Utopia 2016:Aufbruch in eine neue Dimension

Utopia 2016: Beste Stimmung bei Bonaparte.

Beste Stimmung bei Bonaparte.

(Foto: Marco Einfeldt)

Die Besucherzahlen des Utopia-Island-Festivals schnellen nach oben, diesmal feiern 12 000 Elektrofans im Aquapark. Und als Lena "Satellite" singt, sind alle glücklich.

Von Christian Gschwendtner, Moosburg

Es ist der letzte Festivalabend, kurz vor acht, als sich Thomas Sellmeir eine kleine Verschnaufpause gönnt. Der Festivalchef sitzt in Lederhose und weißem T-Shirt am Eingang zum Campingplatz Utopia Village. Neben ihm ein Stück Kuchen, der Laptop bleibt aufgeklappt. "Das ist das anstrengendste Utopia, das wir je gemacht haben", sagt Sellmeir. Eine ganz neue Hausnummer sei das, verglichen mit den Jahren davor. Er meint die Besucherzahlen, die rapide nach oben geschnellt sind. Am Ende wird Sellmeir die Anfangsprognose noch mal nach oben korrigieren. Von 12 000 Elektrofans werden die Veranstalter heuer sprechen, 2000 mehr als noch im Vorjahr.

Angefangen haben die Festival-Macher ursprünglich mit den "Havana Nights" in Haag, angekommen sind sie jetzt in einer neuen Dimension. Der Nachfolger Utopia Island wird immer beliebter. Und immer größer. Sehen kann man das bereits auf dem Parkgelände. Das "Servus&Griasde" auf den maritimblauen Begrüßungstafeln ist nach unten gerutscht. Oben steht jetzt dick und fett "Welcome", in sieben Sprachen.

Weil so eine rasante Expansion natürlich nicht ohne Reibung vonstattengehen kann, ist auch bei Utopia in diesem Jahr ein klein wenig Sand im Getriebe. Festivalchef Sellmeir spricht von ein paar "Kinderkrankheiten", die bis zum nächsten Jahr unbedingt weg müssen. Überfordert waren die Organisatoren zum Beispiel bei der Anreise am Donnerstag. Thomas Sellmeir sagt, es habe "Bumm" gemacht. Plötzlich stand da eine riesige Menge vor der Taschen- und Gepäckkontrolle und forderte Einlass auf den Campingplatz. Die musste sich dann erst mal eine Zeitlang gedulden. Auch die Dixi-Klos waren schneller voll als erwartet. Der Dixi-Klo-Fahrer ist mit dem Entleeren einfach nicht hinterher gekommen.

Auf dem Campingplatz ist von solchen Veranstaltersorgen erst mal nichts zu spüren. Ein junger Mann ohne T-Shirt zieht eine junge Frau mit T-Shirt im Bollerwagen hinter sich her, vor der Toilettenreihe rümpft er kurz die Nase. "Do geht a Gschmacke raus", sagt er und setzt seine Reise dann unbeirrt fort. Die Campingplatz-Mehrheit ist sowieso mit weitaus wichtigeren Projekten beschäftigt. Ordentlich enthusiasmiert wird daran gearbeitet, den Alkoholpegel auf einem akzeptablen Niveau zu halten. Als besonders effizienter Erfüllungsgehilfe bei diesem Ziel hat sich das Trinkspiel "Flunky-Boy" erwiesen, es ist der Hit auf dem Utopia-Campingplatz.

Grob gesagt stehen sich bei diesem Trendwurfspiel zwei Teams gegenüber. Abwechselnd werfen sie mit einem Ball auf eine Wasserflasche, die in der Mitte des Spielfeldes steht. Erzielt man einen Treffer, darf man solange trinken, bis die Gegenseite den Ball geholt hat. Es gewinnt die Mannschaft, und da sind die Regeln sehr eindeutig, die ihre Dosenbiere als Erstes ausgetrunken hat.

Man darf die Gäste des Utopia Island deswegen nicht falsch verstehen. "Klar geht's hier auch um Alkohol", sagt Christopher Müller, "aber noch mehr geht's ums Freisein, darum neue, interessante Leute kennenzulernen und mit ihnen zu interagieren." Müller, schwarze Sonnenbrille und Adidas-Shorts, kommt aus der Nähe von Bayreuth. Für das Utopia-Fest ist er mit einer ganzen Gruppe von Freunden angereist. Nach einer Partie "Flunky-Boy" haben sie es sich in den Campingstühlen bequem gemacht. Diskutiert werden jetzt, wie könnte es anders sein, die großen Themen: Trump, die Medienlandschaft, der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen. Überhaupt, es bleibt überraschend friedlich auf dem Utopia Island. Keine nennenswerten Zwischenfälle gibt es zu vermelden. Nur von einer Handvoll gefälschter Tickets ist die Rede. Die Leute hatten offenbar Angst, keine Karten mehr zu bekommen, vermutet Organisator Thomas Sellmeir.

Je später es wird, desto mehr verlagert sich das Utopia-Epizentrum weg vom Campingplatz, hin zum eigentlichen Ort des Geschehens, vor die vier Bühnen. Und wieder zeigt sich die Widersprüchlichkeit, für die so ein Festival auf der Überholspur steht. Es gibt die liebevoll drapierten Deko-Hingucker, für die das Utopia bekannt ist. Man muss nur an den Seestrand gehen, wo ein prächtiges Holzschiff ankert. Es gibt aber auch Dinge wie die riesige Lounge eines Tabak-Konzerns, direkt vorm Eingang zur Hauptbühne. Ein verspiegelter Quader mit zwei Etagen ist das, in dem die Zigarettenfirma ihre Imagekampagne unters volljährige Festivalpublikum zu streuen gedenkt. Adrett aussehende junge Damen wuseln mit dieser Mission durch die Lounge. Ausgestattet sind sie mit silbernen Sneaker und Tabletts.

Inzwischen hat Sängerin Lena Meyer-Landrut die Hauptbühne betreten. Angekündigt wurde sie im Vorfeld als einer der "Abräumer" des Festivals. Die ESC-Gewinnerin nach Moosburg einzuladen, kann durchaus als Versuch gewertet werden, sich einem noch breiteren Publikum zu öffnen. Das Interesse an "unserem Star aus Oslo" jedenfalls ist groß. Nur einige eingefleischte Elektrofans fremdeln mit Lena. Sie begleiten ihren Auftritt mit dem Weihnachtslied "Jingle Bells", es fliegen ein paar Pappbecher auf die Bühne, Lena ist kurz böse, eine Gummipuppe landet im Bühnengraben. Als Lena dann ihren Hit "Satellite" singt, ist das vergessen.

Festivalchef Thomas Sellmeir hat davon höchstwahrscheinlich nichts mitbekommen. Er hat angekündigt, sich erst zum Schluss eine echte Auszeit vom Festivalstress zu nehmen, wenn Paul Kalkbrenner auflegt. Dann will er vor der Bühne feiern und sich seine persönliche Entschädigung für den Riesenaufwand holen.

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