Süddeutsche Zeitung

Verkehrskonzept:Mit dem Wir-Gefühl raus aus dem Stau

Ein weiteres Konzept soll den Verkehrskollaps in der Region nördlich von München verhindern. Ob es diesmal Wirkung zeigt, bleibt abzuwarten.

Von Alexandra Vettori, Freising

127 Seiten ist es lang, das Mobilitätskonzept für die Mittlere Isarregion und das Ampertal, kurz MIA, entstanden in den vergangenen eineinhalb Jahren, und das sogar unter universitärer Mitwirkung. Sein Ziel: Den Verkehrskollaps in der Region nördlich von München zu vermeiden. Das wollten zwar schon mehrere Konzepte, mit bekanntlich geringem bis keinem Effekt, doch diesmal gibt es einen neuen Ansatz: Man beginnt vor Ort in den 17 Gemeinden und Städten, die an der MIA beteiligt sind. Am Montag wird das Mobilitätskonzept im Freisinger Landratsamt vorgestellt. Vielleicht kann man dann auch die skeptischen Stimmen überzeugen, die nur einen weiteren "Papiertiger" erwarten.

"Jedes Auto, das in Zolling nicht losfährt, trägt in Freising auch nicht zum Verkehrskollaps bei", bringt Hans Huss, Leiter der lokalen Aktionsgruppe Mittlere Isarregion, die Sache auf den Punkt. Die Aktionsgruppe mit Sitz in Freising hat mit der ebenfalls interkommunalen Gruppe "ILE Kulturraum Ampertal" das MIA-Mobilitätskonzept initiiert. 17 Gemeinden in den Landkreisen Freising und Erding machen mit, der Landkreis Pfaffenhofen kooperiert. Die Hälfte der knapp 220 000 Euro Kosten kommt als Zuschuss der EU.

17 Gemeinden in den Landkreisen Freising und Erding machen mit, Pfaffenhofen kooperiert

"Uns ging es darum, abzustimmen, für welche Gemeinde sind welche Maßnahmen sinnvoll, um den Verkehr insgesamt zu reduzieren", erklärt Huss. Darin liege der Unterschied zu den übrigen Verkehrskonzepten, die sich auf Straßen, Öffentlichen Nahverkehr und Schienen bezögen und oft übergestülpt würden. Bei MIA dagegen waren die Menschen aus den Gemeinden beteiligt, unterstützt von Fachleuten von der "Schlothauer und Wauer Ingenieurgesellschaft für Straßenverkehr", der Technischen Universität München und der Firma Green City Experience. Gebhard Wulfhorst, Professor für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung an der TU, war einer der Fachleute, auch er betont den anderen Blickwinkel des Konzepts: "Mit zwei Landkreisen hat man zwei Kooperationsräume, die inhaltlich noch gar nicht zusammen gefunden haben. Da entsteht eine ganz neue Government-Struktur." Das sei nicht nur für die Wissenschaftler eine "tolle Erfahrung" gewesen, zuletzt sei auch bei den Mitwirkenden ein regelrechtes "Wir-Gefühl" entstanden.

Für den Kranzberger Bürgermeister Hermann Hammerl, seit 2014 im Amt, war es nicht das erste Verkehrsgutachen, bei dem er mitgemacht hat. Dennoch ist er entschlossen, etwas in seiner Gemeinde umzusetzen. "Die Frage ist aber, was tatsächlich geht", betont er. Letztlich müsse es wirtschaftlich sein und von den Leuten angenommen werden. "Es bringt sicher nichts, wenn ich ein Car-Sharing-Auto oder Leihräder ans Kranzberger Rathaus stelle. Aber bei unserem geplanten Mehrgenerationenwohnen kann ich mir so was, je nach Bewohnerstruktur, schon vorstellen." Dazu dürfe man reale Hürden nicht vergessen. Als Beispiel beschreibt Hammerl die Herausforderungen rund um den Autobahn-Express-Bus. Da soll im Nachbarort Allershausen eine Zustiegsmöglichkeit sein. Dafür aber brauche es einen Parkplatz an der Autobahn, wo sich die Busfahrgäste aus den umliegenden Orten sammeln. Und dafür müsse man Grund kaufen, was teuer sei und bei den Besitzern auf wenig Gegenliebe stoße. Oder: Weil der Autobahn-Bus nicht im Stau auf der A 9 stehen sollte, wäre eine Busspur ideal. "Und da wird es wirklich schwierig", so Hammerl.

Nichtsdestotrotz hat sich nicht nur der Kranzberger Bürgermeister dafür ausgesprochen, dass auch ein Mobilitäts-Manager oder eine -Managerin kommen soll, um den Prozess nach dem Konzept voran zu treiben, auch ein Vorschlag aus dem MIA-Konzept. Das wäre dann endgültig ein Alleinstellungsmerkmal unter den Verkehrskonzepten.

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SZ vom 07.10.2020/ilos
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