Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingsunterkunft Dietersheim:Wirklich glücklich ist niemand

Lesezeit: 3 Min.

In der Flüchtlingsunterkunft bei Eching leben 46 Menschen zwischen Hoffen und Bangen. Ein Helferkreis unterstützt sie, doch für manch einen Kriegsflüchtling mit zurückgelassenen Kindern ist das Warten unerträglich.

Von Alexandra Vettori, Eching

Die junge Familie aus dem Kosovo hat keine Chance. Ihr Asylantrag ist abgelehnt, ebenso wie der eines Landsmannes. Jetzt organisieren sie ihre Rückreise, "und wir können die gespendeten Koffer gut brauchen", sagt Franz Nadler. Der Dietersheimer ist einer der führenden Köpfe des örtlichen Helferkreises, neben Gertrud Wucherpfennig. Gebildet hat sich die Gruppe von 20 Leuten, als Ende vergangenen Jahres klar war, dass auch in dem kleinen Echinger Ortsteil Flüchtlinge untergebracht werden würden.

Seit April sind die ersten 46 Menschen da, darunter sieben Kinder. Sie kommen aus dem Kosovo, Pakistan, Syrien, Afghanistan, Palästina, Irak, Mali und dem Kongo. Momentan rechnet man täglich mit der Ankunft eines weiteren Dutzends, sie werden im Keller untergebracht, dort, wo bis vor kurzem noch der Deutschunterricht stattfand.

Genervte Nachbarn sind eingeladen, direkt mit den Flüchtlingen zu sprechen

An die Wand im Treppenhaus sind Hänsel und Gretel gemalt, dazu ein paar Häschen und Vögel. Die Signierung gibt das Jahr 1963 an, damals schlurften noch Schüler die alte, knarrende Holztreppe empor, später wurde ein Kindergarten aus dem alten Schulhaus, zuletzt stand der Bau leer. Als die Nachbarschaft dann erfuhr, dass mitten in Dietersheim Flüchtlinge untergebracht werden sollten, herrschte zunächst Aufregung. Direkt angrenzend befinden sich teure, neue Reihenhäuser, der Kindergarten, der Friedhof.

Anfangs hat es durchaus auch Reibereien gegeben, angesichts rauchender junger Männer auf der Friedhofsmauer oder dem Bolzplatz. Einmal musste sogar die Polizei anrücken, zwei junge Männer aus Pakistan und Palästina waren in Streit geraten, mittlerweile sind sie verlegt worden. Jung sind sie alle hier, die meisten zwischen 20 und 30 Jahren. Auch jetzt klagen Nachbarn manchmal noch über nächtlichen Lärm. Franz Nadler hat die Beschwerdeführer eingeladen, zu kommen und direkt mit den Flüchtlingen zu sprechen. Angenommen hat das Angebot aber noch niemand.

"Ich habe in meinem ganzen Leben nicht eine Minute Not erlebt, keinen Krieg", sagt ein Helfer

Immerhin konnten die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft mittlerweile ein wenig sensibilisiert werden für das Ruhebedürfnis ihrer Nachbarn, sie haben jetzt Gartenstühle und bleiben im Garten des alten Schulhauses. "Der ist ein Segen", sagt Franz Nadler.

Es ist ein Panoptikum aus Schicksalen und Geschichten hier im alten Schulhaus. Hier zu helfen, sei ihm ein Anliegen gewesen, auch aus dem Bewusstsein heraus, welche Gnade es sei, in einem sicheren, reichen Land zu leben: "Ich habe in meinem ganzen Leben nicht eine Minute Not erlebt, keinen Krieg", sagt Franz Nadler - und nun will er denen, die es nicht so gut haben, ein Stück Optimismus geben. Denn auch wenn sie ein Dach über dem Kopf haben, genügend Essen und sicher sind vor Verfolgung, wirklich glücklich ist hier niemand.

Zwei Syrer mit kleinen Kindern im Kriegsgebiet, glauben schon, die deutschen Behörden hätten sie vergessen

Immer ungeduldiger fragen die Flüchtlinge Nadler und die anderen Helfer, warum es so lange dauere, bis sie endlich arbeiten dürfen, bis die Familie nachkommen kann. "Fast alle haben ihre Erstbefragung im Bundesamt bereits hinter sich oder wurden schon zweimal angehört, viele leben schon mehr als fünf Monate in Deutschland ohne Bescheid des Amts, zwischen Hoffen und Bangen", weiß Nadler.

Der junge Mann aus Mali hat gegen den ablehnenden Bescheid einen Eilantrag vor Gericht gestellt und lässt die Ablehnung überprüfen. Ebenso ein Mann aus Syrien. Beide haben Chancen. Zwei weitere Syrer glauben schon, die deutschen Behörden hätten sie vergessen. Beide haben eine Familie mit kleinen Kindern im syrischen Kriegsgebiet, beide machen sich große Sorgen, das Warten ist fast unerträglich.

Die schwierige Gewöhnung an Wäschetrockner - und andere heitere Missverständnisse

Neben den vielen traurigen Schicksalen und dem kleinen Alltagsärger über verstopfte Abflussrohre, verdreckte Ofenplatten und verfluste Wäschetrockner weiß Franz Nadler aber auch heitere Geschichten zu berichten. So erkundigte sich jüngst ein Bursche aus Somalia, ob das Konsumieren von Khat in Deutschland erlaubt sei. Das Kauen von Khatblättern, ein Rauschmittel, ist in vielen arabischen Ländern verbreitet.

Nadler erklärte, in Deutschland sei fast alles verboten. Ein paar Tage später kam er dann in das Zimmer des Somaliers. Dort saßen vier Männer am Boden, vor sich einen Haufen grüner Blätter. "Die kauen Khat, dachte ich sofort. Die Männer sahen mich fragend an, ich deutete auf den Haufen Blätter und sagte: Khat? Da wurden alle sehr ernst, um dann vor Lachen loszubrüllen. Auf dem Boden lagen die Blätter eines Weinstocks vom Garten des Hauses. Die Blätter brauchten die Leute zum Kochen."

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Quelle:
SZ vom 17.06.2015
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