Weihenstephan:Das Gedächtnis der Klimaforscher

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Hat bei Problemen immer eine Lösung parat: Anton Knötig hat auch im Ruhestand noch weiter gearbeitet. (Foto: Marco Einfeldt)

Seit 50 Jahren ist Anton Knötig an der TU "Mädchen für alles", auch als Rentner hat er weiter gemacht

Von Katharina Aurich, Freising

An seinen ersten Arbeitstag in der Klimaforschung der LMU am 1. April 1967 kann sich Anton Knötig noch gut erinnern. Der gelernte Fernmeldetechniker erschien wie damals üblich mit Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Aber es erwartete ihn nicht etwa ein Tag im Büro oder Labor, sondern seine neuen Kollegen nahmen ihn mit in den Ebersberger Forst, um auf einem 50-Meter-Turm ein Windmessgerät zu installieren. Es regnete und das Wasser lief ihm oben in den Kragen hinein und unten an den Hosenbeinen wieder hinaus - Knötig hat die Bilder noch parat, als sei es gestern gewesen. Nach getaner Arbeit ging es ins Wirtshaus und er dachte, "in diesem Job werde ich nicht alt".

Tatsächlich blieb er der Klimaforschung 50 Jahre lang treu, hat zahllose Studenten, Wissenschaftler und Chefs kommen und gehen sehen. Seine derzeitige Chefin, die Professorin Annette Menzel, zeichnete Knötig nun mit einer Urkunde für seinen langjährigen Einsatz aus. Ein großer Einschnitt, verbunden mit sehr viel Arbeit, sei der Umzug der Klimaforschung von der LMU in München an die TU nach Weihenstephan gewesen, den damals niemand aus der Abteilung wollte, schildert Knötig. Von "seiner" Klimaforschung mochte er sich aber nicht trennen, auch nicht, als er vor zehn Jahren in Rente ging.

An einem Tag in der Woche komme er noch immer an seinen Arbeitsplatz, aber im September sei endgültig Schluss, sagt der 76-Jährige. Er freue sich darauf, zu Hause in Taufkirchen bei München mehr Zeit mit seinen fünf Enkeln und einem Urenkel zu verbringen, erzählt er. Doch niemand könne die Lücke schließen, wenn "der Toni" endgültig in Ruhestand geht, sagt Sekretärin Brigitte Fleischner. Sie arbeitet seit 25 Jahren am Lehrstuhl mit ihm zusammen, er sei das "Gedächtnis der Fakultät". In den Fluren des Fachgebiets Ökoklimatologie ist zu sehen, was Fleischner meint: In zahllosen Schaukästen stehen alte Messgeräte, Fotos und Diagramme hängen an den Wänden, Klimadaten aus den Fünfzigerjahren hat Knötig dort ausgestellt und jedes einzelne Exponat beschriftet. Fleischner erzählt, dass ihr Kollege "aus nichts etwas bauen könne", zum Beispiel Halterungen für Messgeräte, um sie an einem schiefen Turm anzubringen. Was Knötig herstellt, das halte ewig. "It's a Tony" heiße es an der Studienfakultät, wenn etwas bombenfest sei.

Knötig war fünf Jahrzehnte lang in der Klimaforschung der TU "das Mädchen für alles". Er baute in den Vorlesungen die Apparaturen für Demonstrationen auf, kletterte regelmäßig auf die Türme im Ebersberger Forst oder ging in Garmisch zu den Klimastationen der TU, um Messgeräte zu reparieren oder neue zu installieren. Das habe ihn fit gehalten, sagt er. Auch die Station im Kranzberger Forst hat Knötig mitgebaut. Für jedes Problem und jede Fragestellung entwickelte er das passende Gerät. Auch die Datenauswertung gehörte zu seinen Aufgaben.

Früher verwendete man für die Erfassung der Klimadaten, Regenmengen oder Windstärken Lochkarten, die Ergebnisse wurden dann von Hand auf Millimeterpapier aufgezeichnet. Klimadaten aufzubereiten sei richtig viel Arbeit gewesen, erinnert er sich. Die Papierstreifen mit den Daten habe er aufgehoben. So wie vieles andere auch, denn wegwerfen könne er nichts, erzählt der Techniker. Immer wieder kämen Wissenschaftler auf der Suche nach Klimadaten früherer Zeiten zu ihm, für die er dann das Gesuchte findet. Heutzutage kaufe man Geräte, alles sei wesentlich einfacher geworden. Und wenn ein Apparat kaputt sei, werde ein neuer angeschafft, schildert Knötig, der eigentlich am liebsten alles reparieren würde.

Daten zu erfassen, sei einfacher geworden, aber Karriere zu machen schwieriger, heutzutage müsse man richtig strampeln, sagt Knötig. Nicht nur Wissenschaftler kämen zu ihm auf der Suche nach Daten, auch Hobbyforscher besuchten ihn hin und wieder. Zum Beispiel auf der Suche nach der Schneestatistik für München in den vergangenen hundert Jahren. Natürlich hat er auch die Kohlenstoffdioxidkonzentration der Luft, die im Ebersberger Forst regelmäßig gemessen wird, parat. 1972 seien es 320 ppm gewesen, kürzlich wurden 420 ppm ermittelt. Kommentieren wolle er diesen deutlichen Anstieg lieber nicht, sagt Knötig. Wenn er im September zum letzten Mal die Tür zu seinem Arbeitsraum schließt, dann wird sich wohl niemand mehr um die Exponate und Daten kümmern.

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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