Verein "Älter werden in Eching":"Immer frisch, mutig und unverdrossen"

Verein "Älter werden in Eching": Küche und Stüberl gehören zu den wichtigen Begegnungsräumen im Alten-Service-Zentrum. Mit einer Spende der Leser an den SZ-Adventskalender konnte hier zur Freude von Siglinde Lebich (links) 2018 renoviert werden.

Küche und Stüberl gehören zu den wichtigen Begegnungsräumen im Alten-Service-Zentrum. Mit einer Spende der Leser an den SZ-Adventskalender konnte hier zur Freude von Siglinde Lebich (links) 2018 renoviert werden.

(Foto: Marco Einfeldt)

Geschäftsführerin Siglinde Lebich begleitet den Verein "Älter werden in Eching" im 30. Jahr. Was den Kampf gegen Pflegekräftemangel, Bürokratie und wenig Wertschätzung anbelangt, sieht sie noch viel Handlungsbedarf.

Interview von Klaus Bachhuber, Eching

"Älter werden in Eching" ist ein Verein zur Gestaltung der Altenarbeit, in dem die Gemeinde genauso eine Stimme hat wie die Kirche oder die Arbeiterwohlfahrt - und jeder Echinger Senior, der dem Verein angehört, hat genauso eine Stimme. So verwalten sich Echings Senioren seit 30 Jahren selbst, meist in engem Schulterschluss mit dem Rathaus, aber wenn's sein muss, schon auch mal im Konfrontationskurs gegen die Obrigkeit. Siglinde Lebich wurde fünf Monate nach der Gründung als Geschäftsführerin eingestellt und begleitet den Verein nunmehr im 30. Jahr.

30 Jahre ist noch kein Alter in der Seniorenwissenschaft. Wie alt ist denn "Älter werden in Eching"?

Lebich: Immer frisch, mutig und unverdrossen, aufmerksam für gesellschaftliche Entwicklungen und offen für Neues.

Wenn Sie an die ersten Wochen und an die Gründungsziele und -visionen des neuen Vereins zurückdenken: Was ist daraus 30 Jahre später geworden?

Der Verein hat ein modernes Quartierskonzept realisiert, das sich dem wandelnden Bedarf anpasst und umsetzt, was sich die Bürger 1989 gewünscht haben: so lang wie möglich zu Hause wohnen und in der Mitte der Gesellschaft zu bleiben. Damals wie heute haben sich die Bürger auch gewünscht, mit einem abgestuften Dienstleistungssystem den Verbleib in der eigenen Wohnung zu sichern. Dafür hat der Verein ein breites Netz an Möglichkeiten entwickelt. Bei Hilfebedarf im Haushalt können wir mit freiwilligen Helfern Unterstützung bei der Haushaltsführung, bei Arztfahrten oder zur Geselligkeit leisten. Dafür waren 2018 in 152 Haushalten 83 Helfer insgesamt 8331 Stunden im Einsatz. Ist Pflegebedarf vorhanden, wird die Sozialstation des Vereins mit ihren Pflegekräften tätig. In den 34 betreuten Wohnungen des Hauses leben Bürger in barrierefreien Wohnungen mitten im Zentrum der Gemeinde. Vielfältige Beratungsfragen zu Wohnen, Sozialem, Finanzen und anderem werden von den Fachkräften des Vereins individuell beantwortet. Die Bürger Echings haben hier heute eine Anlaufstelle für vielerlei.

Der zentrale Gründungsimpuls des Echinger Altenmodells war eine Umfrage unter den Echingern, deren zentraler Wunsch für's Älterwerden lautete: Bloß nicht ins Heim! 30 Jahre später sagen das immer noch fast alle älteren Menschen - dennoch werden seit 30 Jahren weiter überall Altenheime gebaut. Warum setzt sich der Echinger Ansatz nicht durch?

Weil einerseits eine Gemeinde bereit sein muss, Engagement und Geld einzusetzen. Und andererseits öffentliche Finanzierungsstrukturen stationäre Einrichtungen begünstigen. Da werden präventive Ansätze in den Hintergrund gedrängt. Vermehrt sind aber Öffnungstendenzen - weg von Heimen - erkennbar. Allein aus der hohen Zahl von Nachfragen nach dem Echinger Konzept können wir sehen, dass sich bundesweit viele Gemeinden auf den Weg machen, für ihre Bürger die Daseinsvorsorge zu verbessern. So haben sich manche von uns Details abgeschaut und für ihre individuellen Bedürfnisse angepasst. Kleinere Gemeinden verwirklichen vielleicht nur einen kleinen Begegnungsraum und weniger Wohnungen, andere wie etwa Niederwinkling übernehmen fast das komplette Echinger Programm.

Warum funktioniert das in Eching?

Bürgermeister und Gemeinderat haben 1989 wegweisende Entscheidungen gefällt. Und dafür wurde der Verein später auch mit der Förderung der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts durch die Robert-Bosch-Stiftung bedacht. In einer Studie 2014 wurde aufgezeigt, welche Faktoren die positive Entwicklung begünstigten. Wesentlich für das Funktionieren sind aber die Mitarbeiter, viele von ihnen sind seit langen Jahren dabei und tragen das ASZ mit ihrer guten Teamarbeit durch die Widrigkeiten des Alltags. Und der Vorstand des Vereins hat in all den Jahren mit den mutigen Vorsitzenden Joachim Ensslin, Rolf Lösch und jetzt Gertrud Wucherpfennig immer tatkräftig die Interessen der Bürger vertreten.

Trotz des imposanten Gebäudes und eines 17-köpfigen Mitarbeiterstabs unter Ihrer Leitung ist die Säule auch dieses Vereins das ehrenamtliche Engagement Dutzender...

...Dutzende ist fast etwas wenig, es sind fast 100 Bürger! Und es war immer gewünscht, dass jeder mitwirken kann, Haupt- und Ehrenamt auf Augenhöhe gemeinsam das Projekt stemmen.

Die Festrede zum 30. Geburtstag hält die Bayerische Sozialministerin Kerstin Schreyer. Sie ist die dritte Ministerin, die über die Jahre das ASZ würdigt. Was tut die Politik jenseits der Festreden?

Sie müht sich. Aber nicht ausreichend. Wir haben Pflegekräftemangel, stetig zunehmende Bürokratie, wenig Wertschätzung und unzureichende Refinanzierungsmöglichkeiten. Da ist noch Handlungsbedarf. Viel Energie und lange Zeit brauchte zum Beispiel die Klärung der Frage, wer für Bürger mit niedrigen Einkommen leistungspflichtig im Bereich der Sozialhilfe ist. Da hat der Verein mit richterlichen Beschlüssen und einer Landtagspetition erst nach fast zwölf Monaten eine Klärung erreichen können, die eigentlich schon 2008 bei Gesetzesvorlage nötig gewesen wäre.

Verein und ASZ wurden mit Ehrungen überhäuft. Was war Ihre liebste oder wichtigste?

Als wir zusammen mit Bielefeld ausgewählt wurden, die deutschen Beispiele im europäischen Kontext der Quartiersprojekte zu repräsentieren, "Integrated Service Areas in Europa". Dazu haben wir uns natürlich sehr gefreut, viele Interessenten an dem Konzept aus aller Herren Länder im Lauf der Jahre zu begrüßen und selbst viele Vorträge in verschiedenen Städten, ja sogar Ländern wie Finnland zu halten.

Wie altert "Älter werden in Eching" in den nächsten Jahren?

Hoffentlich erfolgreich! Vertragsverhandlungen mit der Gemeinde stehen bald an und wir hoffen, alle unsere Verträge verlängern zu können.

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