Weltfrauentag:"Wir brauchen mutige Frauen, die auf ihre Rechte pochen"

Weltfrauentag: "Gleichberechtigung ist ein Thema, an dem man stetig arbeiten muss", sagt Ricarda Schindler. Sie war zwölf Jahre lang im Freisinger Stadtrat politisch aktiv.

"Gleichberechtigung ist ein Thema, an dem man stetig arbeiten muss", sagt Ricarda Schindler. Sie war zwölf Jahre lang im Freisinger Stadtrat politisch aktiv.

(Foto: Marco Einfeldt)

Ricarda Schindler war zwölf Jahre lang im Freisinger Stadtrat aktiv. In dem Gremium sind knapp ein Drittel Frauen, von Gleichberechtigung kann man noch lange nicht sprechen. Dabei bringt die weibliche Perspektive nicht nur Unternehmen erwiesenermaßen voran.

Interview: Ella Rendtorff, Freising

Ricarda Schindler, 36, ist das, was man eine Multitaskerin nennen könnte. Als Mutter von zwei kleinen Kindern war sie neben ihrer Vollzeitstelle bei BMW zwölf Jahre lang im Freisinger Stadtrat politisch aktiv. Weshalb es mehr motivierte Frauen in den Gremien der Kommunalpolitik und mehr engagierte Männer für eine gleichberechtigte Care-Arbeit braucht, erzählt sie im Interview mit der SZ.

SZ: Frau Schindler, der Anteil an Frauen in der Kommunalpolitik liegt bei gerade einmal 27 Prozent. Wie erklären Sie sich das?

Ricarda Schindler: In der Vergangenheit wurde einfach viel zu wenig über Frauen in der Kommunalpolitik gesprochen. So wie auch in den meisten Firmen kaum Austausch über Gleichberechtigung stattgefunden hat. Dadurch waren auch weibliche Vorbilder nicht so sichtbar.

Kommunalpolitik geht ja generell gerne mal unter. Sie haben den Weg ins Amt aber trotzdem gefunden. Wie kam es?

Ich bin über das Szenekulturforum hier in Freising in die Politik gerutscht, das war eine Gruppe von jungen Menschen, die sich regelmäßig im Jugendzentrum getroffen haben. Es ging dabei vor allem um die Förderung von Subkultur, wir haben aber auch bildungspolitische Events und Diskussionsrunden veranstaltet, gerade vor den Wahlen. Mir ist dort überhaupt erst so richtig bewusst geworden, was Kommunalpolitik bedeutet und was dahinter steckt. Dann habe ich 2004 den Ortsverband Freising der grünen Jugend mitgegründet. Vier Jahre später stand ich auf der Liste zur Kommunalwahl - sogar ziemlich weit vorne - und wurde in den Stadtrat gewählt.

Als damals 21-jährige Frau war das gar nicht so selbstverständlich, oder?

Ich hatte Glück, dass Diversität in Geschlecht und Alter auf den Wahllisten der Grünen schon damals sehr gelebt wurde. Das gilt genauso für die Freisinger Mitte, bei der ich in den Folgejahren aktiv war. Da musste man sich nicht erst jahrelang beweisen, um dranzukommen. Das ist aber leider nicht bei allen Parteien so.

Also sollte es ein Paritätsgesetz geben?

Nein, das nicht. Ich finde, man muss die festgefahrenen Muster anders aufbrechen. Damit werben, was es für Vorteile hat, wenn mehr Frauen in der Politik mitreden. Konkret bedeutet das: Berichte bringen, Frauen motivieren, weibliche Vorbilder finden, die dann wieder andere mitziehen. In meinem Unternehmen haben wir durch Studien festgestellt, dass Firmen mit einem höheren Frauenanteil in Führungspositionen, aber auch in der Belegschaft, grundlegend rentabler sind. Daher müssten eigentlich alle ein Interesse daran haben, mehr Frauen in die Ämter zu bekommen.

Und trotzdem sitzen im Freisinger Stadtrat deutlich mehr Männer.

Zu meiner Zeit war es bei den meisten Sitzungen immerhin ein Drittel Frauen. Ich sage aber immer: Die Hälfte der Bewohnerinnen unserer Stadt sind Frauen und die sollten sich auch in der Stadtratspolitik wiederfinden. Es muss mehr darüber gesprochen werden, dass man durch die Perspektiven von Frauen zu neuen Ansätzen kommt, die sonst vergessen werden. Genauso gilt das für Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderung, auch hier müssten deutlich mehr Vertreterinnen und Vertreter in den Gremien sitzen.

