelbaus.

Der Projektleiter Franz Piller (l.) und der Chef der Bauüberwachung, Martin Bullinger, sind zufrieden mit dem Fortgang des Tunnelbaus.

(Foto: Marco Einfeldt)

Tonnen von Gestein werden weggeschafft, Grundwasser droht nachzusickern: Beim aufwendigen Tunnelbau für die Freisinger Westtangente muss Martin Bullinger, Chef der Baustellenüberwachung, stets den Überblick behalten.

Von Clara Lipkowski, Freising

Einen Tunnel besichtigt man - jedenfalls bei laufender Arbeit - nicht einfach so. Erst einmal muss entsprechende Kleidung her. Deshalb wirft sich der Baustellenbesucher in eine orange Warnweste, setzt einen blauen Helm auf, zurrt ihn am Kopf fest, damit er ja nicht runterfällt, und steigt in die Stahlkappenschuhe. Und fast das Wichtigste überhaupt: Er trägt einen kleinen Sender mit sich. "Nur für den Fall, dass was passiert", sagt Martin Bullinger, "so wird man beim Rein- und Rausgehen elektronisch erfasst". Bullinger ist einer, der schon einiges gesehen hat auf Bayerns Baustellen, in Freising ist der Ingenieur aus dem Allgäu Chef der Baustellenüberwachung und meint, Rettungskräfte müssten schließlich wissen, wie viele im Tunnel sind, wenn dann doch einmal ein Feuer ausbricht oder sich die Erde bewegt.

Und so geht es mit einem leicht mulmigen Gefühl in die Röhre unter der Lise-Meitner-Straße, Bullingers Arbeitsplatz und der von etwa 30 Arbeitern, die er alle mit Namen kennt. Der Boden ist noch uneben und sandig bis matschig, die rundlichen Wände hingegen sind schon ausgekleidet. Bis vor Kurzem hat eine gelenkige Maschine mit einer Düse am Teleskoparm Beton an die Wände gespritzt, das Material kam aus der eigenen Betonmischanlage am Eingang zum Tunnel.

Westtangente: Die Röhre im Querschnitt.

Die Röhre im Querschnitt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Man kann sich schon vorstellen, wie hier künftig Autos fahren, auf einer Spur in jede Richtung, mit deutlichem Gefälle. 3,5 Prozent, sagt Bullinger. Im südlichen Teil queren die Fahrzeuge unterirdisch die Moosach.

Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher nennt ihn das "Herzstück" der 3,5Kilometer langen Westtangente

Seit Mai 2017 wird der insgesamt 705 Meter lange Tunnel gebaut, Ende 2019 soll er laut dem Bauunternehmen Wayss & Freytag/Bauer fertig sein. Der Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher nennt ihn das "Herzstück" der 3,5 Kilometer langen Westtangente, die für knapp 100 Millionen Euro die Straßen in Freising entlasten soll. Vor Kurzem feierte man den Durchstich zum Giggenhauser Schacht, wo der nächste Bauabschnitt beginnt. Das ist Tradition im Bergbau. Besonders beeindruckt ist Bullinger darüber nicht. Im klassischen Sinn kämen Arbeiter beim Durchschlag von beiden Seiten, in Freising halt nur von einer. Denn der andere Tunnelteil wird nicht bergmännisch errichtet. Während man an der Seite des Bauingenieurs immer tiefer in den Tunnel läuft, erzählt der 59-Jährige worauf es beim Bau ankommt, denn "man verletzt den Berg ja schon". Tonnen von Gestein werden ausgehoben und weggeschafft, das Grundwasser muss zurückgehalten und der Tunnel stabilisiert werden. Kleine gelbe Spiegel messen in genauen Abständen links, rechts und an der Decke, ob sich der Berg bewegt. Verschöbe er sich um mehrere Zentimeter oder gar Meter, müssten die Planer und Arbeit ihr Vorgehen anpassen.

Westtangente: Am Portal werden kleine Nacharbeiten getätigt, dort beginnt bald der Sohlenvortrieb.

Am Portal werden kleine Nacharbeiten getätigt, dort beginnt bald der Sohlenvortrieb.

(Foto: Marco Einfeldt)

Martin Bullinger ist gleich nach dem Ingenieurstudium Mitte der 80er Jahre zum Bau. In Freising ist er "einer der wichtigsten Leute im Tunnel, er weiß immer, wo gerade was gebaut wird", sagt Franz Piller, der städtische Projektleiter, "mein wichtigster Mann auf der Baustelle". Mit den Jahren machte Bullinger auch weniger gute Erfahrungen, einmal brannte in einem Tunnel eine Maschine. Als die Rettungskräfte kamen, war einer seiner Kollegen noch immer nicht draußen. Aber mehr Worte macht er darüber nicht.

In Freising gab es bisher keine Vorkommnisse. Die Sicherheitsregeln sehen farbige Leuchten im Tunnel vor. An der linken Wand geben sie den Arbeitern Orientierung: Das weiße Licht ist einfach Licht, das rote zeigt Notlicht, das mit Akku auch leuchtet, wenn der Strom ausfällt. Das blaue kennzeichnet Orte mit dem hübsch bürokratischen Namen "Löschwasserentnahmestelle". Und der Schlauch an der Decke? Pumpte Frischluft in den Tunnel, als noch kein Loch am anderen Ende war.

Da die Decke nun gemacht ist, wird als nächstes der Boden ausgehoben. "Wir arbeiten uns jetzt wieder Meter für Meter vor, vom Portal zum Giggenhauser Schacht." Etwa dreieinhalb Monate soll der "Strossen- und Sohlenvortrieb" dauern. "Nach dem Aushub bringen wir Sohlbeton ein", sagt Bullinger, "und die endgültige Tunnelauskleidung danach". Laut Stadt soll der Innenausbau, also auch das Auftragen des Gewölbebetons, im Frühsommer 2018 starten. Man liege hervorragend im Zeitplan, sagt Franz Piller. Bullinger nickt und zündet sich eine Zigarette an. Man stapft langsam Richtung Ausgang.

Kleines Tunnelbau-ABC

Bergmännischer Tunnel: Dieser ist in Freising 461 Meter lang, wird unter Tage gebaut und hat eine runde Decke. Bohrpfahltechnik: Damit wird der eckige, 177 Meter lange Tunnelteil gebaut. Die Pfähle werden 30 Meter in die Erde gerammt. Dann wird dieser Teil mit "Deckeln" verschlossen. Brunnengalerie: Am bergmännischen Tunnel halten Brunnen das Grundwasser zurück, damit die Erde nicht aufweicht. Ist der Tunnel fertig, werden sie abgebaut, das Wasser kann sich ausbreiten, gelangt aber nicht in den Tunnel, weil dieser dann dicht ist. Kalotte: Oberes Drittel im Tunnelquerschnitt. Strosse: Mittelteil im Querschnitt Sohle: Tunnelboden clli

Interessierte können am Sonntag, 28. Januar, von 11 bis 15 Uhr den bergmännischen Teil des Tunnels der Westtangente besichtigen.

Westtangente: Kleine Spiegel messen, ob sich der Berg bewegt.

Kleine Spiegel messen, ob sich der Berg bewegt.

(Foto: Marco Einfeldt)
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