Vergewaltigungsprozess:Freispruch als notwendige Konsequenz

Das Gericht ist nicht ausreichend davon überzeugt, dass sich die erhobenen Vorwürfe so zugetragen haben

Von Alexander Kappen, Landshut/Freising

In den Augen des Vorsitzenden Richters Ralph Reiter war es "ein sehr schwieriger Spezialfall". Man habe es mit einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zu tun, mit der Besonderheit, dass sowohl der heute 38-jährige Angeklagte aus Freising als auch die beiden mutmaßlichen Opfer geistig beeinträchtigt seien. Nachdem der Prozess im Dezember 2017 ausgesetzt worden war, um nötige Gutachten erstellen zu lassen, ist er diese Woche fortgesetzt worden. Am Mittwoch sprach das Landshuter Landgericht den 38-Jährigen, der wegen Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigung angeklagt war, schließlich frei. Für die zwischenzeitlich angeordnete Unterbringung in einem Bezirkskrankenhaus zum Schutz der Allgemeinheit wird er entschädigt.

Das Gericht folgte mit dem Freispruch den Anträgen des Verteidigers und des Staatsanwalts. Auch Letzterer war nach der Hauptverhandlung nicht ausreichend davon überzeugt, dass die in der Anklage erhobenen Vorwürfe sich so zugetragen hatten. "Die notwendige Konsequenz ist der Freispruch", sagte der Staatsanwalt. Die Aussagen der beiden Hauptbelastungszeuginnen seien "nicht mit der notwendigen Sicherheit erlebnisbasiert", meinte der Verteidiger.

Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, seine damalige Lebensgefährtin 2010 geschlagen und in der gemeinsamen Wohnung vergewaltigt zu haben. Im Jahr 2016 oder Anfang 2017 soll er in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen versucht haben, eine Mitbewohnerin zu vergewaltigen. Das Paradoxe sei, so der Richter, dass die von ihm mittlerweile getrennt lebende Lebensgefährtin ihren damaligen Freund bei der Polizei entlastet und er sich mit einem Geständnis selbst belastet habe. Allerdings leidet der 38-Jährige, der als Baby adoptiert wurde, unter dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS): Er hat durch den Alkoholkonsum seiner leiblichen Mutter während der Schwangerschaft organische Schäden erlitten.

Ein Gutachter sah die Möglichkeit, "dass Menschen mit FAS sich leichter selbst einer Sache bezichtigen, die sie gar nicht getan haben". Auch die Intelligenzminderung des Angeklagten könne eine Rolle spielen. Es sei nicht auszuschließen, dass er das Geständnis bei der Polizei, bei der ein Betreuer und die Adoptiveltern dabei waren, abgelegt habe, um einer vermeintlichen Erwartungshaltung gerecht zu werden. Bei Personen mit FAS sei das nicht so selten. Zudem zog der Angeklagte das Geständnis in der Verhandlung wieder zurück.

Zweifel gab es nach dem Gutachten einer Sachverständigen auch an der Glaubwürdigkeit der Belastungszeuginnen. In den Aussagen der Ex-Freundin gebe es "Anzeichen von Verzerrungen, Umdeutungen und Verlagerungen", sagte der Richter. In den Angaben des zweiten mutmaßlichen Opfers fehle die nötige Konstanz. Auch der Staatsanwalt räumte ein: "Es gibt zu viele Widersprüche, das reicht einfach nicht aus".

Der Angeklagte selbst, das zeigten auch Aktennotizen seiner Betreuer, habe "einen gesteigerten Sexualtrieb und neigt zu Übergrifflichkeiten", so der Richter. Aber ein Sachverhalt bezüglich der Anklage könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden. "Der Angeklagte ist suggestiv leicht beeinflussbar und hat bei den Betreuern ein ambivalentes Verhalten gezeigt, erst hat er Dinge zugegeben, dann ist er wieder zurück gerudert", so der Richter. Bleibe nur "das Geständnis als einziges belastbares Beweismittel, und das ist mit einem großen Fragezeichen versehen." Logische Folge war in diesem Fall der Freispruch.

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