Süddeutsche Zeitung

Von Freising inspirierter Krimi:Der Richter der letzten Dinge

Lesezeit: 3 min

Der Historiker Luis Vandiemen hat sich einen Wunsch erfüllt und einen Roman geschrieben. Der Domberg und das spätmittelalterliche Freising haben ihn zu einem spannenden Krimi inspiriert.

Von Thilo Schröder

Es ist das Jahr 1473. Den Freisinger Domberg erschüttert ein Selbstmord, gefolgt von einer Serie von Todesfällen und Skandalen. Bei der Untersuchung stößt der Chorrichter auf Zusammenhänge zwischen hoher Politik und den Abgründen der menschlichen Seele. Ein Wettlauf um Leben und Tod beginnt. Luis Vandiemens Debütroman "Der Richter der letzten Dinge" lässt den Leser eintauchen ins spätmittelalterliche Freising. Über den Domberg als reichhaltige Quelle der Kirchengeschichte, das zentrale Thema "Ehe im Mittelalter" und den heimlichen Wunsch vieler Historiker, einen Roman zu schreiben.

Die Basis für Vandiemens Roman bildet eine Sammlung überlieferter Gerichtsbücher. "Das sind Aufzeichnungen von den täglichen Handlungen am Gericht, ungefähr 45 Bände, die weltweit größte Sammlung solcher Aufzeichnungen aus dem Mittelalter", erzählt Vandiemen, promovierter Historiker. Lange Zeit unbekannt, habe sich die Geschichtsforschung dieses reichhaltigen Schatzes an spätmittelalterlichen Texten angenommen. "Die Dokumente sind voll von faszinierenden Geschichten aus dem Alltag von Menschen. Nicht nur von Adeligen, auch von Bauern und Mägden und Handwerkern. Sie erzählen viel aus deren Leben, weil es um die Ehe geht in den meisten Fällen und diese Eheprozesse voll mit persönlichen Details sind. Das fand ich interessant und hab gedacht: Das wär doch ein guter Stoff für einen Roman."

Eigentlich ist der 51-Jährige kein Regionalhistoriker, seine Schwerpunkte liegen in der Geistesgeschichte des Spätmittelalters, der Papst- und Kirchengeschichte sowie der Rechtsgeschichte. "Aber Freising hat einfach eine lange, interessante Geschichte mit den vorhandenen Bauten, etwa dem Dom." Historienkrimis leben von der Darstellung, einer Mischung aus Fakten und Fiktion.

Der Rahmen basiert auf Fakten

Das zeitgenössische Leben am Freisinger Domberg und die atmosphärische Rekonstruktion der Gerichtssäle, unterlegt mit einer dunklen, spannungsvollen Atmosphäre, sollen den Leser in die Zeit mitnehmen, sagt Vandiemen. Die Kriminalhandlung sei natürlich erfunden. Aber der Rahmen, das Gericht, der Freisinger Bischof, alles auf Fakten basiert. "Aus den Quellen habe ich immer wieder kleinere Geschichten herausgefischt und leicht verändert verwendet. Das erzeugt einen realistischeren Hintergrund."

Das mittelalterliche Eherecht stünde in der Forschung und der Öffentlichkeit stark in der Kritik. Zu Unrecht, findet Vandiemen. "Ich habe versucht, das ein bisschen differenzierter darzustellen." Es habe viele Probleme gegeben, das Eherecht habe den Mann über die Frau gestellt. Auf der anderen Seite habe die Ehe ohne Priester und Zeugen geschlossen werden können. "Aus moderner Sicht mutet das sehr frei und offen an. Ich persönlich finde, das war eine sehr interessante Möglichkeit für Leute, auch ohne den Einfluss der Familie in einer patriarchalischen Gesellschaft die Ehe zu schließen."

Die Geschichte ist nicht als Kirchenkritik gemeint

Der Plot erinnert an Umberto Ecos "Der Name der Rose". Das ermittelnde Zweiergespann, der Bischofsrichter und der junge Domkanoniker, die bei der Aufklärung der Vorfälle an die Grenzen des katholischen Weltbilds stoßen. Die Zweifel, die sich regen im Zuge der mysteriösen Vorgänge. "Auf alle Fälle bin ich von diesem Roman inspiriert. Aber ich bin relativ schnell davon weg gekommen, ich spiele eigentlich mehr unbewusst als bewusst an", sagt Vandiemen. Was auf den ersten Blick wie Kirchenkritik anmutet, etwa die Auseinandersetzung mit humanistischen Werten und Skandalen, ist vom Autor anders gemeint. Es gehe ihm darum, spätmittelalterliche Strömungen aufzuzeigen. "Das 15. Jahrhundert ist eine besonders bewegte Zeit, wo sich ganz viel Neues, eigentlich schon der Anfang der Moderne, ankündigt. Strömungen wie die Renaissance und der Humanismus kommen aus Italien. Und viele Gelehrte, die am Freisinger Domberg waren, haben in Italien studiert, unter anderem der Richter."

Die historische Richterfigur kann als Beispiel gelten für die Vorzüge des literarischen gegenüber des wissenschaftlichen Arbeitens, das Vandiemen als "spröde" beschreibt. Er zeichnet ihn als in der Jugend humanistisch beeinflussten Mann, der im Alter zum kirchenrechtlichen Standpunkt zurückgefunden hat, durch die dramatischen Ereignisse aber am scholastisch geprägten Recht zweifelt, sich also zwischen den Welten bewegt. Die Arbeit entlang von, aber nicht ausschließlich mit Fakten lässt viele Historiker den Schriftstellertraum träumen. Für Luis Vandiemen ist er nach vier Jahren des Schreibens wahr geworden. Wenn er Kollegen von seinem Roman erzähle, bekämen die große Augen und sagten: "Ja, das wollte ich eigentlich auch immer machen."

"Der Richter der letzten Dinge", Autor: Luis Vandiemen, Emons Verlag 2018, ISBN 9783740804541;

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SZ vom 08.11.2018
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