Wenn der Lohn nicht mehr reicht:Der Trend geht zum Zweitjob

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Im vergangenen Jahr haben 7920 Beschäftigte im Landkreis nach Feierabend weitergearbeitet, weil sie in ihrem Hauptberuf zu wenig verdienen. Gewerkschaftsvertreter fordern die Einführung von Mindestlöhnen.

Von Peter Becker

"Immer mehr Menschen brauchen auch im Landkreis Freising einen Zweitjob." Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung des Pestel-Instituts in Hannover. Mehr als 7920 Berufstätige waren demnach im vergangenen Jahr auf einen Mini-Job als zusätzliche Einnahmequelle angewiesen. Die Studie hatten die Gewerkschaften Verdi und Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Auftrag gegeben. Heinrich Birner, Geschäftsführer des Verdi-Bezirks München, macht für "das Multi-Jobben" die Niedriglöhne verantwortlich. Die Schere zwischen geringem Verdienst und steigenden Lebenshaltungskosten gehe immer weiter auseinander, sagte er. Viele Menschen seien deshalb gezwungen, eine zweite Arbeitsstelle anzunehmen.

"Wir haben das Phänomen der Multi-Jobber", erläutert Birner. Dabei handelt es sich um Menschen, die mit dem Geld, das sie in ihrem Hauptberuf verdienen, ihr Leben nicht bestreiten können. Deshalb, so erklärt der Verdi-Geschäftsführer, müssten sie auf zusätzliche Jobs ausweichen, um über die Runden zu kommen. "Aus der puren Lust an einer 55- oder 60-Stunden-Woche macht das jedenfalls keiner", stellt Birner klar. Der Verdi-Geschäftsführer prangert in diesem Zusammenhang das Unwesen an, dass Stundenlöhne bezahlt würden, "die im Keller sind". Auf der anderen Seite werde das Leben in der Boom-Region rund um den Flughafen immer teurer. "Das beste Beispiel ist das Wohnen", erklärt Birner. Hier drehe sich die Preisspirale unaufhörlich nach oben - nicht zuletzt wegen der Heiz- und sonstigen Nebenkosten, die für eine Wohnung anfielen. "Da sind Niedrigverdiener fast schon gezwungen, nach Feierabend und an den Wochenenden einem Zweit-Job nachzugehen", erläutert Birner.

Laut Matthias Günther, Studienleiter beim Pestel-Institut, ist die Zahl derjenigen, die neben ihrem Hauptberuf noch in einem Mini-Job arbeiten, in den vergangenen Jahren im Landkreis Freising drastisch gestiegen. "Blickt man zehn Jahre zurück, erklärt er, "so hat es eine Zunahme von 137 Prozent gegeben." Das bedeute, dass sich jeder zehnte Beschäftigte mit einem 400-Euro-Job noch etwas dazu verdiene.

Christine Schöps, Pressesprecherin bei der Freisinger Agentur für Arbeit, bestätigt diese Zahlen. Sie hat nachgerechnet und kommt zu dem gleichen Ergebnis wie das Pestel-Institut, legt dabei allerdings ein Jahr weniger zu Grunde als die Studie. Die Möglichkeit, sich durch einen Mini-Job noch etwas zum Lohn dazuzuverdienen, bestehe erst seit dem Jahr 2003 und bis zum Erlass der entsprechenden Regelung und deren Bekanntwerden sei einige Zeit vergangen. Dass es jedoch eine kontinuierliche Zunahme der "Muli-Jobber" gibt, bestätige der Trend aus den vergangenen fünf Jahren. "Allein da ist die Zahl um 25 Prozent gestiegen", erläuterte Christine Schöps. Der Landkreis Freising mit seinem hohen Bedarf an Beschäftigten liege ihren Angaben zufolge im landesweiten Trend. In Bayern habe die Zahl derer, die einen Nebenjob brauchen, um über die Runden zu kommen, im Vergleichszeitraum um 130 Prozent zugenommen.

Ob Menschen noch aus anderen Gründen zusätzliche Arbeit annehmen, weiß die Sprecherin der Arbeitsagentur nicht zu sagen. "Da haben wir keine Erhebungen", sagt Christine Schöps. Sie bestätigt aber, dass sich aus der Studie "schon einige Dinge ableiten lassen". Fred Adjan, Geschäftsführer der NGG-Region, hat für sich selbst schon einen wichtigen Schluss gezogen. "Abhilfe kann nur ein gesetzlicher Mindestlohn schaffen", macht er deutlich. 8,50 Euro in der Stunde sind für ihn ohnehin die unterste Grenze. Wer weniger verdiene, der habe keine Chance, von seinem Lohn auch leben zu können, "8,50 Euro liegen haarscharf über dem Hartz-IV-Niveau". In diesem Zusammenhang verweist Adjan auch auf die drohende "Ebbe bei der Rente". Dass Niedriglohnverdiener einmal in der Altersarmut landeten, sei eigentlich absehbar, prophezeit er.

Verdi-Geschäftsführer Birner warnt indes vor "einer Deutschland-Karte mit Dumpinglohn-Löchern". In die hinein könnten skrupellose Unternehmen Aufträge vergeben. Adjan appelliert deshalb auch an alle Beschäftigten, die im Landkreis Freising zu einem Niedriglohn arbeiten, dies bei einem eingerichteten "Dumpinglohnmelder" unter der Adresse www.dumpinglohnmelder anzuzeigen.

© SZ vom 29.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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