Süddeutsche Zeitung

Vor dem Bürgerentscheid:Kampf mit harten Bandagen

"Faktencheck" der Westtangenten-Gegner sorgt bei den Befürwortern für Verärgerung. Gutachten als falsch bezeichnet

Von Kerstin Vogel

Wenige Tage vor dem Bürgerentscheid zur Westtangente wird der Ton zwischen Gegnern und Befürwortern im Stadtrat schärfer. Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher hat am Montag den vom Bündnis "Besser ohne Westtangente" vorgelegten "Faktencheck" als "Ansammlung von Behauptungen, die streckenweise nicht stimmen und sich widersprechen" bezeichnet. Von neuen Fakten könne keine Rede sein. Vor allem von den im Bündnis vertretenen Stadtratskollegen sei er "persönlich maßlos enttäuscht". Ähnlich verärgert äußerten sich die Vertreter der anderen Pro-Tangente-Fraktionen im Stadtrat. Erich Irlstorfer (CSU) sprach von einem "inhaltlichen und politischen Show-Act".

Hintergrund der Empörung ist die aufwendig gestaltete Informationsbroschüre mit dem Titel "Faktencheck", die das Bündnis gegen die Westtangente am vergangenen Freitag präsentiert hat. Vorgestellt werden darin unter anderem zwei Gutachten zur Gefährdung des Grundwassers und zu den Kosten der umstrittenen Umgehungsstraße, die nach Ansicht der Tangentengegner völlig neue Fakten beinhalten. So legt der Weihenstephaner Bodenkundler Karl Auerswald dar, dass das Trinkwasserschutzgebiet in Vötting viel zu klein ausgewiesen worden sei. Die Bodenbeschaffenheit sei zudem weit ungünstiger als in der Planfeststellung unterstellt. Das Freisinger Trinkwasser werde durch die Westtangente massiv gefährdet. Das zweite Gutachten wurde von dem renommierten Münchner Büro Vieregg-Rössler angefertigt und sagt im Wesentlichen aus, dass das geplante Tunnelbauwerk in Vötting die Kosten auf 130 Millionen Euro treiben werde - die Stadt geht von 83 Millionen aus.

Vor allem wegen der dargestellten Erkenntnisse zum Trinkwasser hat Grünen-Stadtrat Jürgen Maguhn am Freitag bereits eine "Initiative" im Stadtrat angekündigt. Man werde eine neuerliche Überprüfung auch unabhängig vom Ausgang des Bürgerentscheids fordern, sagte er. Eine korrekte Ausweisung des Schutzgebietes könne nur der Oberbürgermeister verlangen. Natürlich wolle man das Votum des Bürgers achten, ergänzte Stadtratskollegin Monika Hobmair (ÖDP): "Aber mit den Fakten, die wir jetzt haben, kann ich das als Stadträtin nicht guten Gewissens weiter verfolgen." Weitere Vorwürfe an die Adresse der Stadt: Die Gutachten seien fehlerhaft und es sei für die Tangentengegner schwierig, an Informationen zu kommen.

Bereits gestern Nachmittag im Hauptausschuss ließ Maguhn den Worten Taten folgen und beantragte, die Experten des Bündnisses im Stadtrat anzuhören. Der Oberbürgermeister lehnte das umgehend ab. So kurz vor dem Bürgerentscheid werde man sich nicht mehr mit neuen Gutachten befassen. Maguhn könne die Expertisen jedoch jederzeit vorlegen, damit die Verwaltung sie prüfen könne. Maguhn erwies sich als vorbereitet und überreichte dem OB die Unterlagen, dessen Ärger milderte das jedoch nicht. Denn Eschenbacher und die Allianz der Tangentenbefürworter bringen die Anschuldigungen in Rage. Wenn die Kollegen nach dem Bürgerentscheid möglicherweise weiter gegen die Tangente kämpfen würden, sei das "der blanke Hohn", sagte Eschenbacher. Schließlich verlange man im Fall der dritten Startbahn umgekehrt von der Staatsregierung, dass sie sich auf jeden Fall an das Votum - in diesem Fall das der Münchner - Bürger hält. "Die bauen schon vor, weil sie Angst haben zu verlieren", vermutete SPD-Stadträtin Heidi Kammler.

Zudem habe man sich den "Faktencheck" aus dem Internet ausdrucken müssen, weil man die Broschüre gar nicht erhalten habe, kritisierte Eschenbacher. Umgekehrt habe man dem Bündnis stets alle gewünschten Unterlagen zur Verfügung gestellt. Zu den angeblich neuen Fakten verwies Eschenbacher auf das "weit über zehn Jahre dauernde, abgeschlossene Planfeststellungsverfahren für die Umgehungsstraße. Darin seien alle Einwände untersucht und am Ende sogar gerichtlich überprüft worden: "Vielleicht hätten sich die Fachleute des Bündnisses diese Unterlagen auch mal anschauen sollen." Zu der angeblichen Gefährdung des Wassers würden die Stadtwerke gerade an einer Richtigstellung arbeiten, kündigte Eschenbacher weiter an.

Die Berechnungen zu den Kosten der Tangente und die Behauptungen, dass damit alle anderen Freisinger Wunschprojekte nicht mehr bezahlbar seien, nannte der Oberbürgermeister "eine Verhohnepipelung der Freisinger Bevölkerung". Selbst wenn die Tangente am Ende wirklich 100 Millionen Euro kosten sollte, blieben wegen der Zuschüsse davon nur 21 Millionen an der Stadt hängen. Davon wiederum sei ein Drittel sogar schon bezahlt. Der Rest sei über die Jahre aus dem Haushalt leicht zu stemmen. Deutliche Kritik übten die Befürworter der Westtangente auch noch einmal an der Fragestellung, um die es am kommenden Sonntag gehen wird. Diese sei so umständlich formuliert, dass mit "Ja" stimmen muss, wer die Umgehungsstraße nicht will - eine "linke Art der Formulierung", wie es Anna-Maria Sahlmüller (FDP) nannte.

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SZ vom 17.09.2013
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