"Mit guten Argumenten ist es mir oft gelungen, andere von meiner Meinung zu überzeugen."

Kamen Sie denn mit Ihren Anliegen im Stadtrat durch?

Ich habe mich für meine Themen immer stark eingesetzt. Mit guten Argumenten ist es mir oft gelungen, andere von meiner Meinung zu überzeugen. Man kannte mich im Stadtrat nicht als stilles Mäuschen, insofern wurde ich zum Glück nie belächelt oder mit geschlechterspezifischen Kommentaren konfrontiert.

Sie sind auch Mutter. Nun also die Standardfrage: Wie lässt sich das mit politischer Arbeit vereinbaren?

Wir brauchen dafür aufgeklärte und motivierte Männer, aber auch mutige Frauen, die auf ihre Rechte pochen. Mein Mann und ich teilen uns die Arbeit im Haushalt gleichgewichtig auf. Wir arbeiten beide in Vollzeit, haben allerdings das Glück, Betreuungsplätze für die Kinder und die Unterstützung der Großeltern in Anspruch nehmen zu können. In meiner Zeit im Stadtrat habe ich meine Kinder im Babyalter aber oft zu Sitzungen mitgenommen. Das war anstrengend, aber es ging. Care-Arbeit bedeutet aber auch mentale Arbeit: Man macht sich Gedanken über die Versorgung der Kinder, während sie in der Kita sind. Davon sind Frauen immer noch viel mehr belastet. Ich habe mir vor Kurzem einen Fragebogen dazu ausgedruckt. Den möchte ich mit meinem Mann ausfüllen, um herauszufinden, ob die mentale Sorgearbeit bei uns gleich aufgeteilt ist. Da bin ich mir nämlich nicht so sicher.

Wie Sie selbst sagen: die Kommunalpolitik braucht feministische Vorreiterinnen. Sind Sie zu einer geworden?

Ich glaube schon, dass ich im Freundeskreis über die kommunalpolitischen Prozesse aufklären konnte. Daraufhin ist schon die eine oder andere Freundin oder Bekannte für Wahlen angetreten und hat sich auf Listen aufstellen lassen. Ich versuche auch meine Tochter immer zu ermutigen, wenn wieder Klassensprecherwahlen anstehen, indem ich ihr sage: Probier's doch aus! Lass dich aufstellen, man kann nur dazulernen und gewinnen.

"Wir brauchen im Stadtrat ein Spiegelbild unserer Stadtbevölkerung."

Nach zwölf Jahren im Stadtrat sind Sie 2020 zurückgetreten. Wird es irgendwann ein Comeback geben?

Die Arbeit im Stadtrat hat mir schon sehr viel Spaß gemacht und ich schließe es auch nicht aus, mich irgendwann wieder aufstellen zu lassen. Wenn ich zurückkommen sollte, dann mit einem Fokus auf Bildung und Zusammenleben. Es ist mir generell wichtig, Offenheit für andere Denkweisen, Verhaltensmuster und Lebenssituationen zu schaffen. Damit werden dann auch die Frauen gewinnen.

Warum ist es wichtig, dass wir auch in diesem Jahr am internationalen Frauentag über Gleichberechtigung sprechen?

Man muss immer wieder mit verschiedenen Argumenten darüber reden, bis jeder begriffen hat: Das Thema ist wichtig. Wir kommen als Gemeinde nicht weiter, wenn im Stadtrat immer dieselben Männer mit denselben Berufen und ähnlichen Altersstrukturen zusammensitzen. Wir brauchen ein Spiegelbild unserer Stadtbevölkerung. Da ist Nachwuchs gefragt, jüngere Perspektiven. Gerade feministische Themen würden dadurch mehr Eingang in die Politik finden. Dass Frauen zum Beispiel genauso viel verdienen sollten wie Männer, ist im Bewusstsein junger Menschen viel spürbarer verankert. Gleichberechtigung ist ein Thema, an dem man stetig arbeiten muss. Wie sagt man so schön: steter Tropfen höhlt den Stein.

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