Volksbegehren in Freising:Genau den Nerv getroffen

Berg Blumenwiese

Die Bayern sorgen sich um die Natur ihres Landes und haben das deutlich zum Ausdruck gebracht.

(Foto: Rupert Monn/privat)

Das Volksbegehren zur Artenvielfalt hat offenbar viele Menschen berührt. Das Freisinger Aktionsbündnis zieht zufrieden Bilanz und bleibt wachsam.

Interview von Kerstin Vogel, Freising

Ein lokales Aktionsbündnis hat in den vergangenen Wochen für das Volksbegehren zur Artenvielfalt geworben und wollte nichts unversucht lassen, damit möglichst viele Bürger sich in die Listen eintragen. Offenbar mit Erfolg: 23,4 Prozent der Wahlberechtigten haben dies in der Stadt Freising getan, 18,5 Prozent landkreisweit. Ulrich Vogl (ÖDP), Verena Juranowitsch (Grüne), Manfred Drobny (Bund Naturschutz) und Heinz Kotzlowski (Landesbund für Vogelschutz) ziehen Bilanz.

SZ: Was glaubt die ÖDP, warum hat dieses Thema anders als noch bei der Landtagswahl plötzlich so gezogen?

Ulrich Vogl: Ich denke, dass man mit der Thematik den Nerv der Zeit getroffen hat. Die jetzt für jedermann spürbar bedrohte Artenvielfalt hat offensichtlich viele Menschen berührt. Und das im Gegensatz zu den Landtagswahlen, wo aus den vielen Themen erfahrungsgemäß andere Schwerpunkte gesetzt werden.

Hat es Sie überrascht, wie groß das Interesse war?

Vogl: Ja, sehr sogar. Extrem positiv dabei ist, dass sich so viele junge Menschen engagiert haben, aber eben auch viele Berufstätige und Senioren. Das ist ganz offenbar ein Anliegen aller Generationen!

Verena Juranowitsch: Egal ob Volksbegehren, "Wir-haben's-satt-Demo" oder "Fridays for Future": Der Natur- und Klimaschutz bringt die Leute auf die Straße. Und das braucht es auch. Nur gemeinsam können wir der Klimakrise entgegentreten und den Artenschwund stoppen.

Manfred Drobny: Dass der Artenschutz vielen Leuten sehr wichtig ist, wussten wir. Der Erfolg, fast eine Million Bayern in ihr Rathaus zu bringen, war aber nicht selbstverständlich.

Heinz Kotzlowski: Überrascht, dass auch in ländlichen Regionen die Beteiligung groß war. Das Ergebnis der bisherigen Agrarpolitik ist für jedermann sichtbar geworden, obwohl nach wie vor viel Geld für den Erhalt der Natur an die Landwirte fließt. Viele fragen sich, wieso die Effizienz der Fördermittel nicht kontrolliert wird und nur die gefördert werden, die nachweislich für den Erhalt der Natur und der Vielfalt sorgen. Ich glaube auch, dass vielen Menschen eine gesunde Ernährung wichtig geworden ist, und dafür sind unbelastete Lebensmittel notwendig. Dieses Umdenken bemerke ich besonders bei Familien mit Kleinkindern.

Kann sich das Bündnis jetzt einen "Deal" mit Söder vorstellen?

Vogl: Vorstellen kann man sich ja bekanntlich viel. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Vernünftiges im Sinne des Volksbegehrens und seiner vielen Unterstützerinnen und Unterstützer dabei herauskommt, halte ich für eher gering. Zu ideologisch verfahren waren hier die Positionen einiger Funktionäre des Bauernverbands und ihrer politischen Interessenvertretung, der Freien Wähler. Und letztere sitzen bekanntlich mit am Kabinetts-Tisch.

Juranowitsch: Eine Million Unterschriften haben politische Fakten geschaffen. Der Landtag mit seiner CSU- und Freie-Wähler-Mehrheit wird unseren Text sicher ablehnen. Dann kommt es zum Volksentscheid. Ein Gegenentwurf hat nur Chancen, wenn wir ihn mit unterstützen. Söder und Co. sind also in Zugzwang.

Drobny: Wir sind gespannt, ob Ministerpräsident Söder etwas substanziell Besseres anbietet. Entscheidend ist ja, was im Ergebnis auf dem Tisch liegt. Die Artenvielfalt muss deutlich profitieren.

Kotzlowski: Ein "Deal" würde Abstriche bei den Forderungen des Volksbegehrens bedeuten. Wir und unsere Kinder brauchen eine gesunde Natur, und das ist nicht verhandelbar. Die Forderungen des Volksbegehrens sind ohnehin Mindestmaßnahmen, um das zu retten, was noch zu retten möglich ist - viele Arten haben wir bereits verloren. Ein "Deal" würde "nur weiter so" für die Landwirtschaft bedeuten und das würden die Menschen nicht akzeptieren.

Gibt es jetzt eine Pause oder wie geht es weiter? Wie will man die Leute bei der Stange halten?

