Überschwemmung in Freising:Rettungskräfte sind hilflos

Ganze Straßenzüge stehen unter Wasser. 60 Häuser sind ohne Strom und der Westen gleicht einer Seenplatte. Vor allem die kleinen Bäche machen Probleme. Seit Montagabend gilt Katastrophenalarm

Von Kerstin Vogel

Überschwemmung in Freising: Die Freisinger Gartenstraße und Teile der Johannisstraße waren am Montag für Fahrzeuge unpassierbar. Feuerwehr und THW arbeiteten bis zur Erschöpfung.

Die Freisinger Gartenstraße und Teile der Johannisstraße waren am Montag für Fahrzeuge unpassierbar. Feuerwehr und THW arbeiteten bis zur Erschöpfung.

(Foto: Marco Einfeldt)

Niemand hatte damit am Wochenende gerechnet: Ganze Straßenzüge in der Stadt überschwemmt, rund 60 Häuser ohne Strom, zahllose Keller unter Wasser und ein Verkehrschaos, wie es Freising selten gesehen hat. Am gestrigen Montagabend gegen 18 Uhr wurde dann Katastrophenalarm für den Landkreis Freising ausgerufen. Die tagelangen Regenfälle haben der Domstadt eine Hochwasser-Situation beschert, die von den Rettungskräften kaum in den Griff zu bekommen ist, wie es am Montag bei einer Pressekonferenz des Krisenstabs hieß. Zu diesem Zeitpunkt waren Feuerwehr und THW seit bald 24 Stunden ununterbrochen im Einsatz. An Schlaf war kaum zu denken - und ein Ende ist nicht in Sicht. Auch aus dem übrigen Landkreis wurde vielerorts "Land unter" gemeldet. In Haag und Moosburg wurde der Deich überspült, die Amper floss durch das Zollinger Sportheim und bei Palzing behinderten Erdrutsche den Verkehr. Etwas entspannt hatte sich die Situation in Au, wo noch am Sonntag die überlaufende Abens Sorge bereitet hatte.

Tatsächlich sind es - anders als bei den letzten großen Hochwasserereignissen 1999 und 2005 - heuer eher die kleinen Bäche und Flüsse, die den Helfern massive Probleme bereiten. Auch in Freising sind es nicht die - gleichwohl enormen - Wassermassen der Isar, die zu der brisanten und nie da gewesenen Situation im Westen und Südwesten der Stadt geführt haben.

Es ist allen voran der Thalhauser Graben, ein kleiner Bach, der mehr als sechs Monate im Jahr nicht mehr als ein Rinnsal bildet, ein schmales Bächlein, das von Kranzberg her nach Freising plätschert und kaum jemandem jemals auffällt. Wie schnell das anders werden kann, hat sich am Sonntag gezeigt: Dauerregen und mehr als gesättigte Böden hatten den Graben um ein Vielfaches anschwellen lassen. Das Wasser überflutete zunächst in Thalhausen mehrere Keller und drang dann auf seinem Weg nach Osten in die Lehrwerkstatt der Landtechnik Weihenstephan an der Thalhauser Straße in Freising ein.

Bis man dort reagieren konnte, stand das Wasser zwanzig Zentimeter hoch in der Werkstatt und hatte unter anderem den Strom ausfallen lassen. Besonders bitter ist das möglicherweise für einige Doktoranden, wie Mitarbeiter Hans Krabichler am Abend schilderte: Sie hatten wichtige Arbeiten in den Versuchsfermentern auf dem Gelände, ob diese den Ausfall der Kühlung überstehen werden, war am Sonntag zweifelhaft. Das Technische Hilfswerk, von dem man sich ein Notstromaggregat erhofft hatte, habe leider sehr plötzlich abrücken müssen, bedauerte Krabichler: "Die mussten nach Moosburg, weil die Kläranlage dort auch abgesoffen ist."

Überhaupt wussten die Freiwilligen Helfer schon am Sonntagabend zwischenzeitlich kaum noch, wo sie zuerst anrücken sollten. So wurde aus Marzling die totale Überflutung der Baustelle an der Schleifermoosach gemeldet, der Marzlinger Sportplatz glich zu diesem Zeitpunkt einem See und die Anwohner an der Isarstraße pumpten mit Hilfe der Feuerwehr ihre Keller aus. Alarm gab es auch in der Freisinger Innenstadt: Der Thalhauser Bach hatte in seinem weiteren Verlauf gegen 17.30 Uhr diverse Keller sowie den Parkplatz hinter der Gaststätte Schneiders geflutet und es war nur eine Frage der Zeit, bis das Wasser auch in den mühsam mit Sandsäcken geschützten Gastraum eindrang. Gegen 21.30 Uhr hatte die Crew des Lokals das Wasser einigermaßen wieder aus dem Räumen bekommen - anders als in der Spatenschänke nebenan, wo die Wirtin nicht recht viel mehr tun konnte, als das Wasser, das von hinten in die Kneipe lief, vorne wieder hinauszukehren.

Unterdessen baute sich offenbar von Hohenbachern und dem Freisinger Moos her ein zweites großes Problem auf, das schließlich den Bereich rund um die Gartenstraße treffen sollte: Zu viel Wasser in der Moosach, zu hohe Grundwasserstände und ein komplett erschöpftes Fassungsvermögen der Böden im Moos - bis Montagmorgen verwandelte sich das Stadtviertel in eine Art Seenplatte. Teilweise stand das Wasser bis zu 60 Zentimeter hoch in den Straßen. Betroffen waren neben der Gartenstraße, wo sich unter anderem die Werkstätten der Lebenshilfe befinden, Saarstraße, Fabrikstraße und der Fürstendamm. In diesen Bereichen mussten die Stadtwerke dann zum Teil schon in der Nacht auch den Strom abschalten - aus Sicherheitsgründen, wie Stadtwerksdirektor Andreas Voigt am Montag erläuterte. Wie lang die Betroffenen - rund 60 Anschlüsse - ohne Elektrizität auskommen müssen, steht noch nicht fest, denn zunächst muss das Wasser raus aus den Häusern, anschließend muss ein Elektriker dann jeweils die gesamte Anlage prüfen und freigeben.

Wann sich die Lage entspannen wird, mochte am Montag niemand sagen. Tatsächlich verschärfte sich die Situation im Laufe des Tages noch, unter anderem musste die Bahnhofstraße gesperrt werden, was auch den Busverkehr massiv behinderte. Das Hauptproblem sei, das viele Wasser irgendwie durch die Stadt zu bekommen, schilderte Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher: Doch die Moosacharme seien bis zum Rand voll und es drücke immer noch weiteres Grundwasser nach. Eschenbacher: "Es ist durchaus möglich, dass sich das noch ausweitet."

Die Hilfskräfte aber sind mittlerweile weitgehend machtlos, wie ein sichtlich erschöpfter Freisinger Feuerwehrkommandant Anton Frankl am Montag sagte. Seit Sonntagmittag habe man rund 100 Mann rund um die Uhr im Einsatz, gut 150 Einsätze seien gemeldet, doch der Großteil sei noch offen, weil man einfach nicht überall gleichzeitig helfen könne. Erbosten Anrufern, die vergeblich auf Hilfe warten würden, könne man nur sagen, dass es schlicht keine Möglichkeit gebe, die enormen Wassermengen abzupumpen: "Freising ist im Bereich der Moosach ein Nadelöhr", so Frankl - und auch er warnt: "Die Situation mit dem Grundwasser könnte sich in den nächsten Tagen noch verschärfen."

Bestätigt wird die Einschätzung Frankls von THW-Chef Michael Wüst, dessen Organisation ebenfalls mit etwa 50 Helfern am Rande der Erschöpfung arbeitet. Man pumpe an der Gartenstraße seit Montagmorgen gut 35 000 Liter Wasser pro Minute weg - und habe so gerade einmal einen weiteren Anstieg der Wassermassen verhindern können: "Wir machen, was menschenmöglich ist", versicherte Wüst: "Aber wenn die Wanne voll ist, bringt man das Wasser eben nicht mehr weiter." Man hoffe nun auf zusätzliche Hilfe aus Baden-Württemberg - und richte sich auf eine mehrtägige Einsatzdauer ein. Unter anderem droht ein weiterer Anstieg des Grundwassers in Lerchenfeld, Vötting, am Seilerbrückl und in der Neulandsiedlung.

Die Meldung, dass der Deich an der Reiteraustraße bei Moosburg überspült sei, platzte genau in die Pressekonferenz des Krisenstabes. Die Feuerwehr habe die Sicherung des Schutzwalls aufgegeben, berichtete Barbara Weinmann vom Katastrophenschutz im Landratsamt: "Jetzt schützen die dort nur noch die Häuser und ihre Bewohner." Bereits kurz zuvor war aus Haag die Meldung gekommen, dass auch dort der Deich überspült sei. Als "kritisch" bezeichnete Landrat Michael Schwaiger am Montagmittag auch die Lage am Amperdamm in Schnotting bei Kirchdorf sowie in Thonstetten.

Dennoch hatte man lange keine Veranlassung gesehen, den Katastrophenfall auszurufen. In der übergeordneten Koordinierungsstelle der Rettungsmaßnahmen war das bis zum Abend als nicht notwendig empfunden worden. Gleichwohl hat sich die Stadt Freising bereits auf alle Eventualitäten eingestellt, wie Eschenbacher versicherte: Man sei auch auf eine Evakuierung der Häuser an der Gartenstraße und am Fürstendamm vorbereitet.

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