Von der Monarchie zur Demokratie:Fahnen schwingende Menschenmassen

Auch in Freising hat sich im Winter 1918/19 ein Soldatenrat gebildet, größere bewaffnete Konflikte hat es keine gegeben

Von Katharina Aurich, Freising

Selbst in den unsteten Zeiten im Winter 1918/19 nach Ende des Ersten Weltkriegs ist es in Freising verhältnismäßig ruhig geblieben. In seinem Vortrag mit zahlreichen alten Bildern und Dokumenten schilderte der Historiker Florian Lehrmann im großen Sitzungssaal des Freisinger Rathauses, wie die Bevölkerung den Übergang von der Monarchie zur Demokratie erlebte. Soldaten waren aus München nach Freising gekommen, aber die Menschen waren besonnen. Es habe während dieses einschneidenden halben Jahres keine großen bewaffneten Konflikte in der Domstadt gegeben. Sogar die Büste des Prinzregenten steht bis heute im Rathaussaal.

Die jüngere Geschichte Freisings interessiert offensichtlich viele Bürger, denn sogar stehend verfolgten die Zuhörer im bis auf den letzten Platz besetzten Saal die akribische Archivrecherche Lehrmanns. Er hatte diesem aufregenden halben Jahr auch seine Dissertation gewidmet und daraus zusammen mit Beiträgen von Ulrike Götz, Florian Notter und Guido Hoyer ein umfangreiches Buch mit zahlreichen Quellen erstellt, das der Historische Verein nun als 44. Sammelblatt heraus brachte.

Heutzutage sei es selbstverständlich, politische Vertreter frei in Gremien wie den Stadtrat zu wählen, sagte Dritte Bürgermeisterin Eva Bönig. Aber in einer Demokratie zu leben, sei nicht selbstverständlich, man müsse sie in vielen Ländern, auch in Europa, wieder verteidigen. Die Ereignisse während der Revolution 1918/19 erinnerten daran, wie sich auch Freisinger Bürger damals für das Wohl der Stadt und freie Wahlen eingesetzt hätten.

Die Revolution sei zunächst eine Sache der Soldaten gewesen, es bildeten sich die Arbeiter- und Soldatenräte, deren Vorsitz in Freising Ferdinand Zwack übernahm. Es habe Versammlungen in der Luitpoldanlage mit über 6000 Zuhörern gegeben, berichtete Lehrmann und zeigte Fotos von Fahnen schwingenden Menschenmassen auf dem Marienplatz. Schließlich wurde in Bayern eine Räterepublik ausgerufen, in Freising taten dies die Soldaten in der Vimy-Kaserne und die Menschen versammelten sich in den Sälen des Kolosseums und des Stieglbräus. Die Freisinger Stadtverwaltung unter dem damaligen Bürgermeister Stephan Bierner verhielt sich neutral, die Arbeiter- und Soldatenräte durften ohne Stimmrecht an den Sitzungen teilnehmen.

Gefragt waren die tatkräftigen Mitglieder um für Ruhe und Ordnung zu sorgen, die Umstellung der Verwaltung von Kriegs- auf Friedenszeiten zu bewältigen und vor allem auch zur Sicherung der Lebensmittelversorgung und im Kampf gegen den Schwarzmarkt, berichtete Lehrmann. Ferdinand Zwack gründete zudem eine Genossenschaft, um am "Goldberg" günstige Wohnungen zu bauen.

Stephan Bierner als starker Bürgermeister sowie der kooperierende Arbeiter- und Soldatenrat unter Zwack hätten gemeinsam zum Wohle der Bevölkerung gearbeitet, schilderte Lehrmann. Es kam nicht zu der von manchen befürchteten bolschewistischen Revolution oder den von der Kirche befürchteten "Belästigungen durch den Pöbel". Doch die Tage der Räterepublik waren gezählt, die "weißen" Truppen der Reichswehr beendeten den Versuch, im Freistaat Bayern ein sozialistisches System zu installieren.

Aber diese Umwälzungen hätten zu einem erhöhten politischen Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung geführt und auch die Anzahl der Frauen, die wählten und sich politisch engagierten, habe zugenommen, so Lehrmann. In Freising erhielt die SPD bei der Wahl im Mai 1919 einen großen Stimmenzuwachs, vor allem auch von Arbeitern, die in die Domstadt gekommen waren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: