Uraufführung im Terminal 1:Schwerer als Luft

24 Mitarbeiter aus den Bodenverkehrsdiensten am Flughafen spüren in einer Oper dem Mythos vom Fliegen nach

Matthias Vogel

Die Arbeit als Loader am Münchner Flughafen ist nicht die leichteste. Das Be- und Entladen der Flieger, das Bestücken und Leeren der Gepäckförderbänder erfordert Kraft. Da dürften doch in der Belegschaft eher "Typen für's Grobe" anzutreffen sein als Bratschisten oder Opernsänger? Nix da, voll hineingetappt in die Vorurteils-Falle. Ausgelegt haben sie Björn Potulski und Nílida Béjar. Sie haben binnen eines Jahres aus dem Pool der Loader zwei Dutzend Musiker und Sänger rekrutiert und mit ihnen in den Schichtpausen die choreographische Oper "Schwerer als Luft" einstudiert. Ein absolutes Novum.

Zwar unternehmen Flughäfen immer wieder kulturelle Ausflüge, präsentieren vielleicht Ausstellungen von Malern. Aber eine Oper ist neu. Am heutigen Donnerstag in der Halle C-West im Terminal1 findet die Uraufführung für ein geladenes Publikum statt. Danach zieht das Ensemble um in den "Schwere Reiter" nach München. "Da spielen wir dann am Freitag, Samstag und Sonntag, 3., 4., und 5. Februar, jeweils um 20 Uhr. Der Eintritt ist frei, der Flughafen lädt ein", sagt Potulski. Und: "Der Andrang bis jetzt ist überraschend groß, wer kommen will, sollte im Internet unter www.munich-airport.de/tickets reservieren."

Früher, da hat der heute 35-jährige Hobby-Regisseur selber auf dem Vorfeld des Münchner Flughafens als Loader gearbeitet, um sich sein Studium der Theaterwissenschaften zu finanzieren. "Ich bin also in dieses sehr dynamische und spannende Flair eingetaucht", sagt Potulski. Und schon damals spielte er mit dem Gedanken, aus diesem bewegten Treiben ein Kunstwerk zu machen. Potulski verschwand dann in der freien Theaterszene Münchens. Der Traum, als Regisseur oder überhaupt mit der Arbeit an Theatern seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, blieb aber einer. Und so kehrte er zurück an den Flughafen. Heute ist er einer von einer Handvoll Referenten für politische Angelegenheiten der Flughafen München Gesellschaft (FMG).

Das Projekt hatte Potulski freilich nicht losgelassen, also wurden er und Béjar beim Bodenverkehrsdienstleister Aeroground, eine hundertprozentige Tochter der FMG und bei der FMG selber mit der Idee vorstellig. Ganz ohne Skepsis wurde sie nicht beäugt, aber es gab auch Rückhalt, und das von höchster Stelle. "Michael Kerkloh ist bei Musikgeschichten ohnehin sehr zugänglich", berichtet FMG-Sprecher Ingo Anspach. Und Potulski wirft ein: "Er hat bei einer Probe sogar mitgemacht." Anspach gibt zu, die Idee, aus dem Loader-Trupp ein Opern-Ensemble zu machen, durchaus auch als "exotisch" wahrgenommen zu haben. "Bis ich dann bei einer Probe dabei war und sehr beeindruckt davon war, mit welcher Ernsthaftigkeit dort gearbeitet wurde." Der Rückhalt von ganz oben habe angespornt, sagt Potulski. Für Stolz unter den Aktiven habe dann auch gesorgt, dass Münchens Oberbürgermeister Christian Ude die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen hat.

Nicht nur den Vorgesetzten kam der Vorstoß des Regisseurs und der Komponistin außergewöhnlich vor. Auch die Belegschaft staunte zunächst nicht schlecht, als Potulski in ihrem Aufenthaltsraum auftauchte und nach Protagonisten suchte. "Manche waren gleich dabei, manche kamen erst später dazu, wieder andere waren erst dabei und verschwanden dann wieder", sagt Potulski. Die ein oder andere Stichelei den Kolleggen gegenüber, die sich zur Kunst bekannten und fortan fleißig probten, habe es sicher gegeben. "Ich denke aber, wer da geneckt hat, wollte dann später selber auch gerne dabei sein."

Aus aller Herren Länder kommen die zwölf Musiker und Sängerdarsteller, die sich nun nach einem Jahr harter Vorbereitung dem Publikum stellen. "Von allen fünf Kontinenten sogar", sagt Potulski und grinst. Auch das passe hervorragend zur Thematik des Stückes. In "Schwerer als Luft" spüren die Loader dem Menschheitstraum vom Fliegen über unterschiedliche Epochen und Kulturräume nach. In dem von Nélida Béjar eigens für diesen Zweck konzipierten Werk werden Texte prominenter Autoren, die um die Mythen und Möglichkeiten der fliegerischen Fortbewegung kreisen, vertont und in Szene gesetzt. Von Ovids "Daedalus und Ikarus" über die Skizzenbücher des Leonardo da Vinci und Jean-Jacques Rousseaus "Nouveau Dédale" bis hin zu James Joyces "Ulysses" reicht das Spektrum der hier vereinten "Flugspuren". Sämtliche Texte werden in ihrer Originalsprache gesungen.

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