Vogl: Eine kurze Verschnaufpause muss sicherlich sein. Doch ich denke, es wird zum Volksentscheid kommen und neben dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens auch einen Gegenentwurf der Staatsregierung geben. Wie viel "runder Tisch" dann da drin steckt, bleibt abzuwarten. Das Aktionsbündnis ist gut beraten, die Sache mit Argusaugen zu beobachten und den Bürgerinnen und Bürgern eine potenzielle Mogelpackung vor Augen zu führen.

Juranowitsch: Jetzt geht es an den praktischen Artenschutz. Es gilt, den Schwung des Volksbegehrens zu nutzen und zu zeigen, was Verbraucher, Kommunen, Garten- und Balkonbesitzer tun können. Wir dürfen das Thema nicht abflauen lassen.

Drobny: Da sehe ich keine allzu großen Probleme. Dieser Erfolg beflügelt und wenn die Schmetterlinge fliegen, erst recht ...

Kotzlowski: Im Juli wird der Artenverlust sichtbarer, als dies im Winter der Fall ist. Wer sich am Volksentscheid beteiligt hat, ist bereits sensibilisiert und wird die politische Entwicklung kritisch verfolgen. Wichtig ist es, weiterhin Veranstaltungen und Exkursionen anzubieten und mit den Menschen in Kontakt bleiben.

Die Zahlen

Allershausen: 15,4 Prozent (579 Unterschriften)

Attenkirchen: 15,2 Prozent (303)

Au: 11,1 Prozent (481)

Eching: 17,3 Prozent (1656)

Fahrenzhausen: 19,4 Prozent (673)

Freising: 23,4 Prozent (7465)

Gammelsdorf: 9,2 Prozent (101)

Haag: 15,1 Prozent (321)

Hallbergmoos: 14,2 Prozent (991)

Hohenkammer: 13,6 Prozent (245)

Hörgertshausen: 11,9 Prozent (182)

Kirchdorf: 14,6 Prozent (336)

Kranzberg: 20,0 Prozent (622)

Langenbach: 18,9 Prozent (551)

Marzling: 27,8 Prozent (656)

Mauern: 15,5 Prozent (343)

Moosburg: 19,2 Prozent (2421)

Nandlstadt: 14,4 Prozent (548)

Neufahrn: 20,0 Prozent (2475)

Paunzhausen: 15,3 Prozent (182)

Rudelzhausen: 12,0 Prozent (302)

Wang: 14,9 Prozent (279)

Wolfersdorf: 11,5 Prozent (212)

Zolling: 14,2 Prozent (473)

Landkreis: 18,5 Proz. (22 397)

Wie will man die Bauern ins Boot holen?

Vogl: Eine wichtige Frage. Abgesehen davon, dass ein Teil der Landwirtschaft bereits im Unterstützerkreis ist, gilt: Das nicht verhandelbare Grundziel des Volksbegehrens ist die Nachhaltigkeit - für Mensch und Natur - und dazu gehört eben auch eine nachhaltige Landwirtschaft. Mir ist es ein inniges Anliegen, mit dem erforderlichen Wandel in der konventionellen Landwirtschaft auch alle Voraussetzungen zu schaffen, dass die Menschen in Bayern in 25, 50 und 100 Jahren noch vollständig durch die einheimische Landwirtschaft ernährt werden können.

Juranowitsch: Wie immer gilt: miteinander reden. Viele Missverständnisse konnten im persönlichen Gespräch schon geklärt werden. Zum Beispiel war vielen Landwirten nicht klar, dass nicht jede einzelne Sparte (wie zum Beispiel der Hopfenbau) auf 30 Prozent Bio umstellen muss. Auch wussten viele nicht, dass Maßnahmen, die gesetzlich vorgeschrieben werden wie Uferrandstreifen dennoch förderfähig sein können. Wir brauchen jetzt konkrete Lösungen und Finanzierungen, damit die Landwirte Planungssicherheit bekommen. Und in einem Punkt haben die Landwirte ja völlig Recht: Artenschutz geht uns alle an und jeder Einzelne muss sich fragen, wie er helfen kann. Vom Aufstellen einer Bienentränke an heißen Sommertagen bis zum Kauf regionaler Bio-Lebensmittel ist da vieles machbar.

Drobny: Viele Landwirte unterstützen uns. Die Bauern sollen ja Lebensmittel produzieren und davon leben können. Wir müssen nun dafür sorgen, dass dabei die Natur nicht unter die Räder kommt.

Kotzlowski: Hier müssten die ökologisch wirtschaftenden Landwirte die Hauptarbeit leisten. Nur sie können auf Augenhöhe miteinander kommunizieren und bei einer Umstellung der Bewirtschaftung beratend helfen. Wir vom Naturschutz werden sie in allen Fragen unterstützen. Die Politik soll Rahmenbedingungen schaffen, damit eine ökologische Landwirtschaft auch ökonomisch wird und der Landwirt sich wieder zum Naturbewahrer umwandelt.

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